Mafiamorde und Hintermänner: Moralische Zweifel
Nach 25 Jahren wurde der vielfache Mörder Giovanni Brusca aus der Haft entlassen. Der Killer der Cosa Nostra profitiert von der Kronzeugenregelung.
Für viele in Italien ist das eine unglaubliche Nachricht: Giovanni Brusca ist seit Montag wieder auf freiem Fuß. Der 64-Jährige, einer der brutalsten Killer der sizilianischen Mafiageschichte, wurde jetzt nach 25 Jahren Haft entlassen.
Brusca gehörte zeitlebens zum Cosa-Nostra-Hochadel. Schon sein Vater kommandierte den Clan in dem kleinen Nest San Giuseppe Jato in der Provinz Palermo, und der Sohn wurde mit 19 Jahren zum Mafioso.
Seine Familie hatte sich den richtigen Verbündeten angeschlossen: den Corleonesi unter den Superbossen Totò Riina und Bernardo Provenzano. Die hatten sich seit Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts den Weg an die Spitze der Cosa Nostra freigekämpft, indem sie die alteingesessenen Bosse und deren Gefolgsleute einen nach dem anderen wegschossen. Hunderte Tote forderte dieser Mafiakrieg in Palermo und quer durch Sizilien.
Riina durfte sich mit dem Beinamen „la belva“(die Bestie) schmücken, während Giovanni Brusca, einer seiner bewährtesten Mordbuben, im eigenen Verein auf sizilianisch „u verru“ (das Schwein) gerufen wurde. Ihre Bestialität entfesselten die beiden auch in der Eskalation der Auseinandersetzung mit Vertretern des Staats, mit Polizisten, Politikern oder Staatsanwälten.
Giovanni Falcone und Paolo Borsellino
Im Jahr 1986 waren mehr als 400 Mafiosi im sogenannten Maxiprozess zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden, oft genug zu lebenslänglich. So etwas hatte es noch nie gegeben – gerade die Bosse wurden bis dato in der Regel „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen. Dieser erste Triumph der Justiz über die Cosa Nostra hatte zwei Namen: Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die beiden Staatsanwälte, die die Anklage vertreten hatten.
Einige Jahre später begann Riina seinen Rachefeldzug. Am 23. Mai 1992 wurde Giovanni Falcone auf der Autobahn vom Flughafen zur Stadt Palermo in die Luft gejagt. Giovanni Brusca war es, der per Knopfdruck auf die Fernbedienung die Explosion des Sprengsatzes auslöste.
Nicht einmal zwei Monate später wurde auch Falcones Kollege Paolo Borsellino, wiederum per Bombenanschlag, in Palermo ermordet. Der Staat antwortete mit einer Gegenoffensive. Im Januar 1993 wurde Totò Riina verhaftet, und dasselbe Schicksal ereilte Hunderte seiner Getreuen. Einige von ihnen wurden schnell zu Kronzeugen, zum Beispiel Santino Di Matteo. Um dessen Aussagebereitschaft ein Ende zu setzen, ließ Giovanni Brusca im November 1993 den zwölfjährigen Sohn Di Matteos, Giuseppe, entführen. Über zwei Jahre befand Giuseppe sich in den Verliesen der Mafia, dann ordnete Brusca an, den Jungen zu erdrosseln und in Salzsäure aufzulösen.
„Was für eine Gerechtigkeit ist das, wenn so einer rauskommt?“, empört sich jetzt Giuseppes Vater, „Riina ist im Gefängnis gestorben, und dasselbe hätte Brusca widerfahren müssen.“ Aufgebracht zeigt sich auch die Frau eines der zusammen mit Staatsanwalt Falcone ermordeten Begleitschützer: „Was erzähle ich jetzt meinem Enkel? Dass der Mann, der den Opa tötete, auf freiem Fuß ist?“
Schweigen des Bosses der Bosse
Doch auch wenn Brusca selbst sich nicht in der Lage sah, überhaupt genau zu beziffern, wie viele Menschen er umgebracht hatte – es waren wenigstens 150 –, und auch wenn er sich selbst als „Monster“ einordnete, gibt es dennoch einen entscheidenden Unterschied zwischen ihm und Riina.
Der Boss der Bosse schwieg von seiner Verhaftung im Jahr 1993 bis zu seinem Tod in Haft im Jahr 2017. Brusca dagegen stellte sich, kaum wurde er im Jahr 1996 ergriffen, der Justiz als Kronzeuge zur Verfügung. In vielen Prozessen belastete er Dutzende seiner Mafiakumpanen schwer und trug so zu ihrer Verurteilung bei.
Das brachte ihm, dem mehrfach „lebenslänglich“ drohte, eine kräftige Reduzierung der Strafe ein. Der Massenmörder erhielt bloß 30 Jahre Haft. Damit folgten die Richter*innen dem Kronzeugengesetz, und als Kronzeuge wurde Brusca im Gefängnis auch nicht der harten Isolation unterworfen, die sonst den Cosa-Nostra-Bossen droht. Zudem kam er in den Genuss von weiteren fünf Jahren Strafnachlass wegen guter Führung. Doch die, die jetzt seine Freilassung kritisieren, äußern Zweifel daran, ob Brusca wirklich umfassend ausgepackt hat.
So ist bei den Attentaten auf Falcone und Borsellino die große Frage, ob die Mafia allein handelte – oder aber in Komplizenschaft mit Auftraggebern aus der Politik, aus dem Staatsapparat. „Er (Brusca; die Red.) hat von den wahren Auftraggebern nicht gesprochen, und er hat von den wichtigen Komplizen im Inneren des Staatsapparats nicht gesprochen“, befindet etwa der Polizist Luciano Traina, der 1996 Brusca verhaftete und dessen Bruder einer der Begleitschützer war, die bei dem Attentat auf Borsellino umkamen.
Zu einem anderen Urteil kommt Maria Falcone, die Schwester des im Jahr 1992 ermordeten Staatsanwalts. „Die Nachricht (von der Freilassung Bruscas; die Red.) schmerzt mich“, erklärte sie, wies aber darauf hin, dass hier nur das Kronzeugengesetz angewandt wurde – „ein Gesetz, das mein Bruder gewollt hat“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“