Machtwechsel im Iran: Die Proteste sind ein Weckruf
Vor dem Amtsantritt des neuen Präsidenten im Iran demonstrieren Menschen gegen Wassermangel, Stromausfall und Internetzensur.
Bei 50 Grad Celsius kein fließendes Wasser aus den Leitungen – das war der Anstoß für Proteste im Iran, die sich diese Woche auf das ganze Land ausgeweitet haben. Seitdem die USA unter Trump das Atomabkommen aufgekündigt haben und der Iran vermehrt Uran anreichert, ist zudem die Wirtschaft eingebrochen. Hinzu kommen steigende Coronafallzahlen und Stromausfälle. Es gibt viele Probleme, die Ebrahim Raisi angehen müsste, wenn er am kommenden Donnerstag als Präsident antritt.
Bereits im Mai forderten Arbeiter im Energiesektor höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen auf den Gasfeldern und in den Raffinerien. Als die Temperaturen stiegen und in der ölreichen Region Chusistan das Wasser ausging, protestierten Mitte Juli viele Menschen im Südwesten gegen die Wasserknappheit. Nach zwölf Tagen solidarisierten sich auch Leute in den Städten Karaj, Kermanschah, Isfahan, Buschehr sowie in der Hauptstadt Teheran.
Videos, die Journalist*innen von der Teheraner Demonstration auf Twitter geteilt haben, zeigen einen Straßenzug mit hupenden Motorradfahrern und jungen Männern, die regierungskritische Parolen wie “Tod dem Diktator“ rufen. Einige sind es leid, dass ihre Regierung aus Propagandagründen Millionen an militante Organisationen überweist, während sie im Dunkeln und auf dem Trockenen sitzen. „Weder Gaza, noch Libanon, unser Leben opfern wir nur für den Iran“ ist auf dem Video von Protestierenden zu hören. Die halbamtliche Nachrichtenagentur Farsi berichtete, die Proteste in Teheran fingen nach einem Stromausfall in einer Einkaufspassage an.
Seit Anfang Juli fällt der Strom landesweit über Stunden aus. Kritiker*innen werfen der Regierung vor, das Stromnetz sei veraltet und schlecht verwaltet. Die Behörden gaben Kryptomining die Schuld: Die vielen Computerserver benötigten Unmengen Strom, um digitale Bitcoin-Transaktionen zu prüfen. Außerdem würden zu viele Klimaanlagen genutzt.
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Das Land erlebt zudem die schwerste Dürre seit 15 Jahren. Menschen im südwestlichen Chusistan versuchten sogar, Wasser selbst zu entsalzen, so die 27-jährige Mina, die angibt, in der Provinzhauptstadt Ahwas zu leben. „Um ehrlich zu sein, ist die Wassersituation in Chusistan absurd. Wir haben drei große Flüsse in der Nähe und es sollte keinen Mangel geben. Den gibt es nur aufgrund des Missbrauchs der Regierung.“ Die stehle das Wasser für Geschäfte der Revolutionsgarden. Tatsächlich beherrscht die Militärmacht die wichtigsten Wirtschaftszweige wie Energie, Bau, Telekommunikation, Medien, Elektronik, Banken und die Nuklearindustrie. Auch Umweltschützer*innen sagen, das Wasser werde für Industrieprojekte genutzt.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters zündeten die Menschen in Chusistan Reifen an, die Sicherheitskräfte reagierten mit Tränengas, Wasserwerfern sowie Schüssen. Amnesty International zufolge waren die Demonstrierenden unbewaffnet, während die Staatskräfte mit scharfer Munition und Schrotflinten auf sie schossen. In sieben Städten seien acht Demonstrierende oder Passant*innen getötet und Dutzende durch „wahllos abgefeuertes Vogelschrot“ verletzt worden.
Informationen über die Proteste sind schwer zu verifizieren. In der Provinz ist das Internet seit Tagen ausgeschaltet oder kaum zu empfangen. Selbst internationalen Nachrichtenagenturen oder Medien wie der ARD ist es nicht gestattet, in die Region zu reisen.
Auch Minas vollständiger Name ist der taz nicht bekannt. Sie ist Mitglied der sogenannten Volksmudschaheddin, auch MEK genannt. Die oppositionelle Gruppe orientiert sich sowohl am Islam als auch am Kommunismus und strebt einen Regimewandel im Iran an. Die MEK hat eine gewaltsame Vergangenheit, war am Sturz des Schahs beteiligt, stellte sich aber dann gegen die Islamische Republik und wurde zeitweise von der EU als Terrororganisation eingestuft. MEK-Anhänger*innen verschweigen ihre Identität und kommunizieren nur über Sprachnachrichten. Gruppen wie die Volksmudschaheddin haben ein gesteigertes Interesse daran, die Aktivitäten prominent in die Öffentlichkeit zu bringen.
Das Netz, ein Dorn im Auge des Regimes
Sicherlich groß war der Widerstand gegen ein Gesetz zur verstärkten Internetzensur. Am Mittwoch stimmten 121 von 209 anwesenden Parlamentsmitgliedern dafür, das Internet zu nationalisieren. Offiziell sollen Alternativen zu amerikanischen Onlinediensten wie etwa Facebook entstehen. Praktisch könnte es jedoch bedeuten, dass noch mehr Plattformen geblockt werden. Soziale Medien wie Twitter oder Signal können nur mit Datentunneln, sogenannten VPNs, genutzt werden.
Außerdem sind zahlreiche amerikanische Webseiten unzugänglich. Nun fürchten die Menschen, dass auch beliebte Dienste wie Whatsapp oder Instagram gesperrt werden könnten und die Nutzung von beispielsweise Telegram mit Haft geahndet wird. Rund 50 Millionen Iraner*innen nutzen Instagram – nicht nur, um sich zu vernetzen, sondern auch, um Geschäfte zu machen und Produkte zu vermarkten.
Nutzer*innen und Geschäftsbesitzer*innen protestierten über Twitter, und auch aus den Reihen der Regierung hagelte es Kritik. „Dieses Gesetz spaltet die Gesellschaft wie ein Hackmesser“, twitterte Kulturminister Abbas Salehi am Mittwoch. Sogar das fürs Internet zuständige Kommunikationsministerium ist dagegen. Vizeminister Amir Nasemi nannte das neue Gesetz „irrational, illegitim und letztendlich zum Scheitern verurteilt“. Der Parlamentspräsident ruderte daraufhin etwas zurück und verkündete – über Instagram –, man wolle Instagram und Whatsapp nicht blockieren. Der sogenannte Wächterrat muss das Gesetz noch bestätigen.
Dem Regime ist das freie Internet hinderlich, da es die Deutungshoheit der staatlichen Medien untergräbt. Auch als die Bevölkerung im Herbst 2019 massenhaft gegen steigende Benzin- und Lebensmittelpreise sowie Korruption auf die Straße ging, kappte die Regierung das Internet. Bis heute ist unklar, wie viele Menschen verletzt und getötet wurden. Human Rights Watch spricht von 300 Menschen, die Nachrichtenagentur Reuters kam bei Recherchen auf 1.500 Tote. Für Aufsehen sorgte vor allem die Exekution des Star-Ringers Navid Afkari. Die Regierung warf ihm vor, bei einem Protest im November 2018 einen Mitarbeiter der staatlichen Wasserversorgung getötet zu haben. Obwohl Afkari seine Unschuld beteuerte, wurde er exekutiert.
Umfang der Proteste unklar
Dem neuen Präsidenten schlägt jetzt der Unmut entgegen. Vor seiner Wahl im Juni gaben bei einer Straßenumfrage der taz in Teheran Menschen an, sie gingen nicht wählen oder machten ihre Stimme unkenntlich. Entsprechend wurde Raisi mit einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung ins Amt gehoben. Nur knapp 49 Prozent stimmten nach offiziellen Angaben für ihn, nachdem der Wächterrat schon vorher viele Kandidaten aussortiert hatte. Dem Wahlboykott auf Zetteln folgen nun Rufe nach Wasser und Strom auf den Straßen.
Wie groß diese Proteste in ihrem Umfang sind, sei aus dem Ausland schwer abzuschätzen, sagt Adnan Tabatabai. „Ich würde zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht von Massenprotesten sprechen.“ Tabatabai ist Geschäftsführer von Carpo, einem Forschungszentrum über Mittelost mit Sitz in Bonn, das sich aus öffentlichen Geldern der EU finanziert. Der Irananalyst gibt zu bedenken, dass „im Iran regelmäßig friedliche Proteste stattfinden. Da gibt es selten Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften, und das ist mehrmals im Monat in verschiedenen Landesteilen zu beobachten.“ Interessenverbände oder Syndikate organisierten in Fabriken Sitzstreiks, Lehrerverbände kämen vor dem Bildungsministerium zusammen.
„Was man häufig aus den Augen verliert, ist die Verhältnismäßigkeit der Demonstrationen und der Menschen, die auf die Straße gehen im Vergleich zu der Gesamtbevölkerung“, sagt Tabatabai. Damit wolle er nicht sagen, dass eine kleine Demo keine Legitimität habe. „Doch wenn die Frage lautet: Ist das etwas, das die Strukturen der Islamischen Republik erschüttert? Dann sehe ich das Land weit davon entfernt, dass diese Proteste grundsätzlich zu einer Umbruchstimmung führen.“ Die Diskussion über das schlechte Wassermanagement, über den Bau von Staudämmen und die Umleitung von Flüssen gebe aber Hoffnung, dass sich die Wasserversorgung verbessere. „Die Proteste sind in dieser Form ein starker Weckruf.“
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