Marode Berliner Schulen: Senat hinkt Ansprüchen hinterher

5,5 Milliarden Euro will Rot-Rot-Grün zur Sanierung der Berliner Schulen bereitstellen. Doch den großen Ankündigungen folgen keine Taten.

Eine Frau mit Helm, Atemschutz und Kopfhörern protestiert gegen den schlechten Zustand einer Berliner Schule

Sind Helm, Kopfhörer und Atemschutz bald unumgänglich an Berliner Schulen? Foto: dpa

BERLIN taz | Undichte Fenster, Schimmel, eine defekte Heizungsanlage, wochenlang Legionellen in der zentralen Wasserversorgung – und dennoch werde seit Jahren nur notdürftige „Flickschusterei“ betrieben: Der Brandbrief, in dem das Kollegium der ­Spandauer Carlo-Schmidt-Oberschule bereits Anfang des Jahres der Senatsverwaltung für Bildung die Zustände an ihrer Schule schilderte, war drastisch. Geändert hat sich seitdem nicht viel:

In den Herbstferien kam schließlich ein Teil der durchfeuchteten Deckenverkleidung runter – doch das Bezirks­amt Spandau hält die „bauliche Sicherheit“ weiterhin für gegeben. Schimmelpilzbefall? Nicht nachweisbar. Den LehrerInnen platzte daraufhin der Kragen: Dienstag früh protestierten sie mit Bauhelmen und Mundschutz gegen den desolaten Zustand ihres Arbeitsplatzes.

5,5 Milliarden Euro will Rot-Rot-Grün in den kommenden zehn Jahren in die Sanierung und den Neubau der Schulen stecken, es ist das wichtigste Investitionsprojekt in dieser Legislaturperiode. In der Öffentlichkeit entstand seit dem Regierungswechsel im vergangenen Jahr der Eindruck, dass herunterfallende Deckenverkleidungen nun Vergangenheit seien. Doch der Spandauer Fall zeigt: Die Annahme, nur weil nun viel Geld da ist, geht alles gleich viel schneller, ist ein großes Missverständnis.

Ein Jahr seit Ankündigung der großen „Schulbauoffensive“ ist bisher vor allem eine gewisse Systematik eingekehrt: Man weiß inzwischen, was an welcher Schule kaputt ist. Bezirke und Senat haben sich dar­auf geeinigt, alle Bauvorhaben über 10 Millionen Euro von einer (noch zu gründenden) Tochterfirma der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge realisieren zu lassen – alles zwischen 5 und 10 Millionen Euro können die Bezirke ans Land abgeben, sie müssen aber nicht.

Besser bezahlte Ingenieure

Damit will man die chronisch unterbesetzten bezirklichen Hochbauämter entlasten – doch dort fürchtet man inzwischen, dass diese Rechnung nicht aufgehen könnte und sich der „Turbo“ einer Landesgesellschaft für sie ins Gegenteil verkehren könnte.

Denn die Ho­wo­ge-Tochter wird als privatrechtlich organisierte GmbH ihre Ingenieure deutlich besser bezahlen als die Bezirksämter. Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, befürchtet „einen verschärften Kampf um qualifiziertes Personal“, den die Bezirke – die immer noch für kleinere Sanierungsvorhaben und die „bauliche Instandhaltung“ zuständig sein werden – verlieren.

Denn den Hochbauämtern fällt es, in Konkurrenz mit der Privatwirtschaft, ohnehin schon schwer, offene Stellen zu besetzen – mitunter müsse mangels BewerberInnen mehrmals ausgeschrieben werden, sagt Baustadtrat Schmidt. Zugleich haben die MitarbeiterInnen mehr zu tun: Vor zehn Jahren hatte der Hochbauservice in Friedrichshain-Kreuzberg 25 Millionen Euro zu „verbauen“ – inzwischen ist es rund doppelt so viel.

Das heißt: Selbst wenn man erst noch sehen wird, ob der von Baustadtrat Schmidt befürchtete „Kannibalisierungseffekt“ tatsächlich eintritt – paradoxerweise geht es trotz mehr Geld schon jetzt nicht unbedingt schneller voran. Die Spandauer Carlo-Schmidt-Schule ist ein Beispiel.

Um positive Schlagzeilen bemüht

In Neukölln berichtet Schulstadtrat Jan-Christopher Rämer ebenfalls von Verzögerungen – auch deshalb, weil die Baufirmen dank der guten Auftragslage die Preise diktieren können. Für die Mensa-Erweiterung am Campus Rütli habe sich nur eine Firma auf den mit 200.000 Euro ausgeschriebenen ersten Bauabschnitt beworben – und ein Angebot von 612.000 Euro vorgelegt. Nun wird neu ausgeschrieben, die geplante Eröffnung zum Sommer 2018 sei aber „nicht zu halten“.

Derweil verspricht man sich in den Bezirken einiges von den drei Regionalverbünden, in denen man künftig „im Bedarfsfall“ zusammenarbeiten will, wie Friedrichshain-Kreuzbergs Schulstadtrat Andy Hehm­ke (SPD) sagt. Friedrichshain-Kreuzberg soll mit Pankow, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick zum Regionalverbund Ost gehören. Gerade im Ostteil der Stadt gebe es sehr viele Schulen eines Plattenbautyps, sagt Hehmke. „Da macht es Sinn, gemeinsam zu planen und Ausschreibungen zusammenzufassen.“

Als Erfolgsstory will auch die Bildungsverwaltung das Thema Schulsanierung gern in der Öffentlichkeit dargestellt wissen: Senatorin Sandra Scheeres (SPD) kritisierte kürzlich in einem Schreiben an die Schulleitungen, es fänden sich immer wieder „Kronzeugen“, die ihre Schule „zur Schrottimmobilie“ erklärten. Vielmehr sei es aber Aufgabe der Schulleitung, „eine wie auch immer geartete positive Perspektive“ anzubieten – wobei es natürlich nicht um „Schönfärberei“ gehe.

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