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■ Mit dem grauen Kapitalmarkt auf du und duMänner als Opfer von geschickten Abzockern

Berlin (taz) – Mindestens 40 Milliarden Mark haben dubiose Finanzinstitute von den BewohnerInnen Deutschlands im letzten Jahr abgezockt. Insbesondere Männer lassen sich zu Geschäften mit risikoreichen Termingeschäften verführen und verlieren dabei oft den gesamten Einsatz. „Vor allem, wenn man das Angebot mit Steuerersparnissen garniert, macht das viele Leute ganz geil“, berichtet ein Insider.

Während früher vor allem die Reichen ins Fadenkreuz der Anlagebetrüger gerieten, so sind es heute vor allem Leute mit durchschnittlichem Einkommen. Meist bieten die Makler ein relativ preisgünstiges Einstiegsgeschäft an, das häufig zunächst sogar Gewinne abwirft. Vier Fünftel aber lassen sich zu Anschlußgeschäften verleiten, hat der Münchener Rechtsanwalt Michael-Christian Rössner beobachtet. Und dabei wird es dann meistens erst richtig teuer. In Rössners Praxis hat der betrogene Durchschnittsanleger 220.000 Mark investiert. Viele Leute haben dafür sogar Kredite aufgenommen.

„Bei den meisten der in Deutschland angebotenen Geschäfte mit Derivaten ist der Verlust für den Anleger vorprogrammiert“, so der Wirtschaftsdienst Gerlach-Report. Die Methoden sind variabel. Einige Unternehmen, die ihre Kundschaft meist rechtswidrig am Telefon ködern, wollen vor allem durch permanentes Handeln hohe Gebühren verursachen – „Churning“ heißt das im Fachjargon. Während in den USA bereits mehrere hundert Urteile gegen solche Provisionsschinder ergangen sind, gibt es hierzulande noch keine Kriterien dafür, was als „Churning“ gilt.

Andere Anbieter sind so dreist, erst gar keine Geschäfte an den Börsen abzuwickeln und ihren Kunden lediglich fiktive Kontoauszüge zuzusenden.

Raffinierter aber ist es, ein sogenanntes Omnibuskonto für alle Kunden einzurichten. Der Broker stellt dann dieselben Transaktionen mehreren Leuten gleichzeitig in Rechnung. Am lukrativsten für den Betrüger ist es jedoch, tatsächlich im großen Stil zu spekulieren. Gewinne streicht er dann selbst ein – Verluste müssen die Kunden verkraften. Oder er ordert gleichzeitig Kauf- und Verkaufskontrakte, wartet ab, wie sich die Börse entwickelt, und berichtet den Geldgebern nur von den Minusgeschäften. Diese Variante ist besonders günstig, weil der Vermittler auch jeweils ein paar seiner Kunden ruhigstellen kann, wenn sie sich über die zunehmende Ebbe in ihrer Kasse beschweren.

„Bis heute ist es in der Bundesrepublik Deutschland immer noch einfacher, als einschlägig Vorbestrafter eine Kapitalanlagefirma zu gründen, als einen Zeitungskiosk zu eröffnen“, empört sich die Berliner Verbraucherzentrale. Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen hat bisher so gut wie keine Möglichkeit, gegen die Abzocker vorzugehen – anders als in England oder den USA, wo unseriöse Anbieter mit hohen Bußgeldern und der Entfernung vom Markt rechnen müssen.

Die deutsche Staatsanwaltschaft kann erst ermitteln, wenn der Schaden schon eingetreten ist.

Zwar liegt inzwischen ein Gesetzentwurf aus dem Finanzministerium vor, der es den Anlagebetrügern schwerer machen soll. Immerhin soll das Bundesaufsichtsamt künftig bei einigen der dubiosen Firmen ein Durchsuchungsrecht erhalten und den Geschäftsbetrieb einstellen können. Aber längst nicht alle Finanzdienstleistungen sind von der Novelle erfaßt. Und es gibt zahlreiche Schlupflöcher. „Die Anbieter betrügerischer Geldanlageangebote spüren die Schwäche des Staates; der Markt boomt“, so urteilen die Verbraucherschützer in Berlin.

Der Chef des Bankenverbandes mittel- und ostdeutscher Länder, Rudi Puchta, plädiert dafür, den Anlegern auf andere Weise den offenbar ersehnten Nervenkitzel zu verschaffen. Seriöse Risikofonds sollten Geld einsammeln und junge Unternehmen mit innovativen Ideen fördern.

Wie Puchta die Leute dafür begeistern will? Mit Steuerersparnissen natürlich. Annette Jensen

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