Mangakunst in Hamburg: Ahnengeister der Popkultur
Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt japanische Holzschnitte. Die zeigen viele Parallelen zu modernen Phänomenen, sind aber nicht gleich Comics.
Dabei unterscheidet sich die Grafik äußerlich und in ihrer Herstellung kaum von den historischen Schnitten der Ausstellung „Hokusai x Manga“: Der Holzblock wurde auf traditionelle Weise bearbeitet, selbst das Papier für den Druck will man so wie vor 200 Jahren geschöpft haben. Unterhalten sollten auch die Motive der Edo-Zeit schon, als endlich Frieden herrschte und die städtische Kultur aufblühte – mit Theater, Literatur und, eben, Grafiken.
Mit den Holzschnitten der Edo-Zeit wurde Kunst erstmals massenhaft zur Unterhaltung eines nicht-adligen Publikums vervielfältigt. Die von professionellen Verlegern herausgegebenen Einzelbögen wurden dann wenig später sogenannte „kibyōshi“: Bilderhefte, die sich auch ohne Panels und Sprechblasen durchaus als frühe Comics lesen lassen. Daraus soll der Manga entstanden sein, dann Anime, Cosplay, Computerspiele und so weiter.
Im MKG könnte man also die Trommel schlagen: Comic! Schon ab 1680! Wenn auch eben beschränkt auf Japan. Und man hätte das meiste auch schon da: Die in der Tat bedeutende Sammlung japanischer Schnitte hat Museumsgründer Justus Brinckmann bereits in den erstens Jahren des Hauses angelegt. Nun hängen die alten Schnitte zwischen Vitrinen voller Spielzeug, Zeichentrickfilmen in Dauerschleife und einigen Spielekonsolen – rund 200 Exponate zählt die Ausstellung.
Der große Aufschlag in Sachen Comic-Geschichte bleibt allerdings aus. Das Problem: So faszinierend die Ähnlichkeiten auch sein mögen, sind die Wurzeln im Holzschnitt eben doch nur die halbe Geschichte. Und der Rest taucht hier nicht auf, weil er nicht allein im Mikrokosmos Japan stattfindet, und weil Manga eben auch immer schon Comic war, also Teil einer weltweiten Entwicklung.
Nach der Öffnung des abgeschotteten Staates waren es US-amerikanische Karikaturen, die japanische Zeichner beeinflussten – auch Sprechblasen und Panels wurden importiert. Und als der moderne Manga nach dem Zweiten Weltkrieg zu sich fand, hieß das große Vorbild des unbestrittenen Großmeisters Osamu Tezuka: Walt Disney.
Interessant ist die Ergänzung der alten Sammlung um ihre Nachfolger trotzdem. Auch der auf Japan beschränkte Blick ist nachvollziehbar. Nur irritiert dann eben die Wahl der Künstler: So nimmt etwa Jirō Taniguchi viel Raum ein. Einerseits wohl, weil der kooperierende Carlsen-Verlag ihn prominent im Programm führt. Aber auch in der Logik der Ausstellung stehen seine entschleunigten Stadtspaziergänge für eine Rückkehr zum ersten Boom des Reisethemas um 1830. Mitsamt Naturkult um den Berg Fuji. So lässt sich Taniguchi auch ganz geschickt neben diese sich brechende blaue Welle von Katsushika Hokusai hängen – dem wohl bekanntesten japanischen Bild aller Zeiten.
Doch Taniguchi ist vor allem ein europäischer Künstler, ist hier berühmter als dort und hat schon mit der französischen Comiclegende Moebius zusammengearbeitet: „Ikarus“ erscheint dieser Tage auf Deutsch.
Die kuratorische Suche nach Ähnlichkeiten tut auch Keiji Nakazawas Meisterwerk „Barfuß durch Hiroshima“ unrecht, das vom Ende des zweiten Weltkriegs erzählt. In der Ausstellung hängen ein paar Seiten, die den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima zeigen: schmelzende Menschen, überall Trümmer und ein brennendes Pferd. Es sind eben diese Seiten, über die Art Spiegelman einmal gesagt hat, dass er sie im Fieber gelesen habe, als er selbst gerade mit der Arbeit an der Holocaust-Erzählung „Maus“ begonnen hatte.
Im Museum korrespondieren diese Seiten mit der historischen Darstellung eines Erdbebens Mitte des 19. Jahrhunderts. Zwar ist es beeindruckend, wie die Trümmer einander ähneln, jedoch inszeniert Nakazawa die Atombombe gerade nicht als Naturkatastrophe. Er betont vielmehr gerade die Rolle des japanischen Durchhalte-Patriotismus für den Krieg. Das war ein Tabubruch, der völlig übergangen wird von der äußeren Ähnlichkeit zweier gebrochener Dachstühle.
Doch auch wenn die Leitfrage mitunter in die Irre führt: An anderer Stelle sind die Detailbeobachtungen großartig. Wo etwa herausgearbeitet wird, wie der Holzschnitt die Linienführung von Malerei und Kalligrafie nachahmt, um später wieder nachgezeichnet zu werden. Oder wie sich in Ornamenten Schriftzeichen verbergen – die Namen der verbotenerweise abgebildeten Kurtisanen und Schauspieler.
Subversive Strategien also bereits in den allerersten Tagen der Massenkunst. Und das scheint tatsächlich in die Tradition eingegangen zu sein – da, wo es um das Geschlechterverhältnis geht. Der Manga „Lady Oscar“ oder „Die Rosen von Versailles“ zeigte Anfang der 1970er-Jahre eine Frau in soldatischer Uniform mit Degen.
Die Geschichte spielt kurz vor der französischen Revolution, die Nähe zu Marie Antoinette steigert sich mindestens bis zu homoerotischen Andeutungen. Bemerkenswert ist es schon, dass ausgerechnet im shōjo-Manga, bei Büchern also, ausdrücklich für Mädchen geschrieben und vermarktet, Verschiebungen im Geschlechterverhältnis auftun. Das zeigt die Ausstellung im Verbund mit dem heute populären „Boys Love“-Subgenre, das – wieder für Mädchen – von homosexuellen Jungs erzählt.
Und Manga und Anime wurden nicht nur als Konsumartikel exportiert, sondern mitsamt der schon von Hokusai bekannten Zeichen-Lehrbücher – vor allem aber der Aneignungsstrategien. Das wäre auch eine Geschichte des Internets, wo heute etwa die „Fansub-Szene“ neue Episoden von Anime-Serien nach wenigen Stunden mit Untertiteln versieht.
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