Malender Roboter in Konstanz: Vom Impressionismus an geht alles
An der Konstanzer Uni malt ein Roboter mit echter Farbe auf echter Leinwand – verblüffend präzise und authentisch. Was unterscheidet Kunst von Handwerk?
KONSTANZ dpa | Immer wieder taucht David den Pinsel in die Farbe, dreht sich zur Leinwand und setzt ganz sacht einen Strich darauf. Noch ist das Bild nicht fertig, aber man kann schon erkennen, welchem Motiv er sich widmet: Der Statue „Der Denker“ des französischen Bildhauers Auguste Rodin.
Vorsichtig setzt David noch einen Pinselstrich mit weißer Farbe an eine Stelle des Bildes, die ihm etwas zu dunkel scheint. Dann dreht er sich mit einem mechanischen Surren und ein wenig ruckartig wieder zurück zu den Farben. Denn David ist kein Mensch. Er ist ein Roboter.
„Uns hat interessiert: Wie kann man menschliche Malstile mathematisch beschreiben“, sagt der Konstanzer Informatikprofessor Oliver Deussen. Mehr als drei Jahre lang haben er und sein Team dem Roboter „e-David“ – eine Abkürzung für „Drawing Apparatus for Vivid Interactive Display“ – das Malen beigebracht.
Ursprünglich war die Maschine ein Industrieroboter, der zum Schweißen von Autokarosserien verwendet wurde. „Wir haben ihn mit einer Kamera und einem Rechner gekoppelt“, sagt Deussen. Zusätzlich ist e-David mit einer Staffelei, einer Farbpalette, Pinseln und einer Art Waschstation ausgestattet.
15 Stunden Arbeit
Um den Roboter zum Malen zu bringen, erhält sein Rechner Daten von den Wissenschaftlern, beispielsweise ein Bild. Ein spezielles Programm errechnet daraus, welche Pinselstriche e-David an welcher Stelle auf die Leinwand setzen soll. Dann macht er sich an die Arbeit – und beginnt, die verschiedenen Stellen der Leinwand mit Farbe zu füllen.
Für das Motiv des „Denkers“ braucht er rund 15 Stunden. „Während er malt, überwacht er sich immer wieder selbst, indem er das Gemalte mit der Kamera aufnimmt und mit dem gewünschten Ergebnis vergleicht“, sagt Deussen.
Das heißt: e-David überprüft, ob die Helligkeit in allen Bereichen des Bildes mit dem Original übereinstimmt. Kann er das Ergebnis nicht durch weitere Pinselstriche verbessern, hört er auf, fertig ist das Bild. Die Malerei, die dabei entsteht, wirkt auf seltsame Art künstlich und authentisch zugleich. Portraits hat e-David schon gemalt, Landschaftsbilder, Akte, Tiere, Stillleben.
Jedes der Motive ist gut zu erkennen, scheint mit raschen und zielstrebigen Pinselstrichen erschaffen zu sein. Bei einem Bild, das eine Hafeneinfahrt zeigt, erkennt man sogar Spiegelungen im Wasser. „Im Prinzip kann e-David vom Impressionismus an alles malen“, sagt Deussen.
Keine Bedrohung des Kunstmarktes
Ein Blick in die Zukunft lässt angesichts von e-David Fragen aufkommen: Kann man sich – mit einer kleineren, handlicheren Version des Roboters – seine gewünschten Landschaftsbilder oder Portraits künftig über Nacht fertigen lassen? Wie würde sich das auf den Kunstbetrieb auswirken?
„Von Robotern erstellte Bilder sind ein faszinierendes Feld, das gewiss über den Status von schlichter Spielerei hinausgeht“, sagt Robert van den Valentyn vom Kölner Auktionshaus Van Ham. Die aus dem Zufallsprinzip resultierenden Ergebnisse seien zwar verblüffend. „Jedoch bestenfalls das Ergebnis der Programmierer, welche in der Regel keine Künstler sind, sondern sich an bereits vorhandene Kunstformen anlehnen.“
Kunstwerke von Künstlern unterschieden sich im wesentlichen durch die notwendige intuitive und dem Menschen inhärente kreative Handlung. „Daher stellen die Computerbilder keine Bedrohung des Kunstmarktes dar, da sie eher der dekorativen Inneneinrichtung zuzuordnen sind“, sagt van den Valentyn. „Die chinesischen Malfabriken beliefern diesen Markt zu unglaublich niedrigen Preisen bereits heute. Ein eigenständiges Kunstwerk erhält man auf diese Weise allerdings nicht.“
Zukunft des Malens
Also werden wir auch in Zukunft noch Maler brauchen? „Ja“, sagt Holger Bunk von der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Zwar seien solche Maschinen und Roboter Herausforderungen für Kunstschaffende, sich in der Qualität und im Denken immer wieder neu zu positionieren. „Ich habe aber noch von keiner Entwicklung gehört, die das, was ich als Maler oder Kunstlehrer mache, grundsätzlich infrage stellt. Es ist bisher nie so gewesen, dass ich sagen muss: Ja, dann ändert sich ab sofort alles und Malen geht nicht mehr.“
Zwar sei die Qualität, in der solche Maschinen Bilder nachmalen, wahrscheinlich sehr verblüffend. „Aber im Grunde genommen ist das ja so etwas wie die Erfindung des Tonbandes“, sagt der Professor für Aktzeichnen und Malerei. „Vorher hatte man sich Witze erzählt, jetzt konnte man sie aufnehmen – in genau dem originellen Tonfall, wie das ein guter Erzähler macht. Das bedeutet aber nicht, dass man den Witz dann immer wieder toll findet, wenn man ihn abspulen kann.“
Vielmehr sei beim Prozess der Kunst ja gerade das Vorwärtsdrängen interessant. Ebenso wie der Vorgang der Zeitgenossenschaft – also der Tatsache, dass es immer wieder junge Tendenzen gibt, die Ältere zwar erkennen und sehen, aber nicht selbst machen können. „Ich weiß nicht, ob so eine Maschine diese Zeitgenossenschaft selbst entwickeln und erkennen kann“, sagt Bunk. „Oder ob sie nicht doch immer von dem Programmierer abhängig ist, der sozusagen die Aufmerksamkeitsfunktion der Maschine entwickelt.“
Ähnlich argumentiert auch Oliver Deussen: Der Roboter sei nicht der Künstler, sagt er. „Er ist eher eine Art moderner Pinsel.“ Denn noch malt e-David nur das nach, was man ihm vorgibt. Er ist also nur so gut wie der Mensch, der ihn lenkt. Für zukünftige Kunststudenten könnte das heißen: In ihrem Stundenplan steht neben Zeichnen, Farblehre oder Maltechnik eben auch das Programmieren.
„Exploratory creativity“
Künftig soll der Roboter auch lernen, verschiedene Objekte jeweils unterschiedlich darzustellen – den Hintergrund anders als den Vordergrund, Menschen anders als Gegenstände. Er soll fähig sein, zumindest grundsätzlich einen Bildaufbau durchzuführen und wichtige Objekte selbstständig zu erkennen.
Noch ist das Zukunftsmusik, aber vielleicht könnten verschiedene e-Davids eines Tages die Fleißarbeit von Malern übernehmen: diese fertigen die Skizze, legen die Details fest – und die Roboter malen Wiesen oder Wälder aus, geben Menschenmengen Gesichter oder bringen Struktur in ein Hausdach. Oder sie lernen, verschiedene Malstile zu imitieren, und liefern neue Gemälde im Stile Van Goghs.
Aber ist das dann schon Kreativität? Die britische Philosophin und Expertin für Künstliche Intelligenz, Margaret Boden, unterscheidet laut Deussen zwischen zwei verschiedenen Konzepten: Zum einen gebe es die „exploratory creativity“ (auf Deutsch etwa erforschende Kreativität), bei der man innerhalb bestimmter Regeln Möglichkeiten und Optionen auslotet. „Bezogen auf die Kunst bedeutet das zum Beispiel die Fähigkeit, Variationen eines Malstils umzusetzen“, sagt Deussen. „Das sind definitiv Dinge, die Roboter bereits tun und die in naher Zukunft von ihnen in noch weitaus größerem Umfang umgesetzt werden können.“
„Transformational creativity“
Das zweite Konzept ist laut Boden die „transformational creativity“: Dabei werden Ideen aus einem Bereich in einen anderen übertragen. „Transformative Kreativität liegt vor, wenn ich beispielsweise gesellschaftliche Zustände auf neue Art in Bildern zum Ausdruck bringe“, sagt Deussen. „Diese Art der Kreativität wird kaum oder nur sehr begrenzt von Maschinen umgesetzt werden können, da sie ein umfassendes Weltwissen voraussetzt.“
e-David bleibt von den Zukunftsfragen, die er aufwirft, unberührt. Scheinbar unbeirrbar dreht er sich zwischen Leinwand und Farbpalette hin und her, zwischendurch säubert und trocknet er seinen Pinsel an der Waschstation. Es ist still in dem kleinen Kellerraum an der Universität Konstanz, nur das leise Surren des Roboters ist zu hören.
Zur Sicherheit der Besucher geht eine Lichtschranke quer durch das Zimmer. Wird das Signal überschritten, stoppt sie den Roboter. „David ist eine Mischung aus jeder Menge Kraft und keinem Gefühl“, sagt Deussen. „Und trotzdem kann er so gefühlvoll malen.“
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