Anthropomorphe Roboter: Der Automat schaut traurig
Der neue Kollege ist ein Roboter: Dem Modell „Baxter“ ist anzusehen, wenn ihm etwas misslingt. Er lernt durch Zeigen und Vorspielen.
Im Gegensatz zu den streng funktionalen traditionellen Industrierobotern ist der Baxter menschenähnlich proportioniert. Er hat zwei Arme, deren Schultergelenke sich auf der gleichen Höhe wie bei einem ausgewachsenen Menschen befinden. Dort, wo beim Menschen der Kopf wäre, hat der Baxter einen Bildschirm, auf dem im Normalbetrieb zwei Augen zu sehen sind, die dorthin blicken, wo der Roboter als nächstes hingreifen wird.
Geht etwas schief, wird das Gesicht auf dem Bildschirm traurig, oder es schaut verwirrt drein. Der Roboter wird nicht irgendwo fest installiert, sondern er steht auf einem Gestell mit Rollen, das einfach am jeweils vorgesehenen Arbeitsort arretiert wird. Über verschiedene Kameras, die am Rumpf und an den Armen integriert sind, orientiert sich Baxter in seiner Umgebung.
Es gibt drei verschiedene Methoden der Programmierung von Baxter, von denen die einfachste gleichzeitig die derzeit spektakulärste ist: Wenn man den Roboter etwa darauf programmieren will, Werkstücke vom Band in Kisten zu sortieren, ruft man die entsprechende Funktion auf dem Bildschirm auf, greift sich einen der Arme und zeigt der Maschine direkt, von welcher ungefähren Zone des Fließbandes sie Teile einsammeln soll.
Die Assoziation zum Zeigen und Vorspielen bei Kindern ist naheliegend. Danach zeigt man dem Roboter noch, wie die einzusammelnden Teile aussehen und wo die Kiste steht, in der sie landen sollen. Eine solche einfache Programmierung dauert keine halbe Stunde und kann – und das ist der entscheidende Punkt – von jedem durchschnittlich intelligenten Menschen in kürzester Zeit erlernt werden.
Nicht mehr spezialisierte Ingenieure oder Experten, die viel Geld kosten und oftmals nicht in ausreichender Zahl verfügbar sind, sollen Roboter programmieren, sondern die Menschen, deren Arbeitsplatz sie ersetzen. Rodney Brooks, der Gründer von Rethink Robotics verwendet dabei natürlich das Wort „ergänzen“ statt „ersetzen“.
Dieser Text ist ein leicht veränderter und gekürzter Auszug aus dem Buch „Arbeitsfrei. Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen“. Es erscheint am 14. Oktober im Riemann Verlag, hat 288 Seiten und kostet 17,99 Euro
Kollege statt Konkurrent
Denn der Baxter, den seine Firma herstellt, soll ein neuer Kollege werden, kein Konkurrent. Und tatsächlich scheinen die ersten Erfahrungen mit den bereits ausgelieferten Robotern darauf hinzuweisen, daß die freundlichen, von jedermann programmierbaren Maschinen einige unumkehrbar geglaubte Trends verändern. In der Folge wird sich die zukünftige Struktur der Arbeit grundlegend wandeln.
Wenn tatsächlich die Kontrolle über die Maschinen nicht mehr ausschließlich in den Händen einer hochspezialisierten Ingenieurskaste liegt, sondern wieder Aspekte der täglichen Arbeit, die mit Kreativität, Verantwortung und eigenständigem Denken zu tun haben, an die „normalen“ Mitarbeiter delegiert werden, kann der von uns vielerorts beobachtete Trend zur Spaltung der Arbeitswelt abgeschwächt oder aufgehalten werden.
Eine häufige Folge von Automatisierung, die wir auf der Reise beobachtet haben, ist ja der Wegfall von Tätigkeiten mit mittlerer oder geringer Qualifizierung. Das kürzlich angekündigte erste Fast-Food-Restaurant, dessen Burger von Robotern gebraten werden sollen, wäre dafür ein Beispiel. Neue Jobs hingegen entstehen bisher überwiegend im hochqualifizierten Bereich und bei den austauschbaren und durch Zeitarbeit erledigbaren Tätigkeiten, für die Roboter gerade noch so zu teuer sind.
Laut Brooks finden sich aber in praktisch jedem Betrieb, an den seine Firma ihre neuartigen Roboter liefert, Mitarbeiter, die sich intensiv mit dem neuen digitalen Kollegen beschäftigen. Oft seien es Menschen, bei denen eigentlich niemand damit gerechnet hätte, weil sie für einfache, wenig anspruchsvolle Tätigkeiten eingestellt worden waren.
Kampfpreis von 20.000 Dollar
Ein weiterer gravierender Unterschied von Baxter und ähnlichen Robotertypen zur bisherigen Automatisierungstechnik ist schlicht der Preis. Während selbst relativ einfache Industrieroboter inklusive Programmierung praktisch nicht für Kosten unter hunderttausend Euro zu bekommen sind, geht Rethink Robotics mit einem Kampfpreis von zwanzigtausend Dollar in den Markt und macht dabei sogar noch satte Gewinne.
Natürlich ist der Baxter längst nicht so stark, schnell, auch nicht so präzise wie ein fünfmal so teurer konventioneller Industrieroboter, denn zaubern kann Rodney Brooks nicht. Seine Strategie, billige und von jedermann programmierbare Roboter zu bauen, fußt zu einem Teil auf der Kunst der Beschränkung. Viele Tätigkeiten in den Firmen, auf die der Baxter zielt, benötigen die Eigenschaften der ingenieurtechnisch hochgezüchteten großen Systeme gar nicht.
Die Begrenzung von Tragegewicht und Bewegungsgeschwindigkeit macht die Verwendung leichter und billigerer Komponenten möglich. Den Mangel an Präzision gleicht Baxter durch clevere Software aus, die zum Beispiel das Aufnehmen eines Werkstücks ähnlich erledigt wie ein Mensch, der, ohne hinzusehen, nach einem Gegenstand greift.
Statt hochpräzise auf einen zehntel Millimeter genau zuzugreifen, bewegt Baxter seine Greifer so, daß sich das Zielobjekt sicher zwischen den Zangen befindet. Beim Schließen des Greifers registriert ein Kraftsensor, welche Seite den Gegenstand zuerst berührt, und korrigiert die Armposition entsprechend. Für den Betrachter sieht es so aus, als würde sich der Roboter nach dem Zugreifen den Gegenstand zurechtrütteln.
Dem Verfahren fehlt die präzise, auch ein wenig furchteinflößende Eleganz und Kraft der großen Industrieroboter. Dafür ist es jedoch konkurrenzlos billig und funktioniert in vielen Anwendungsfällen ausreichend gut.
Perspektiven für Hochlohnländer
Die Folgen einer Automatisierungstechnik, die praktisch von jedermann programmiert und bedient werden kann, für die Arbeitswelt werden erheblich sein. Wenn flexible, einfach zu programmierende Roboter und eine neue Generation von computergesteuerten Fertigungsmaschinen miteinander kombiniert werden, öffnen sich völlig andere Perspektiven für die Produktion in ehemaligen Hochlohnländern. So wirbt Rethink Robotics auch damit, Industrieproduktion, die einstmals nach China verlagert wurde, wieder zurück in die USA zu holen.
Die Vision von Rodney Brooks für die Zukunft der amerikanischen Fertigungsindustrie klingt verdächtig nach dem Vorbild der Arbeitsweise des deutschen Mittelstands. Netzwerke kleiner, digital vernetzter, flexibel automatisierter Betriebe stellen die vielen verschiedenen komplexen Teile her, die dann vom Hersteller, der sich vorrangig um Verkauf, Service und Aufrechterhaltung des Markennamens kümmert, zu einem Produkt zusammengebaut werden.
Das Bestreben, die für die Produktion notwendigen Menschen noch weiter zu reduzieren, ist beileibe keine typisch westliche Eigenschaft mehr. Auch Foxconn, einer der größten Elektronikproduzenten der Welt, bei dem unter anderem fast alle iPhones des amerikanischen Herstellers Apple und viele weitere Elektronik und Computerprodukte von westlichen Marken hergestellt werden, hat angekündigt, aufgrund steigender Lohnkosten und lästiger Streiks in China eine Million Roboter installieren zu wollen.
Bei Lichte betrachtet, ist die Ankündigung vielleicht noch etwas vollmundig, da Roboter, die menschliche Fingerfertigkeit vollständig ersetzen können, gerade erst in den Labors Gestalt annehmen. Die Intention ist jedoch klar: weiter konkurrenzfähig zu bleiben, auch wenn die eigenen Lohnkosten steigen, indem man die Anzahl der Menschen reduziert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?