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„Marburger Modell“ für die Verkehrswende„Das Geld hilft, Carsharing mal auszuprobieren“

Die Stadt Marburg bezahlt Menschen, die ihre Autos abmelden. Jeder unbenötigte Parkplatz entlaste den Haushalt, erklärt Baustadtrat Michael Kopatz.

Fürs Klima, für den Haushalt, für Straßenbäume: Die Stadt Marburg in Hessen will weniger Autos Foto: Depositphotos/imago
Nick Reimer
Interview von Nick Reimer

taz: Herr Kopatz, wer in Marburg sein Auto abmeldet, bekommt Geld dafür. Wofür denn das?

Michael Kopatz: Es gibt zunächst bis zu 800 Euro für das Carsharing. Gerade im innerstädtischen Raum besitzen viele Menschen ein Stehzeug – kein Fahrzeug: Die meiste Zeit steht das nur rum. Das Geld hilft, Carsharing mal auszuprobieren.

Bild: Christopher Rommel
Im Interview: Michael Kopatz

53, ist Mitglied der Grünen und Baustadtrat in Marburg, Hessen.

taz: Dazu gibt es Einkaufsgutscheine im Wert von bis zu 400 Euro.

Kopatz: Die können in mehr als 400 verschiedenen Läden in Marburg eingelöst werden. Der Umsatz verbleibt in der Stadt, die Gutscheine sind ein Instrument der Wirtschaftsförderung. Wer möchte, bekommt auch noch bis zu 600 Euro für das Deutschlandticket. Insgesamt können Gutscheine im Wert von bis zu 1.200 Euro ausgewählt werden.

taz: Und 50 Euro Klimabonus gibt es auch noch. Im Sommer lief das Programm an, wie ist die Resonanz?

Kopatz: Ausgezeichnet! Die ersten 50 Prämien waren im Nu beantragt, obwohl wir dafür nicht sehr große Werbung gemacht haben. Deshalb haben wir 50 weitere ausgelobt.

taz: Was sind das für Menschen, die mitmachen?

Kopatz: Ganz unterschiedliche. Da sind Leute aus den umliegenden Dörfern, die das Zweitauto abmelden, oder Jüngere, die in der Stadt gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sind, sowie Ältere, die sowieso schon mit dem Gedanken gespielt haben, ihr Auto abzugeben.

taz: Was hat die Stadt Marburg davon?

Kopatz: Vor allem Kostenersparnisse. Bei uns werden Quartiersgaragen gefördert. Hier kostet uns ein Parkplatz mindestens 30.000 Euro. Jeder Parkplatz, den wir nicht mehr benötigen, entlastet also den Finanzhaushalt. Zudem kostet uns die Unterhaltung eines öffentlichen Parkplatzes jährlich mehr als 300 Euro. Dazu kommen die externen Kosten für die Volkswirtschaft.

taz: Welche sind das?

Kopatz: Beispielsweise die Kosten für das Gesundheitssystem: Schadstoffbelastung oder Lärm machen krank. Betrachten Sie die Landschaftszerschneidung oder die Klimaeffekte: Einerseits sinkt der Wert einer Immobilie, wenn eine Straße in ihrer Nähe gebaut wird, andererseits summieren sich die Schäden der jährlichen Katastrophen mittlerweile auf Hunderte Milliarden – wenn Sie nur ans Ahrtal oder die Hurrikansaison in Amerika denken.

taz: Gibt es andere Vorteile als die monetären?

Kopatz: Natürlich! Wir bekommen beispielsweise viel mehr Möglichkeiten bei der Klimaanpassung. Wenn Anwohner um Parkplätze kämpfen müssen, werden sie wenig begeistert sein, wenn wir dort einen neuen Baum pflanzen wollen. Sinkt der Druck, wächst die Akzeptanz für mehr grün.

taz: Wie sind Sie denn auf die Idee für dieses „Marburger Modell“ gekommen?

Kopatz: Tatsächlich über einen Experten aus der Autowirtschaft. Der konnte ein Jahr lang nicht Auto fahren und hat sich dafür eine Bahncard 100 gekauft. Ich habe ihn im Zug getroffen und er sagte mir: völlig verrückt, wie ich mit Auto gelebt habe. Wenn ich heute von meinem Arbeitsweg nach Hause komme, sind die Berichte bereits geschrieben. Früher musste ich mich dafür erst noch hinsetzen, wenn ich angekommen war.

taz: Positive Erfahrungen ändern unser Verhalten?

Kopatz: Genau! Wir leben mit automobilen Routinen. Dabei sind andere Mobilitätsformen unserem Leben oft viel angemessener. Es muss darum gehen, neue Routinen zu entwickeln.

taz: Wie lief denn die Debatte im Stadtrat zu Ihrem Plan?

Kopatz: In Marburg regiert die SPD mit den Grünen und der Klimaliste – eine Abspaltung der Grünen, die mehr Klimaschutz will. Es gab große Zustimmung bei allen Fraktionen – außer bei der CDU. Die argumentierte, dass die Pläne Marburg teuer zu stehen kommen. Und dass wir nicht ausschließen können, dass Prämien erschlichen werden.

taz: Können Sie das denn ausschließen?

Kopatz: Wir haben Prüfmechanismen eingeführt. Die Mehrheit der Teilnehmer hat ihr Auto nicht nur abgemeldet, sondern gleich ganz abgeschafft. Trotzdem kann es natürlich sein, dass es Betrüger gibt: Wenn Sie das ausschließen wollen, müssen Sie das System so komplex gestalten, dass es viel zu bürokratisch ist.

taz: Wie geht es jetzt weiter? Kommen im nächsten Jahr wieder 100 neue Prämien dazu?

Kopatz: Ich arbeite daran. Schließlich ist das Modell so erfolgreich, dass bereits andere Kommunen aufmerksam geworden sind. Frankfurt am Main zahlt beispielsweise allen, die ihr Auto abmelden, 600 Euro für den Nahverkehr.

taz: Ein Modell für ganz Deutschland?

Kopatz: Ich hoffe, dass Länder und Bund darauf aufmerksam werden. Denn es ist ein exzellentes Mittel für die Verkehrswende. Anstatt jedes Jahr mehr als 10 Milliarden für Dienstwagen und Dieselautos zu verschenken, sollten wir den Menschen lieber Geld geben, wenn sie etwas zum Klimaschutz beitragen und die Städte entlasten.

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3 Kommentare

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  • Und wieder mal werden Städter übervorteilt - die haben schon fußläufige Anbindung an Schulen, Geschäfte, einen wahrnehmbaren ÖPNV - und jetzt halt auch noch Prämien für Bahnticket und eine Mini-Abwrackprämie - während die 'Idioten' die auf dem Land leben, die keinen ÖPNV haben, die für jedes Geschäft fünf Kilometer fahren müssen, mal wieder in die Röhre schauen...



    So geht Solidarität🙄



    Einmal mehr beweisen Grüne und Klimaliste das sie auch nur Klientelpolitik betreiben - und dann kommt bei nächster Gelegenheit wieder das große Gejammer, dass die Mieten und Preise für Immobilien in urbanen Lagen explodieren und keiner dort Wohnraum findet, während die Dörfer immer weiter vergreisen...👍



    Deutschland braucht gerade wirklich alles außer weitere Anreize für Menschen in Städte zu drängen.



    Da wird bei jeder Gelegenheit der Zeigefinger erhoben das Klima ein globales Problem sei und wir alle unseren Beitrag dazu leisten müssen - um dann wieder nur Angebote für einen klar abgegrenzten Teil der Bevölkerung zu schaffen...



    Absolut schlüssig, einleuchtend und stringent. Applaus 👏

  • Ich will keine Klimawende und werde das auf keinen Fall unterstützen.

  • Wahnsinn - Grüne können es einfach nicht.



    Wiedereinmal ein eindrucksvolles Beispiel!



    Mit dieser Maßnahme wird doch nur wieder Geld von unten nach oben umverteilt. Ärmere Personen haben kein Auto, welches sie abgeben könnten. Reichere Personen mit zwei oder drei Autos können dagegen schonmal einen Wagen abgeben und das Geld der Stadt einstecken,