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Foto: Valery Hache

Marketing in der ParfumindustrieNatürlich synthetisch

Neue Düfte entstehen heute im Labor. Viele Landwirte in Grasse geben auf, Rosen oder Jasmin anzubauen, doch eine Landwirtin stemmt sich dagegen.

Von Rebecca Ricker aus Grasse

C arole Biancalana muss sie überzeugen. Es ist der World Perfumery Congress 2007 und alles, was Rang und Nase hat, ist hier im Saal versammelt und schaut zu ihr hoch auf die Bühne. Biancalanas Botschaft ist klar: Ihr müsst uns retten.

Die Konferenz findet in einem Kongressgebäude direkt an der Mittelmeerküste von Cannes statt, einige Tage zuvor wurde an gleicher Stelle die Goldene Palme des berühmten Filmfestivals verliehen. Carole Biancalana braucht von hier mit dem Auto nur eine halbe Stunde zu ihren Feldern, die nahe der Stadt Grasse in den Voralpen liegen. In Grasse lebten früher viele Menschen vom Anbau von Parfumpflanzen. Doch immer mehr geben den Beruf auf. Zu unsicher, zu wenig rentabel.

Che­fs von Unternehmen wie Estée Lauder sprechen auf dem Kongress über den Zustand der Branche. Und Biancalana, die Landwirtin. Sie provoziert die Unternehmen, so erinnern sie und andere Teilnehmer den Kongress: „Unsere Tradition wird sterben, wenn ihr nichts tut“, soll sie gesagt haben. „Uns zu retten ist eure Pflicht.“

Wenn sich nichts tue, muss auch sie den Familienbetrieb aufgeben, fürchtet Biancalana. Parfumpflanzen-Landwirte würde es in Grasse bald nicht mehr geben. Mit ihnen würden die letzten Fabriken sterben, die den Blüten ihren Duft entziehen können. Bis schließlich nichts mehr wäre von der jahrhundertealten Parfumtradition von Grasse – der Stadt, die mal als Welthauptstadt der Düfte bekannt war.

Seitdem hat sich tatsächlich viel getan. Carole Biancalana ist auch 2021 noch Landwirtin, doch unter deutlich verbesserten Bedingungen. Sie kämpft immer noch darum, die Parfumpflanzen-Landwirtschaft zu sichern. Doch rettet sie wirklich die Tradition der Parfümerie von Grasse? Oder ist sie nur die perfekte Vorzeigefigur für das Marketing einer Milliarden­industrie?

Auf den Feldern ihrer Großeltern

Seit vier Generationen baut Biancalanas Familie Parfumpflanzen an. Erst in Italien, dann zogen ihre Großeltern in das Umland von Grasse. Hier lebt die 49-Jährige auch heute, mit ihrer Tochter, ihren Eltern und sechs Katzen in einem orangefarbenen Haus aus dem 18. Jahrhundert. Ein Bus fährt hier nur alle paar Stunden die Serpentinen hinab, vorbei an großen Gärten, Dörfern mit beigen Häusern, Mauern aus Natursteinen und ein paar Feldern.

Carole Biancalana fährt mit dem Auto auf ihr Grundstück, durch das Metalltor, an dem schon Anfang Dezember silberne, goldene und rote Schleifen befestigt sind. Sie steigt aus, zieht den schwarzen Poncho enger um sich und streicht sich eine Strähne ihrer blond gefärbten Haare aus dem Gesicht. Unter dem Poncho trägt sie eine weiße Bluse und ein Halstuch. „Normalerweise sehe ich anders aus“, sagt sie, „Da bin ich ungeschminkt und habe Gummistiefel an.“

Sie hat nicht viel Zeit, vor ihr liege ein Meeting-Marathon, sagt sie. Für das Gespräch nimmt sich Biancalana genau 75 Minuten. Wir setzen uns vor die Garagen an einen Tisch, von dem wir in die Felder und die Voralpen sehen können.

Hier am Hang bauen sie und ihr Vater Parfumpflanzen an: Rosen, Jasmin und Nachthyazinthen. Die Kälte hat die Blätter der Rosenbüsche grün-gelb verfärbt. Die Felder sind nur etwa vier Hektar groß, so wie sechs Fußballfelder. Wenn die Blumen blühen, bleiben wenige Wochen, um sie zu pflücken – per Hand. Für diese Zeit kommen Hilfskräfte, Biancalana und ihr Vater würden die Ernte nicht alleine schaffen.

Carole Biancalana half schon als Kind bei der Jasminernte. Doch Landwirtin wollte sie nie werden. Weil ihr das so wichtig ist, wiederholt sie es: „Ich wollte nicht! Ich wollte ein gesichertes Einkommen.“

Weg von den Feldern, weg von der Unsicherheit

Also studierte sie, fand Arbeit in einer Bank – und war unglücklich: „Ich habe die Arbeit im Büro gehasst, ich habe die Kunden gehasst, ich habe meinen Chef gehasst. Und dann fuhr ich zum Mittagessen zu meinen Eltern und hatte den Blick auf die Felder und Berge. Jeden Morgen bin ich aufgewacht und habe mich gefragt: Scheiße, was mache ich hier?“

Als ihr Vater Ende der 90er Jahre überlegte, was mit den Feldern nach seiner Rente passieren würde, tat ihr die Vorstellung weh: „Das, woran meine Großeltern und meine Eltern gearbeitet hatten, geben wir einfach auf?“ Ihr Vater warnte sie: Wenn ihre Freundinnen und Freunde an den Strand gehen, müsse sie auf den Feldern arbeiten, acht, neun, zehn Stunden am Tag. Das sei eine Entscheidung fürs ganze Leben.

Sie wollte trotzdem.

Carole Biancalana kritisiert ihren Vater nie, aber betont, dass sie alles anders machen wollte: „Ich habe mir gesagt: Ich werde mir nicht auf den Füßen rumtrampeln lassen.“ Ende der 90er gab es kaum noch Landwirte, die in der Region Parfumpflanzen anbauten, nicht einmal mehr zehn, sagt sie. „Es war die Chronik eines angekündigten Todes.“

Die stinkende Welthauptstadt des Parfums

Früher bauten mehrere Tausend Landwirte rund um Grasse Parfumpflanzen an. „Das gelobte Land der Parfümeure“, so beschreibt Patrick Süskind die Kleinstadt in seinem Roman „Das Parfum“.

Das mittelalterliche Grasse schimmert heute noch durch, trotz der Baugerüste und der Touristenläden: Rechte Winkel haben die Straßen nicht, sie wirken, als hätte man einen Teller Spaghetti auf eine Landkarte geschüttet. Manche Gassen sind nur einen Meter breit, manche führen durch Gebäude hindurch. Über dreißig Treppen führen in die Altstadt.

Hier, wo die Menschen auch noch bei zehn Grad draußen Mittag essen, haben früher Gerber ihre Felle ausgewaschen. Es muss gestunken haben, nach vergorener Haut, Fett und abgeschabten Haaren, die durch die engen Gassen schwammen. Um den Gestank zu überdecken, parfümierten die Gerber das Leder. Besonders duftende Handschuhe waren beliebt, die Händler von Grasse lieferten sie im 17. Jahrhundert bis an den französischen Hof.

Neben Rosen wachsen auf den vier Hektar von Biancalana auch Jasmin und Nachthyazinthen Foto: Valery Hache

Parfum war Luxus und wer Parfümeur werden wollte, kam nach Grasse. In der Parfumhauptstadt der Welt konnten sie lernen, wie man den Duft der Blumen gewinnt: Sie wendeten die Blüten in warmem Fett, dampften sie aus oder drückten sie in Siebe mit Schweinefett. Dafür müssen die Blumen frisch sein. Immer mehr Landwirte pflanzten an den Hängen der Voralpen Rosen, Orangen, Jasmin oder Nacht­hyazinthen an.

Mit der Industrialisierung entstanden Fabriken am Stadtrand. Die Frauen sammelten vor Sonnenaufgang die Blüten auf den Feldern, die Männer verarbeiteten sie in den Fabriken. Immer mehr Menschen konnten sich Parfum leisten. Und der Bedarf wuchs weiter.

Die Ernte von Jasmin oder Rosen ist noch heute Handarbeit. Wie schon ihre Großeltern sammelt Carole Biancalana mit ihren Helfern wochenlang kiloweise Blüten ein. Etwa 20.000 Rosenpflanzen wachsen auf ihren Feldern. Doch aus 700 Kilo Rosenblüten entsteht nur ein Kilo Rosenextrakt. Die Hel­fe­r müssen bezahlt werden, Ernten können ausfallen – das alles ist teuer.

Und dazu kam noch, dass die Unternehmen die Landwirte lange schlecht behandelt haben. „Man bezahlte uns nicht sofort, ließ uns drei oder sechs Monate warten. Oder sagte uns: Dieses Jahr wollen wir keine Blüten von euch“, erinnert sich Biancalanas Vater Hubert, den ich nur an einem anderen Tag auf dem Handy seiner Tochter erreiche. Sie steht neben ihm, während er telefoniert, spricht extra deutlich und sagt ihm, wenn er einen Begriff erklären muss oder eine Frage falsch verstanden hat.

Chemielabor statt Rosenfeld

Schon seit dem 19. Jahrhundert entwickelten Chemiker synthetische Stoffe, die den Geruch von natürlichen Düften imitieren. Sie sind meist billiger und immer verfügbar, und so sind die Unternehmen schon lange nicht mehr auf die Parfumbauern angewiesen. Seit den 1970er Jahren gaben immer mehr von ihnen auf. Stattdessen entstanden Labore, viele auch in Grasse, die an synthetischen Duftstoffen forschen.

Um zu verstehen, wie Parfums heute hergestellt werden, besuche ich Prodarom, den Verband der französischen Parfumindustrie. Von der Altstadt läuft man eine Viertelstunde auf dem schmaler werdenden Bürgersteig. Durch die Gartenzäune drängen sich die Zweige und Ranken von Pflanzen, die früher die Grundlage für die Parfümerie waren: Jasmin, Passionsfrüchte, Rosen und Orangenbäume. Das Gebäude von Prodarom dagegen sieht aus wie ein Parkhaus.

Im Keller sind die Klassenräume der Parfümeur-Schule, die der Verband betreibt. Dort riecht es süßlich, nach künstlichen Bananen. Im Regal stehen hier nicht nur Duftstoffe, sondern Chips, Gummibärchen, Sirup, Schokoriegel – Duftstoffe braucht man nicht nur für Parfums, sondern auch für Nahrungsmittel.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

In einem der Labore lernen zwei Schüler, die Inhaltsstoffe einer Flüssigkeit zu analysieren, die nach Vanille riecht. Dafür üben sie, mit der Pipette nur einen kleinen Fleck Wasser auf Küchenpapier zu tröpfeln. Hier sieht es tatsächlich so aus, wie man sich ein Labor vorstellt: Eine dunkle Flüssigkeit blubbert in einem Destillierkolben, an der Tafel hat die Chemielehrerin Formeln mit Wasserstoffteilchen angezeichnet.

Im Raum nebenan reihen sich ein paar Hundert nagellackgroße Fläschchen. Links die braunglasigen mit natürlichen Stoffen, daneben die Abteilung mit den durchsichtigen Fläschchen der synthetischen Duftstoffe. Sie ist dreimal so groß.

Die Arbeit der Parfümeure findet in Laboren wie diesem statt: Sie riechen an Pappstäbchen und mischen mit Pinzetten und Waagen. Doch daran sollen die Kunden beim Kauf von Parfums nicht denken, sagt Alain Ferro, Chemiker und Direktor der Parfümeur-Schule. „Eine Werbung würde nie sagen: Dieses Produkt ist komplett chemisch.“

Marketing ist nicht alles, aber ohne Marketing ist alles nichts

Ihr Image ist essentiell für Luxusmarken, weil sie eben nicht lebensnotwendig sind. Die Hersteller wollen das Bild kontrollieren, das sie vermitteln. Sie zeigen daher offen ihre Skepsis gegenüber der Berichterstattung: „Chanel wird sich bei Ihnen melden, falls ein Besuch von Ihnen für sie von Interesse ist“, sagt mir eine Landwirtin. Ist er nicht. Stattdessen reisen Blogger und Vogue-Journalisten auf Firmenkosten an und werden in der Erntezeit mit der Limousine zu den Feldern gefahren.

Die Marken brauchen die blühenden Rosenfelder, in denen Influencer Fotos für Instagram aufnehmen können. Doch diese Felder drohten zu verschwinden, als Carole Biancalana den Hof von ihrem Vater übernommen hat.

Sie wollte die Marken daran erinnern: Ihr braucht uns. Wir erzeugen etwas Außergewöhnliches. Also gründete Biancalana mit einem anderen Landwirt einen Verein: „Fleurs d’Exception du Pays de Grasse“, die außergewöhnlichen Blumen von Grasse. Und sie kontaktierte den World Perfumery Congress, das „Davos der Nase“, wie das Time Magazine ihn beschrieb.

Mehr als den Namen hatte der Verein von Biancalana nicht, keine weiteren Mitglieder, nicht mal eine Satzung. „Même pas peur“, sagt sie und lacht. „Das heißt: Man muss schon ein bisschen verrückt sein zu glauben, dass man zu zweit die Welt verändern kann.“

Wie beim Wein beeinflussen das Klima, der Boden und die Sorte das Aroma der Rosen. Nur Blüten aus Grasse riechen wie aus Grasse

Die Marken brauchen Landwirte aus Grasse nicht nur fürs Marketing. Den Rosenduft kann man zwar auch synthetisch herstellen, aus zehn, zwölf Molekülen, erklärt Alain Ferro vom Parfumindustrie-Verband. Aber in echten Blumen sorgen Hunderte oder Tausende Moleküle für einen komplexeren Duft. Und wie beim Wein beeinflussen das Klima, der Boden und die Sorte den Geruch. Blüten aus anderen Regionen riechen anders.

Gerade bei klassischen Düften wie N° 5 von Chanel wollen die Marken eine Kontinuität des Geruchs bewahren. Dafür brauchen sie die gleichen Zutaten wie früher. Das sind meist der Jasmin und die Rosen aus Grasse.

Der Vortrag von Biancalana kam zu einem günstigen Zeitpunkt. Seit den 2000er Jahren lehnen immer mehr Kun­den synthetische Produkte ab und wollten natürliche Inhaltsstoffe. Die Marken mussten ihr Image erneuern. Aber wie?

Immer der Nase nach

Ein Anruf bei François Demachy. Er ist verantwortlich dafür, dass sich Dior neu aufstellte und auf die Landwirte von Grasse zuging.

2006, ein Jahr vor Carole Biancalanas Vortrag, wurde Demachy Parfümeur bei Dior. Er wurde die „Nase“ der Marke, entwarf die erfolgreichsten Parfums der Marke, wie „J’adore“ und „Sauvage“. Zwar kann sich jeder Parfümeur nennen. Aber „Nasen“ gibt es nur wenige. Jahrelang trainieren sie, um mehrere Tausend Düfte zu unterscheiden, Harmonien zu erzeugen und neue Parfums zu kreieren. Diesen Luxus leisten sich nur wenige Marken, Demachy zählt nur vier, fünf andere auf.

Die meisten Marken produzieren ihre synthetischen Duftstoffe für ihre Parfums nicht selbst, sondern beziehen sie von großen industriellen Herstellern. Deren Namen kennt man nicht, auch wenn sie Milliardenumsätze machen. Sie stellen den Duft für Shampoos, Fertigkuchen oder Badreiniger her – oder eben Parfums. So war es bis 2006 auch bei Dior.

François Demachy erzählt, er habe sich als Nase von Dior sofort um die Inhaltsstoffe gekümmert: „Das ist wie bei einem Koch, der braucht gute Zutaten.“ Die synthetischen Stoffe seien die „Booster“, sie würden aber nie so riechen wie die natürlichen Duftstoffe. Doch die natürlichen Zutaten, gerade die Blumen aus Grasse, sind teuer: Sie kosteten fünf- bis zwanzigmal so viel wie Blumen aus anderen Anbauregionen. Demachy sagt, die industriellen Duftstoffhersteller könnten sich das nicht leisten.

Nach der Konferenz 2007 kam François Demachy auf Carole Biancalana zu. Er kannte ihren Namen, er war in Grasse aufgewachsen. Als Jugendlicher fuhr er immer auf dem Weg zum Tanzen durch Jasminfelder, erzählt er in der von seinem Arbeitgeber Dior produzierten Dokumentation „Nase“. Später jobbte er in einer Parfumfabrik und arbeitete als Parfümeur bei Chanel.

Demachy sagte Biancalana, er sei beeindruckt von ihrem Vortrag. Überzeugt habe ihn vor allem, dass sie einen anderen Beruf hatte und zum Blumenanbau zurückgekehrt ist: „Das heißt, sie hat das Für und Wider abgewogen, glaubt daran und wird alles dafür tun, dass es klappt.“

Kurz nach der Konferenz besuchte François Demachy bei einer Führung Biancalanas Felder, ohne zu offenbaren, dass er für Dior arbeitete. Er wollte sicher sein, denn sie war die erste Landwirtin, mit der er arbeiten wollte.

Dafür musste noch Claude Martinez, der Präsident von der Parfumabteilung von Dior zustimmen. Demachy brachte ihn zum Hof von Biancalana und nach nicht mal einer Stunde war Martinez überzeugt. „Er war verzaubert von der Persönlichkeit von Carole. Sie war auch sehr schön, blond“, erzählt Demachy und lacht.

2008 unterzeichneten sie den Vertrag: Dior würde fünf Jahre lang die Ernte von Biancalana abkaufen. Planungssicherheit, für Investitionen, für die Bank, für sie. „Ich wusste, das ist der Anfang“, sagt sie heute.

Das war der Anfang

Etwa 700 Kilo Rosenblüten braucht man für ein Kilo Rosenextrakt Foto: Valery Hache

Der Vertrag war ein Vorbild. Immer mehr Landwirte schlossen Langzeitverträge mit Dior und anderen Herstellern. Und immer mehr Landwirte traten „Fleurs d’Exception du Pays de Grasse“ bei, mittlerweile hat der Verein mehr als 30 Mitglieder. Sie begleiten neue Landwirte, die sich in der Region ansiedeln, zum Beispiel Vanessa Aubert.

Aubert hatte zuvor in Hotels gearbeitet und war wie Carole Biancalana unglücklich im Beruf. Sie machte eine Ausbildung zur Landwirtin und kam im ersten Praktikum zu Biancalana: „Als ich die Jasminfelder gesehen habe, war es Liebe auf den ersten Blick. Man macht die Autotür auf und sofort strömt der Duft rein.“

Das war vor vier Jahren. Seitdem hilft Vanessa jedes Jahr bei der Ernte. Später kam auch ihr Mann dazu. Sie erzählt, wie „gebildet“ die Nase von Biancalana sei: „Ich rieche beim Jasmin schon die Bananen- und Mandelnoten. Aber so viel wie Carole noch nicht.“

Vanessa Aubert und ihr Mann fanden ein Hektar Land, Carole Biancalana kam mit und prüfte, ob es sich für den Jasminanbau eignete und genug vor Frost geschützt war.

Sie zeigte den neuen Landwirten auch, wie weit auseinander sie die Jasminpflanzen setzen müssen, damit der Traktor durchkommt. Über die Bank, bei der alle aus dem Verein sind, bekamen die Auberts ohne Probleme einen Kredit. Biancalana gab ihnen Tipps, unter welchem Preis sie nicht verkaufen sollten, „um keine illoyale Konkurrenz zu erzeugen“. Dieses Jahr bauten Aubert und ihr Mann das erste Mal selbst Jasmin an. Der Vertrag mit Dior ist schon sicher.

„Bei uns Alten machte jeder seinen Kram, dachte nur an seinen Hof“, sagt Hubert Biancalana. Von der Idee seiner Tochter, einen Verein zu gründen, ist er bis heute begeistert.

Sie mussten sich aber anpassen an die neue Arbeitsweise. Dazu gehört nicht nur die Arbeit auf dem Feld, sondern auch Werbung für die Marke: In dem Dokumentationsfilm „Nase“ sieht man, wie François Demachy zusammen mit dem Model Eva Herzigová die Rosenfelder besucht.

Sie setzt ihre Sonnenbrille nicht ab, sagt nur „Wow“. Carole Biancalana und Demachy erklären, wie man Rosen veredelt und erzählen vom Niedergang der Landwirtschaft. Herzigová unterbricht, sagt „Aber das ist doch einfach, das kann ich doch jetzt auch machen“ und lacht. Peinliche Stille.

Es sei lustig für sie und ihren Vater, sagt Biancalana: „Mein Vater erzählt das dann stolz im Dorf. Auch wenn er die Namen der Stars meist nicht aussprechen kann.“

Dior flog Carole Biancalana nach Singapur und Dubai, wo sie von ihrer Arbeit erzählen sollte, vor künstlich nachgebauten Rosenfeldern. Sie passt zum Image, das die Luxusmarken vermitteln wollen: eine elegante Französin, die sich den perfekten Rosen- und Jamsinanbau zur Lebensaufgabe gemacht hat.

In einem Making-of-Video erzählt sie: „Selbst wenn ich den Mist auf den Feldern austrage, parfümiere ich mich.“ Luxusprodukte, die für alle zugänglich sind, Selbstverwirklichung in der Produktionskette – das vermittelt das Video. Dazu nur die besten Zutaten, die Rosen aus Grasse.

„Natürliche Inhaltsstoffe“ und „keine Chemikalien“ – so beschrieb Claude Martinez, der Chef der Parfumabteilung von Dior in einem Welt-Interview, wie er sich die Zukunft der Branche vorstellt.

Natürlich verwende er viel mehr synthetische Stoffe als natürliche, sagt François Demachy. Selbst von den natürlichen Zutaten seien die Blüten aus Grasse nur ein winziger Teil. Auf etwa zwölf Hektar wachsen hier Blumen für Dior – für alle Parfums der Marke.

Alles nur Marketing?

Auch Demachy stört es, wenn damit geworben werde, dass die Produkte komplett natürlich seien: „Das ist einfach falsch. Das ist ein großer Betrug an den Konsumenten“. Es gebe „offensichtliche Mängel von unserer Seite“ bei der Vermittlung, gibt er zu.

Das Problem sehe er besonders bei Marken, die ihr Parfum nicht selbst herstellten. Diese Marken hätten keine Kontrolle über die Inhaltsstoffe: „Die meisten Parfumhäuser, um nicht zu sagen hundert Prozent, werden von Menschen geführt, die keine Ahnung von Parfums haben. Die Qualität der Inhaltsstoffe interessiert sie nicht. Für sie ist nur wichtig, dass sich das Parfum verkauft“, sagt Demachy.

Manche Hersteller hätten ihre Parfums mit Rosen aus Grasse beworben, obwohl die gar nicht darin enthalten gewesen seien: „Das hat sie nicht gestört, weil sie es nicht wussten.“

Carole Biancalana ist natürlich überzeugt von der Qualität des echten Blütenduftes: „In einem Parfum sind viele Zutaten, aber die natürlichen Zutaten machten die Exzellenz aus.“ Sie weiß, dass die Marken die Verwendung von synthetischen Stoffen verstecken, das sei eben „nicht so hübsch, nicht so Glamour“.

Für Biancalana ist das keine Lüge, sondern der Sinn von Werbung: Sie betont das Herzstück des Produkts, den größten Edelstein im Diadem. Werbung solle „zum Träumen anzuregen“ und die Parfums sollen etwas Magisches sein.

Biancalana hat erkannt: Für die Geschichte, die die Marken erzählen wollen, brauchen die Marken sie. Demachy stellt es so dar: „Wir brauchen sie und sie braucht uns.“

Früher arbeitete ganz Grasse im Rhythmus der Ernte auf den Feldern und der Verarbeitung in den Fabriken. Heute scheint es, als sei die ganze Stadt am Marketing beteiligt. Dabei hilft, dass sich die Parfümerie von Grasse seit 2018 Weltkulturerbe nennen lassen kann. Der frühere Bürgermeister und Senatsabgeordnete Jean-Pierre Leleux hatte Carole Biancalana gefragt, ob sie ihm beim Antrag helfen könne: Sie trug mit ihrem Vater die Geschichte des Parfumanbaus und das Wissen zusammen, wie man die Felder bestellt.

In einem siebenseitigen Brief an das Unesco-Komitee schrieb Leleux dann: „Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, in denen ich fast nackt auf dem Bett lag, um einzuschlafen. Ich atmete tief ein und füllte meine Nase und meine Lungen mit dieser warmen, mit wohlriechenden Düften gefüllten Luft.“ Der Antrag hatte Erfolg.

Spätestens damit ist Grasse eine Marke geworden, mit der sich die Unternehmen schmücken: Sie drehen Werbevideos auf den Feldern, alle großen Parfumindustrie-Unternehmen versuchen, ihre Verbindung mit der Stadt zu betonen.

Anfang Dezember, im Museum der Parfümerie, erzählt eine Historikerin aus Paris, wie sich die Parfümeure am Orient inspiriert haben. Sie zeigt Bilder, die zum Träumen anregen sollen: Karawanen, Gewürze und Gemälde von Frauen im Harem. Biancalana ist mit einer Freundin gekommen. Sie holt aus ihrer Handtasche kleine Fläschchen mit Parfum raus, in der Größe von Impfstoffbehältern. Sie sind nicht zum Auftragen da, sondern zum Riechen.

Der Bürgermeister kommt zehn Minuten zu spät, grüßt Bekannte mit der Coronafaust, bevor er auf die Bühne geht. Dort dankt er dem Museum und begrüßt Biancalana persönlich.

Die Parfümerie in Grasse und Biancalanas Platz darin sind gesichert. Ihre Tochter arbeitet zwar noch nicht in der Landwirtschaft, aber für Biancalana ist klar: Sie wird den Betrieb übernehmen. Die Geschichte der Rosenfelder wird also weitergehen. Und damit die Lüge der Parfum­industrie von den natürlichen Parfums?

Die Marken nutzen das Vorurteil gegenüber Chemie aus. Synthetische Stoffe sind nicht schlechter als natürliche. Das stimmt.

Aber trotzdem: Wer ist nicht berührt von dem Geruch von Rosen, von der Fülle der Blüten, gerade von dem nicht Notwendigen, dem Überfluss? Wenn die Bewahrung der Felder auf einer Lüge beruht, ist es das nicht wert?

Rebecca Ricker ist Praktikantin der taz am wochenende. Bei der Recherche hat sie gelernt, dass wir unseren Geruchssinn massiv unterschätzen: Wir können sogar riechen, ob in unserem Wein eine Fruchtfliege verendet ist.

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