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Mark Zuckerberg schafft Faktenchecks abDer reichste Bierpong-MC der Welt

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Er wolle zu den Wurzeln zurückkehren, begründet der Meta-Chef den scharfen Rechtsdreh auf seinen Plattformen. Warum das nicht einmal gelogen ist.

Ansage in Abi­turienten-Gangsta-Optik: Meta-Chef Mark Zuckerberg Foto: Erik Irmer

G oldkettchen und Schlabbershirt, die Haare nicht mehr so kreuzbrav angelegt, ein bisschen Abi­turienten-Gangsta-Optik. Die 900.000-Dollar-Armbanduhr war vielleicht etwas dick aufgetragen, als Meta-Chef Mark Zuckerberg verkündete, dass er, dem gesellschaftlichen Trend folgend, die professionelle Moderation der schlimmsten Hassrede auf seinen Plattformen Face­book, Instagram und Threads komplett einzustellen plane.

Menschenwürde und sonstige Unversehrtheit marginalisierter Personen wird damit im Wesentlichen einem Mob­-Voting ausgesetzt. Was soll schon schiefgehen? Zuckerberg versteckt sich ein bisschen hinter dem im angloamerikanischen Raum verbreiteten Free-Speech-Fundamentalismus, also der Verteidigung des Rechts auf jegliche freie Rede, völlig gleich, welchen Inhalts sie ist.

Die Kritik an dieser Haltung ist, dass mindestens der Aufruf zu Straftaten, aber auch besonders üble menschenfeindliche Anwürfe aus Jugend- und sonstigen Schutzgründen eingehegt werden sollten, um einen noch irgendwie zivilen Diskurs zu ermöglichen. Was die Kriterien für die Definition roter Linien sind, wäre transparent zu machen. Überzogene Zensur und Willkür müssten mit Rechtsmitteln anfechtbar sein. So weit, so gut und Zuckerberg egal.

Denn genauso kriecherisch, wie er bei Anhörungen im US-Kongress in den vergangenen Jahren mit seinem artigen „Yes, Sir“ und „No, Sir“ auftrat, hängt er sein Fähnchen auch jetzt nach dem politischen Wind. Der weht in den USA nur in Sachen Pornografie zuverlässig immer aus derselben Richtung („VERBOTEN!!!“). Rassismus, Misogynie und Transfeindlichkeit sind jetzt eben „Mainstream“, also erlaubt, wenn nicht gar erwünscht. Das dazu passende Wahlergebnis wurde ja erst in dieser Woche vom Kongress zertifiziert.

Zurück zu den Wurzeln, „back to the roots“, nennt Zuckerberg diesen scharfen Rechtsdreh – und das ist nicht einmal vollständig gelogen. Startete der Facebook-Vorläufer Facemash doch als Uniportal, auf dem die Harvard-Verbindungs-Bros die körperliche Erscheinung ihrer Kommilitoninnen bewerten konnten. Back to the roots? Zuckerberg ist mit gestandenen 40 Jahren einfach nur der reichste Bierpong-MC der Welt geworden. Dass seine Gäste vor aller Augen Homos, Ausländer und Brillenschlangen verprügeln, ist ihm egal, solange der Rubel rollt. Nebenbei: Seine jämmerliche Verkleidung im Kleinkriminellenlook darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie unerhört es ist, dass Zuckerberg nicht spätestens seit dem auf seiner Plattform geplanten und geförderten Genozid an den ­Rohingya in Myanmar per internationalem Haftbefehl gesucht wird.

Ob es zu spät ist, entscheidet nicht Zuckerberg

Ach, Großkapitalismus und Faschismus vertragen sich einfach zu gut: Der eine funkt dem andern nicht dazwischen. Plattformherrscher wie Mark Zuckerberg sind dabei nur die deutlich sichtbare Spitze des Eisbergs. Denn die gesamte Kapitalfraktion, nicht nur ein paar größenwahnsinnige Techmilliardäre, kehrt weltweit zu ihren Wurzeln zurück. Erinnert sich noch jemand an das Drama um die letzten Berufungen an den ­Supreme Court der USA?

Da ging es selbstverständlich auch um Abtreibungen, Redefreiheit und Minderheitenrechte – aber noch um einiges mehr. Im Gefühl völliger Unantastbarkeit und einer seit Jahrzehnten voranschreitenden Schwächung zivilgesellschaftlichen, gewerkschaftlichen und politischen Widerstands werden nicht nur ohnehin marginalisierte Menschen zu Freiwild erklärt. Nein, gleichzeitig werden auch die Rechte abhängig Beschäftigter beseitigt, Umweltschutzauflagen in die Tonne getreten, Kartellbehörden entmachtet.

Aus derselben großen Koalition der Niedertracht, aus der heraus Frauen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung abgesprochen wird, aus der heraus LGBTQI als „mental gestört“ bezeichnet werden, aus der heraus abgeschoben und ermordet wird, wer sich nicht ins autoritäre Normal einfügen kann oder will – aus genau dieser Ecke werden Krankenhäuser privatisiert und geschlossen, wird der Mindestlohn unterlaufen, werden Urwälder abgeholzt, werden unter großen Opfern erkämpfte Errungenschaften wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zur Disposition gestellt. Abermilliarden werden dort in Rüstung, Überwachungstechnologien und Aufstandsbekämpfung investiert. Man wird schon wissen, warum.

Mark Zuckerberg, dieser autoritäre Charakter, ist in all seiner Peinlichkeit einfach der ideale Vertreter einer Oligarchie, die auch in Deutschland immer unverschämter auftritt. Sie randaliert gegen das bisschen sozialen Ausgleich, den die westliche Welt sich noch leistet – weil sie in einer brutal darwinistisch aufgestellten Gesellschaft noch mehr Profite machen kann. Die Zerstörung des demokratischen Diskurses ist dabei kein Nebenschauplatz, sondern wesentlicher Teil des Programms zur Verhinderung jeglicher Organisation von Widerstand und gelebter solidarischer Übereinkunft. Die sadistische Erniedrigung der Schwächsten ist dabei das Unterhaltungsprogramm für ein zunehmend verrohtes Publikum.

Die Frage, ob es okay ist, die zentralisierten digitalen Plattformen zu benutzen, ist längst beantwortet: Nein. Von viel größerer Bedeutung ist jetzt die Einigung darüber, was stattdessen getan werden kann, um der dort absichtlich verschärften Vereinzelung und Spaltung noch entgegenzutreten. Zuckerbergs 900.000-Dollar-Uhr sagt ihm genau, wie spät es ist. Ob es wirklich zu spät ist, das aber entscheidet nicht er.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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8 Kommentare

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  • Ich habe Soziale Medien schon gemieden als ihr noch Freitags meintet ein bisschen Schulschwänzen wäre sowas wie eine politische Willensbekundung.

  • nieder mit den oligarchen!

  • Das Beste:



    "Die sadistische Erniedrigung der Schwächsten ist dabei das Unterhaltungsprogramm für ein zunehmend verrohtes Publikum."



    Herr Merz, ich höre: ...

  • GottseiDank gibt es die Meinungsfreiheit. Ich frage mich, ob solche Artikel wie dieser hätte erscheinen könnten ohne Meinungsfreiheit.

    Entgegen der Darstellung des Autors ("...Recht(s) auf jegliche freie Rede, völlig gleich, welchen Inhalts sie ist."), gibt es auch in USA Grenzen des Sagbaren. Die sind nur weiter gefasst als in Deutschland, da die Meinungsfreiheit in den USA einen höheren Stellenwert hat.

    Das Facebook sich an das Gesetz halten muss, ist absolut notwendig. Mehr aber auch nicht. Jede weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit (z.B. durch sog. Faktenchecks) können die Medien, hier also Facebook, selbstständig bestimmen. Facebook hat sich dafür entschieden, einen größeren Meinungsspielraum zuzulassen: legal und legitim. Dafür wollen sie einen alternativen Mechanismus (Community Notes) implementieren, m.E. eine pragmatische Lösung.

    Falls der Gesetzgeber mehr Einschränkungen möchte, muss er das Gesetz ändern. Eine solche Entscheidung müsste demokratisch gefällt werden.

    Ich bin gespannt auf die Erfahrungen, die mit dem neuen System gemacht werden. Die große Skepsis des Autors kann ich aber nicht teilen.

  • Yepp. Der Kommentar trifft alle Nägel auf den Kopf. Aber da Kapitalismus an sich ja unanfechtbar ist und man sich hierzulande der Illusion hingibt, es gäbe so etwas wie eine soziale Marktwirtschaft, ist Lösungsfindung für die strukturellen gesellschaftlichen Probleme eh nicht en Vogue.

  • L'art pour l'art. Hate speech weil es die Meinungsfreiheit auszunutzen gilt. Simone Weil lässt grüßen. Wäre nicht so, dass sie in Europa diese Einstellung nicht schon vor 80 Jahren kritisiert hatte. Aber wir wollten ja lieber Wachstum. Das wir unsere eigene Kultur und unsere bereits begangenen Fehler nun noch mal weiter entfremdet reimportieren, ist bitter. Wenn die Zukunft eine Wissensökonomie ist, dann ist die Verbreitung von Unwissen bereits ein der Beginn eines Wirtschaftskriegs. Die Frage ist eigentlich nur wer gegen wenn, oder ist das eher so ein alle gegen alle?

  • Mal ganz im Ernst: Wen juckt das?! Wurde vorher denn auf Instagram und Co. „gut und vernünftig moderiert“? Und falls hier jemand „Ja!“ ruft, der soll sich doch bitte mal die Kommentarsektion auf dem Kanal der Influencerin Curved Maria ansehen…

    P.s.: wer sich politisch oder auch ganz generell über Social Media glaubt weiterbilden zu können/müssen: dem ist ohnehin nicht zu helfen, Faktencheck hin oder her…

    • @Gregor von Niebelschütz:

      Wenn man weiß, was man sucht, findet man auf YouTube gute Handwerker-Videos, wenn auch mit Werbung. Aber das weiß man.