Martin Scorseses Film „After Hours“: New York nach Mitternacht

Grob unterschätzt oder zurecht fast vergessen? Das Hamburger Metropolis-Kino holt Martin Scorseses kafkaeske Komödie „After Hours“ aus dem Archiv.

Der US-amerikanische Regisseur Martin Scorsese hinter einer Filmkamera.

Karriere mit Aufs und Abs: Martin Scorsese hinter einer Filmkamera Foto: Stringer/epa/dpa

Ein Mann fasst einen Plan. Keinen großen, nein, gerade mal um die Gestaltung eines Abend, einer Nacht vielleicht geht es. Ein kleiner Ausbruch soll es werden die zeitweise Flucht aus dem langweiligen Dasein als Bildschirmarbeiter, zehn Jahre, bevor Douglas Couplands Roman das Wort „Microserfs“ prägte für die Quasi-Leibeigenen der Tech-Industrie. Nicht mal so ein genialischer Programmierer scheint aber unsere Hauptfigur zu sein, Paul Hacket, gespielt von Griffin Dunne, der den ganzen Film auch co-produziert hat.

Ja, es sind andere Zeiten: Der nassforsche junge Mann, dem Paul gleich zu Beginn die Kniffe der Texteingabe und -verarbeitung beibringen soll, hat nicht vor, diesen Computerkrams für den Rest seines Lebens zu machen: Sein eigenes Magazin will er gründen, richtig auf Papier, ein Forum für Autoren und Intellektuelle, die nirgendwo sonst gedruckt werden.

Eine Komödien-Eröffnung heutzutage sähe wohl gerade umgekehrt aus. Und auch wenn Pauls Nacht ganz anders verlaufen wird, als er es sich vorgestellt hat: „After Hours“ ist ganz eindeutig Komödie; eine absurde, düstere; eine, die einerseits subtiler funktioniert, auch geschickter konstruiert ist als vieles damals das Genre Ausmachende (Drehbuch: Joseph Minion) – und dann wieder nicht durchweg gut gealtert ist.

Über Gedrucktes entspinnt sich der Plot: Sie liebe das Buch, sagt die Unbekannte einen Tisch weiter (Rosanna Arquette), als Paul im Schnellrestaurant sitzt, Henry Millers „Wendekreis des Krebses“ vor sich. Kein Buch sei das, fährt sie fort, vielmehr eine „verlängerte Beleidigung“, ein Spucken ins Gesicht der Kunst – es gibt eine Lesart von „After Hours“ als ganz wesentlich geprägt von Macher Martin Scorseses Enttäuschung, auch Frustration mit der eigenen Branche. Als eine Art Wieder-in-Form-Kommen hat er die Produktion bezeichnet, ein Reha-Programm, sozusagen, nach dem einigermaßen spektakulär gefloppten „King of Comedy“ von 1982 – seiner vielleicht einzigen weiteren Komödie.

Immerhin: 1986 brachte „After Hours“ ihm die Auszeichnung als Bester Regisseur bei den Filmfestspielen in Cannes ein. Und rein technisch war es auch nicht gleich die nächste Pleite: Gekostet haben soll „After Hours“ einen mittleren einstelligen Millionenbetrag. Der Erlös lag ungefähr beim Doppelten. Auch die Kritiken waren 1985 gar nicht schlecht. Mitunter wurde ein gewisses Unverständnis deutlich, womit genau man es da zu tun habe – aber gelungen, doch, das sei der Film.

Beinahe untergegangen im Oeuvre

Was für andere Regisseure – und erst recht -*innen – also ein karrierebegründendes Stück Arbeit hätte sein können: Bei einem wie Scorsese – der 1976 bereits eine Goldene Palme aus Cannes mitbrachte, manches Auf und Ab schon hinter sich hatte –, kann so was schon mal geradezu untergehen im großen, nicht durchweg gelingenden, aber immer wieder spektakulären Schaffen.

„Wie ein Independent-Film“ sei „After Hours“, hat Scorsese selbst später gesagt. Auch als eine Art Work-out hat er die Quasi-Auftragsarbeit bezeichnet; als Vorbereitung darauf, sollte das havarierte „Passion Christi“-Projekt doch noch in die Nähe einer Realisierung kommen: Dieser Film war 1983 gecancelt worden, nach massivem Druck organisierter christlicher Gruppen. „Ich wollte herausfinden, ob ich noch die Energie habe, schnell zu drehen“, so Scorsese. „Es braucht eine bestimmte Leidenschaft, um 'Mean Streets’ zu machen, 'Taxi Driver’ oder 'Raging Bull’. Die musste ich wiederfinden.“

Damit erinnert er an eine bei allen Kanon-Streitereien kaum umstößliche große frühe Werkphase; verbunden werden die drei Referenzfilme einerseits durch Epoche machende Performances insbesondere von Robert de Niro – aber auch durch den Schauplatz: Sie spielen stets in einem denkbar wenig glamourösen New York, einem Ort der Randständigen, Ausgegrenzten, Sich auch im Wortsinne Durchboxenden.

Hauptrolle für New York

Ein noch nicht ins Unerschwingliche gentrifiziertes New York, genauer, Manhattan, spielt auch in „After Hours“ eine gewichtige Rolle, eines der Nischen besetzenden, transgressiven Kunst – ironischerweise je gerade einer der Faktoren, die Teuerung und Verdrängung vorzubereiten helfen.

Bei allem zeittypischen Kolorit, allen mal sehr, mal auch weniger gekonnten Subkultur-Anspielungen, auch deren Persi­flierung: Es hat etwas von antiken Stoffen, wie der Hauptfigur da mitgespielt wird. Denn es müssen doch eigentlich schon höhere Mächte am Werk sein, die dem gelangweilten Paul irgendeine Lektion erteilen wollen. Anders ist sie ja kaum erklärbar, die nicht enden wollende Aneinanderreihung von Missgeschick, die den Film strukturiert; beginnend mit einem Kugelschreiber, der nicht schreibt, über eine davongewehte Banknote und also unbezahlt bleibende Taxipassage ins ihm nicht vertraute Downtown; oder der kafkaesk anmutende Umstand, dass just um Mitternacht die U-Bahn-Preise angehoben wurden und Pauls Kleingeld nun nicht reicht. Er will irgendwann ja nur noch nach Hause, der – auf dem Stadtplan ja wirklich unten liegenden – Unterwelt entkommen, dieser Hiob mit dem perfekten Haar: Endlich wieder Langweilen! Was ihm während- und stattdessen alles widerfährt, ist äußerst vergnüglich, einen etwas robusten Sinn für Humor vorausgesetzt.

„After Hours“/„Die Zeit nach Mitternacht“. Regie: Martin Scorsese. Mit Griffin Dunne, Rosanna Arquette, Catherine O'Hara u. a. USA 1985, 97 Min.

Vorführungen in OV: 15., 19. und 25. 12., jeweils um 21.30 Uhr, Metropolis Kino Hamburg

Heute wird „After Hours“ auch schon mal als „Kultfilm“ bezeichnet, ein sehr fragwürdiges Label, mindestens aber als lange sträflich unterschätzt. Vor ein paar Jahren gab es einen offenbar mäßig gelungenen Versuch, aus dem Stoff eine Oper zu machen, angesiedelt im Berliner Club-Milieu.

Sicher ist: Mit „After Hours“ konnte Scorsese auch Zweifelnde daran erinnern, dass mit ihm noch zu rechen sein würde. Ohne den Film gäbe es den Scorsese der 90er- und folgenden Jahre nicht. Wer weiß, ob er nicht einfach geendet wäre als Werber; oder vor irgendeinem Bildschirm.

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