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Martin Schulz über Krise in der Union„Söder ist ein Rechtspopulist“

Der Ex-SPD-Chef hält den Kurs der CSU für unmoralisch. Martin Schulz über den Unionskrach, Flüchtlingspolitik und Populismus in Europa.

Martin Schulz, SPD-Kanzlerkandidat aus dem Jahr 2017 Foto: dpa
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Herr Schulz, der italienische Innenminister Salvini nennt Migranten „Menschenfleisch“. Kann Merkel mit dem eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik auf die Beine stellen?

Martin Schulz: Ich kenne Salvini aus dem Europaparlament. Er ist jemand, der permanent hetzt. Seine Flüchtlingspolitik darf niemals unsere sein. Aber auch Salvini wird Kompromisse machen müssen.

Hat Deutschland nicht eine Mitschuld an der Situation? Innenminister Friedrich hat 2011 gesagt: Die Flüchtlinge sind ein italienisches Problem.

Ja, ich habe schon vor einem Jahr darauf hingewiesen, dass wir Italien alleine lassen. Malta, Zypern, Griechenland, Italien schallte in Brüssel von deutscher Seite stets entgegen: „Das Dublin Abkommen gilt. Wie ihr mit den Flüchtlingen fertig werdet, ist eure Sache.“ Als Deutschland 2015 dann eine Lastenverteilung in der EU wollte, wurden wir dann auf einmal von anderen Staaten selbst im Stich gelassen. So wendet sich das Blatt.

Falls Innenminister Seehofer Flüchtlinge zurückweist, die schon in einem anderen Staat registriert sind – macht die SPD das mit?

Seehofer will generell Flüchtlinge zurückweisen. Das widerspricht dem Grundprinzip, dass es immer Einzelfallprüfungen geben muss. Merkel hat Recht damit, dass man Flüchtlinge nur abweisen kann, wenn es Rücknahmeabkommen mit anderen Ländern gibt. Das geht nur auf EU-Ebene. Das ist europäisches Recht, kein nationales.

Die CSU sagt: Warum machen wir nicht, was Frankreich an der Grenze zu Italien tut – Flüchtlinge abweisen?

Weil Frankreich mit Italien ein Rücknahmeabkommen hat.

Warum ist die SPD ist in dem Asylstreit keine vernehmbare Stimme?

Wenn sich CDU und CSU öffentlich – wegen eines Details des Asylverfahrensrechts – massakrieren, ist das nicht Sache der SPD. Wir stehen für eine realistische und humane Flüchtlingspolitik.

Die Union zerfetzt sich. Warum profitiert die SPD nicht davon?

Die SPD ist der stabile Anker in dieser Regierung. Wenn diese Regierung scheitert, dann nicht wegen der SPD, sondern wegen der angeblich seriösen bürgerlichen Union. Die akute Krise ist drei Woche alt. Wer sagt, dass die SPD davon nicht profitieren wird?

In der Union gibt es den schlimmsten Krach seit 1949. Söder hält das Ende des Multilateralismus für gekommen. Verwandelt sich die CSU in eine rechtspopulistische Partei?

Markus Söder ist ein Rechtspopulist. Das Ende des Multilateralismus zu begrüßen, ist mehr als kurzsichtig. Deutschland ist als drittgrößte Exportnation der Welt auf Multilateralismus angewiesen. Dieser Satz zeigt, dass es dem bayerischen Ministerpräsidenten an dem nötigen Weitblick fehlt, um in der deutschen Politik eine wichtige Rolle zu spielen.

Verhält sich die CSU noch rational?

Es nutzt der CSU Meinungsumfragen in Bayern zufolge ja noch nicht mal. Aber dafür heizt die CSU die Stimmung zugunsten der Rechtsextremen an. Sie verkürzt Politik auf einen emotionsgeladenen kleinen Teilaspekt. Den Preis dafür zahlen Wehrlose. Das ist nicht rational, sondern unmoralisch. Aber es gibt politische Kräfte, die mittelfristig eine Regierung Spahn, Söder, Lindner wollen. Das wäre Strache-Kurz auf Deutsch. Man muss sich vor Augen führen, dass sich ein CDU-Bundesminister wie Jens Spahn nicht schämt mit dem US-Botschafter, der sich wie ein Besatzungsoffizier aufführt, Selfies zu machen. Die von diesem Botschafter propagierte „konservative Revolution“ ist das Ziel dieser Leute. Und dagegen müssen sich die progressiven und demokratischen Kräfte stemmen.

Am Freitag geht es in Brüssel um den Eurozonenhaushalt. Ist der sinnvoll?

Ja.

Ist Merkel Macron in Meseberg beim Eurozonenetat weit genug entgegengekommen?

Nein. Im Koalitionsvertrag steht, dass der Eurozonenhaushalt zur wirtschaftlichen Dynamik in Europa beitragen soll. Wenn dieser Investitionshaushalt wirken soll, muss er groß genug sein. Das geht am besten über Eigenmittel der EU, etwa bei der Besteuerung der digitalen Wirtschaft, von Plastik und der Finanztransaktionssteuer. Wie Frau Merkel diese Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag konkret erreichen möchte, wie sie die nötige Dynamik in Europa fördern möchte, dazu fehlt es mir bei den Beschlüssen aus Meseberg noch die Ambition.

In der EU formiert sich Widerstand. Der niederländische Finanzminister hält den Eurozonenetat für „die Lösung eines Problems, das es nicht gibt.“ Hat Macrons Idee trotzdem eine Chance?

Ja, wenn Deutschland und Frankreich, die fast die Hälfte des BIP der Eurozone produzieren, sich einig sind. Auch Spanien, Portugal und Belgien wollen den Eurozonenetat. Die Eurozone braucht nachhaltiges Wachstum und offene Märkte. Da ist es schon überraschend, wenn der Finanzminister einer exportorientierten Nation wie der Niederlande so etwas sagt. Aber was Politiker für die heimische Öffentlichkeit sagen und was sie in Brüssel tun, hat oft wenig miteinander zu tun. Ich kritisiere das seit Jahren, weil es zu einem Blame Game geführt hat. Alles, was schlecht läuft, ist Europas Schuld. Alles, was gut läuft, wurde national erreicht. Beim Eurozonenhaushalt bin ich mir sicher, dass er kommen wird.

Es gibt Gerüchte, dass es zur Europawahl 2019 in Deutschland eine Pro-Europa-Partei nach dem Vorbild von Macrons En-Marche-Liste geben kann …

Das ist kein Gerücht. Macron wirbt dafür. Die En-Marche-Strategen überlegen natürlich, warum in Europa nicht möglich sein soll, was in Frankreich funktioniert hat.

57 Prozent der Deutschen könnten sich vorstellen, eine Partei wie Macrons En marche zu wählen. Ist das ernst zu nehmen?

Viele Umfragen zeigen, dass die Mehrheit in der Bundesrepublik proeuropäisch eingestellt ist. Und für keine Idee steht En Marche mehr, als für das leidenschaftliche Bekenntnis zu einem geeinten Europa. In Deutschland steht die SPD für diese Idee. Wir haben Europa im Koalitionsvertrag eine zentrale Rolle gegeben. Wir sind die Europapartei in Deutschland. Wenn wir Europa noch mehr ins Zentrum unserer Politik stellen, brauchen wir hier keine En-Marche-Liste.

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