Mädchentreff Schilleria: Mädchen gegen Miethaie
Die Schilleria in Neukölln ist von Kündigung oder einer Verdreifachung der bisherigen Miete bedroht. Der Bezirk will die Einrichtung retten.
Selbstsicher und keck besteht Valentina auf dem Namenspräfix „MC“. Schließlich sei sie Rapperin, da sei das obligatorisch. Also gut. Seit mehr als vier Jahren besucht die elfjährige MC Valentina fast täglich den Neuköllner Mädchentreff Schilleria. Auch an diesem kalten Novemberabend ist sie mit ihren Freundinnen da. „Ich fühle mich total wohl hier. Man kann so viel machen: rappen, tanzen, Theater spielen, aber auch über private Probleme reden.“
Seit einigen Wochen hat MC Valentinas Herzensort aber selbst Probleme: Der Mietvertrag des Mädchentreffs wurde zum Jahresende gekündigt. Ob und wie es weitergeht, ist unklar. MC Valentina weiß davon: „Ohne Schilleria? Das wäre soooo schlimm für mich. Ich hätte kein Leben mehr! Nein, nein, das darf nicht passieren!“
Die Schilleria ist seit ihrer Eröffnung vor 15 Jahren fest im Neuköllner Schillerkiez verankert. Mädchen und jungen Frauen von 7 bis 21 Jahre steht der Club unter der Woche täglich offen. Von außen weithin sichtbar, verbirgt sich hinter den großen Glasscheiben ein offener Bereich: Kicker, Sofas und ein Tisch zum Ausbreiten der Schulsachen stehen allen Besucherinnen offen. 30 Mädchen schauen fast täglich vorbei, Hunderte haben im Laufe der Jahre hier ihre Freizeit verbracht und das vielfältige Angebot wahrgenommen. Fotos an den Wänden zeigen gemeinsame Ausflüge.
Doch Ende September wurde dem freien Träger des Treffs, dem Verein MaDonna Mädchenkult.Ur, ein Kündigungsschreiben zugestellt. Das Mietverhältnis soll Ende Dezember enden. „Mit der Kündigung wurde uns jedoch gleich ein neuer Mietvertrag in Aussicht gestellt – zu neuen Bedingungen“, erläutert Sozialarbeiterin Elisabeth Hell in einem Hinterzimmer des weiträumigen Mädchentreffs. Eigentümer der in der Weisestraße gelegenen und von außen mit Graffiti bemalten Räume ist die Greta AG. Keiner weiß so recht, mit wem man es da zu tun hat. Eine als Ansprechpartner agierende Berliner Hausverwaltung erklärt auf taz-Nachfrage, man sei gehalten, „derzeit keinerlei Auskünfte zu erteilen“.
Eine klare Ansage
Hell, die von allen Besucherinnen liebevoll Betti genannt wird, ist eine von zwei fest angestellten Mitarbeiterinnen der Schilleria. „Man merkt: Es ist nicht das erste Mal, dass diese Leute Menschen vor die Tür setzen“, sagt sie. Bei einem Begehungstermin nach der Kündigung habe die Hausverwaltung klargemacht, dass hier Geschäftsmänner am Werk seien. Die Ansage sei klar gewesen: „Die sagen euch einen Preis, und entweder zahlt ihr den, oder ihr geht.“ Erst sei vom Doppelten der jetzigen Miete die Rede gewesen, kurz danach dann gar vom Dreifachen.
Gentrifizierung Immer öfter werden auch soziale Einrichtungen Opfer von Gentrifizierung: Derzeit sind zahlreiche Jugendklubs, Kitas und andere gemeinnützige Einrichtungen von Kündigung oder Mietsteigerung bedroht.
Sunshine Inn Bei dem Neuköllner Jugendtreff Sunshine Inn, über dessen Kündigung die taz Anfang November berichtete, gibt es positive Neuigkeiten. Betreiber, Politik und Eigentümer verständigten sich auf eine Verlängerung des Mietvertrags bis Oktober 2018. Bis dahin soll ein Alternativstandort her. (rp)
Doch von profitorientierten Geschäftsmännern lassen sich die toughen Mädchen der Schilleria nicht einschüchtern. Vor etwa einem Monat sei ihnen die drohende Kündigung offenbart worden, erzählt MC Valentina, nachdem sie ihre HipHop- und Schlagzeug-Session im Musikraum beendet hat. „Da waren wir sehr aufgeregt, haben aber sofort gesagt: Okay, machen wir halt Aktionen. Dann haben wir zum Beispiel Punsch gemacht – natürlich ohne Alkohol – und den verkauft. Vielleicht kann man ja davon die Miete bezahlen.“
Ganz so leicht wird es wohl nicht werden, erläutert Elisabeth Hell, während im Nebenraum die Beats dröhnen. Zwar hätten sowohl Jugendamt als auch die Bezirkspolitik signalisiert, der Schilleria den Rücken stärken zu wollen. Doch: „Was die Greta AG ganz genau im Schilde führt, wissen wir bis heute nicht.“
Bald soll es Klarheit geben
Spätestens am 11. Dezember soll es Klarheit geben. Ein Krisentreffen wurde angesetzt. Teilnehmer: eine Vertreterin des Trägers, der Direktor des Jugendamts, der Bezirksstadtrat für Jugend und Gesundheit, Falko Lieke (CDU), und der Eigentümer. Ursprünglich wollte nur ein Vertreter der Hausverwaltung kommen, erzählt Betti Hell. Nach Medienberichten über die Kündigung des Mädchentreffs und ersten Protestaktionen der Besucherinnen habe sich nun der Geschäftsführer der Aktiengesellschaft persönlich angekündigt.
Man wolle „den Standort unbedingt halten“, erklärte Stadtrat Lieke gegenüber der taz. Ziel des Krisentreffens sei die Verständigung über einen neuen Mietvertrag sowie langfristige Planungssicherheit. Der umliegende Schillerkiez wandelt sich rasant: Seit der Öffnung des Tempelhofer Feldes 2010 steigt seine Attraktivität – und damit steigen die Mieten. Die Berliner Verdrängungsfaust schlägt in dem zwischen dem ehemaligen Flughafen und der Hermannstraße gelegenen Kiez gnadenlos zu.
Jugendstadtrat Lieke stellte sich bereits Mitte Oktober öffentlich hinter die Schilleria: In einer Stellungsnahme bezeichnet er sie als „Leuchtturm in puncto Empowerment, Partizipation und der politischen Bildung für Mädchen“.
Und das stimmt: „Wir wollen Stereotypisierungen aufbrechen, das ist immer der Background unserer Arbeit“, bestätigt Hell. „Es geht darum, den Mädchen möglichst früh ein politisches Bewusstsein als Frau zu eröffnen. Wir bestärken sie darin, sich selbstbestimmt ins Leben zu stürzen.“
So lebhaft, aufgeschlossen und sprudelnd von positiver Energie wie MC Valentina und ihre Freundinnen an diesem Novemberabend wirken, scheint das Konzept aufzugehen. Auch in der jetzigen angespannten Situation verliert niemand den Mut. Ganz im Gegenteil: Damit die Mädchen kein Gefühl der Ohnmacht entwickeln, hängt neben der Eingangstür eine Liste mit Aktionsideen. In krakeliger Schrift gehen diese von Punsch-, Waffel- und „Spezial-Limo“-Verkauf über „50 Liegestütze nur für Geld“ und eine geplante Zauberinnenshow bis zu: „Wir ketten uns zusammen und streiken, bis die Polizei kommt“.
So weit müsse es aber ja gar nicht kommen, hoffen die Mädchen beim Verlassen des Mädchentreffs.
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