Mafia in Deutschland: Sind doch nur Mafiosi
Von 'Ndrangheta oder Camorra fühlen sich die wenigsten Deutschen bedroht. Alles so italienisch. Machen wir uns da nicht was vor?
Die „Sopranos“, „Der Pate“, „Scarface“ – man möchte meinen, die Mafia gäb's nur im Fernsehen. Oder wenn schon im echten Leben, dann zumindest nur in Italien, und auch dort nur in Süditalien. Weniger gern ziehen die Deutschen die Möglichkeit in Betracht, dass auch der nette Inhaber der Pizzeria gegenüber irgendwas mit Geldwäsche, Erpressung oder gar Mord zu tun haben könnte.
Tatsächlich liegen dem Bundeskriminalamt immerhin 550 Namen von mutmaßlichen Mafiosi vor, die in Deutschland leben. Und arbeiten?
Im Titelessay der taz.am wochenende vom 11./12. April 2015 wirft die Mafia-Kennerin Petra Reski, die seit Jahren in Venedig lebt, den Deutschen ihre lässige Haltung gegenüber der organisierten Mafia-Kriminalität vor: „Ja, es mag sein, dass es hier so etwas wie Mafia gibt – die ist aber nicht aktiv, eher so auf Sommerfrische: Keep cool, it's only the mob. Godfathers on holiday. Don't worry.“
Reski hat auch eine Erklärung dafür, dass sich hierzulande auch die Verantwortlichen kaum um das Phänomen kümmern: „Deutschland ignoriert die Mafia bewusst, weil Deutschland von der Mafia profitiert.“
Leicht verharmlosend
Petra Reski hat am eigenen Leib erfahren, wie schwer es ist, das Treiben der Mafia in Deutschland publik zu machen. Das liegt nicht nur am Presserecht, sondern auch an der Weigerung, das Problem sehen zu wollen. Mehr in der taz.am wochenende vom 11./12. April 2015. Außerdem: Auf dem Amerikagipfel treffen sich Obama und Raúl Castro. Was bedeutet die angekündigte Öffnung für das Land, das seit fast sechs Jahrzehnten seinen eigenen sozialistischen Weg geht?. Und: Die Codes der Kunstszene und die Gerüche der Rebellion: eine Begegnung mit der Autorin Rachel Kushner. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
In den meisten Nachrichten zur Mafia in Deutschland findet sich der leicht verharmlosende Zusatz, die italienische Mafia nutze Deutschland nur als „Rückzugs- und Ruheraum“. Dem stehen einige beunruhigende Meldungen aus den vergangenen Jahren entgegen: Erst im Dezember gab es in Rheinhessen eine Schießerei in einer Pizzeria, die auf die Mafia zurückzuführen sein könnte. Im Februar 2014 hatten mehr als 400 Ermittlerinnen und Ermittler in 15 Städten Nordrhein-Westfalens Wohnungen und Geschäftsräume der Baubranche durchsucht. Den elf Festgenommenen wurde vorgeworfen, 24 Strohfirmen gegründet zu haben und durch Schwarzarbeit und Steuerstraftaten etwa 30 Millionen Euro Gesamtschaden hinterlassen zu haben.
Den Weg in die kollektive Erinnerung haben vor allem die Mafia-Morde in Duisburg geschafft. Das war 2007. Die Feindschaft zweier Familien der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta soll der Grund dafür gewesen sein, dass sechs Menschen vor einer Pizzeria erschossen wurden. Der Pizzeriabesitzer und sein Lehrling waren unter den Toten. Direkt danach richtete das Bundeskriminalamt eine Sondereinheit zur Bekämpfung der Italienischen Organisierten Kriminalität ein.
Dennoch scheinen weiter viele dazu zu neigen, die Mafia-Geschichten als Einzelfälle abzutun. Selbst im Mafia-Blog des Recherchekollektivs Correctiv! tauchen deutsche Fälle eher am Rande auf. Zuletzt etwa in Baden-Württemberg die Festnahme eines 25 Jahre alten Mafioso, dem Drogenhandel und Erpressung vorgeworfen werden – allerdings in Italien.
Mafiazugehörigkeit nicht strafbar
Kaum ein Deutscher fühlt sich bedroht, weil ja meistens nur Italienischstämmige darin verwickelt sind. Aber gehen nicht Geldwäsche, Erpressung von Unternehmen und öffentliche Schießereien auch den Rest der Bevölkerung etwas an?
Petra Reski geht davon aus, dass die Mafia eine extrem anpassungsfähige Organisation ist. Sie hat es also auch geschafft, sich an Deutschland anzupassen. Hier heißt die Devise mehr noch als anderswo: Bloß nicht auffallen. Die Gesetze erleichtern das sogar, argumentiert Reski. Es beginne damit, dass die Mafiazugehörigkeit hier nicht strafbar sei. Und da deswegen zunächst kein Strafbestand vorhanden sei, dürften beispielsweise auch keine Finanzermittlungen aufgenommen werden. Auch sei das Abhören praktisch unmöglich, womit eventuelle oder geplante Straftaten bewiesen werden könnten.
Seit Jahren versucht Reski, über die Aktivitäten der Mafia in Deutschland aufzuklären und das Bewusstsein der Deutschen zu schärfen. Immer wieder ist sie deswegen bedroht worden. Und als ihr Buch „Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ erschien, verklagten sie mehrere italienische Gastronome: „Wir wurden dazu verurteilt, Passagen des Buches zu schwärzen und Schmerzensgeld für das erlittene Unrecht zu zahlen.“ In ihrem Essay erzählt sie in der taz.am wochenende von geheimen Treffen der Mafiabosse, von der Blindheit der Politik und dem ihrer Meinung nach zu engen Fokus auf islamistischen Terror.
Der größte Unterschied zu ihren italienischen Genossen sind die Methoden und ihre Präsenz in der Öffentlichkeit. Hier sind sie zwar noch nicht so mit Politik und Wirtschaft verbunden, wie sie es in Italien geschafft haben – das, argumentiert Reski, liege aber unter anderem daran, dass sie erst seit etwa 40 Jahren in der Bundesrepublik agierten, im Gegensatz zu 160 Jahren Erfahrung in ihrem Heimatland.
Mehr als nur Folklore
In Italien flog Ende 2014 auf, wie stark die Mafia die römische Regierung infiltriert hat. Der Spiegel betitelte den entsprechenden Text passend: „Die Mafia regiert mit“. 37 Politiker und Unternehmer wurden festgenommen, teilweise aus den höchsten Ebenen der römischen Kommunalverwaltung. Sie alle waren an mafiösen Geschäften beteiligt.
Morde prägen jeden Monat die italienische Mafia-Berichterstattung. Dass es in Deutschland noch nicht so weit gekommen ist, zeigt Reski zufolge nur eins: Mafiosi hierzulande wissen, dass die deutsche Öffentlichkeit dann erkennen würde, dass Mafiabosse und blutrünstige Auseinandersetzungen zwischen ihren Clans mehr als nur Folklore sind.
Nehmen wir Deutschen die Mafia nicht ernst genug? Bräuchten wir schärfere Gesetze gegen die organisierte Kriminalität? Oder würde das nur zu noch mehr Überwachung führen – und dafür zu wenig bringen?
Diskutieren Sie mit!
Den Essay „Verbrecher auf Sommerfrische“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 11./12. April 2015 lesen.
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