Macht das Sinn?: Im Urlaub rackern
Zum Erhalt der Wanderwege werden auf den Färöer-Inseln Pflöcke einschlagen und Wege markiert. Ist ein freiwilliger Einsatz der bessere Urlaub?
Wie Watte hängt der Nebel vom Himmel, wie eine halb heruntergezogene Jalousie, die nur die Sicht auf den Boden frei lässt. Selbst die knallrote Outdoorjacke meines Teamkollegen bleibt nur auf wenige Meter Entfernung zu sehen. Ist das der Moment, in dem wir einfach aufgeben sollten?
„Jedes Kind auf den Färöern lernt: Wenn der Nebel kommt, setzt man sich hin und wartet, bis er weg ist“, hatte Tordis K. á Rógvi Simonsen von der Touristeninformation der Insel Sandoy am Vortag erklärt. TouristInnen wie wir wissen das natürlich nicht und laufen weiter. Bis sie womöglich eine Steilklippe herunterstürzen.
Die mahnenden Worte klingen mir in den Ohren, als ich mich keuchend weiterschleppe. Immerhin haben wir an diesem feuchtkalten Tag realistische Bedingungen, um unseren Job zu erfüllen: die Strecke von Dalur nach Skarvanes markieren, damit andere TouristInnen hier auch bei Dunst auf dem richtigen Weg bleiben.
„Closed for Maintenance“ – mit diesen Worten hatte das Färöer Tourismusamt geworben: Ein Wochenende im April wollten die 18 zu Dänemark gehörenden Inseln im Nordatlantik ihre Hauptsehenswürdigkeiten schließen. Aber rund 100 Freiwillige sollten trotzdem hinkommen dürfen – wenn sie gegen Kost und Logis auf den Inseln arbeiten. Deswegen wandern ich, eine Schwedin, ein Brite und eine US-Amerikanerin, die Arme voll mit Hinweisholzstecken, gerade einen Hügel hinauf, langsam hinter einem älteren Färinger her, der uns den Weg weisen soll und bisher noch nicht vor dem Nebel kapituliert hat.
Gegentrend und postindividuelle Gesellschaft
Wir sind „Team Green“, zu erkennen an dunkelgrünen Wollmützen. 14 Menschen sind allein in unserer Gruppe, die an verschiedenen Projekten auf Sandoy, der fünftgrößten und flachsten Insel der Färöer, arbeiten.
Das Projekt
Die Färöer wiederholen ihr Maintenance-Projekt diesen April. Wieder werden 100 Menschen gegen Kost & Logis auf den Inseln arbeiten. Nur die Flüge müssen sie selbst bezahlen. Für 2020 sind allerdings alle Plätze bereits vergeben. Unter www.visitfaroeislands.com/closed/sign-up/ gibt es Informationen, wann der Anmeldezeitraum für 2021 beginnt. Dann ist Eile geboten: Nach Angaben des Tourismusamts haben sich zuletzt 5.500 Personen aus 95 Ländern um die 100 Plätze beworben.
Die Reise wurde unterstützt vom Auslands-Recherchefon der taz.
Es mag die flachste sein, trotzdem bringen uns die Berge hier ganz schön aus der Puste. Wie muss es erst meinen KollegInnen auf der anderen Seite der Hügel gehen, die einen schmalen Weg mit Gesteinsbrocken ausbessern – direkt am Abhang, von dem aus es viele Meter hinuntergeht, und unten wartet nur das Gischt sprühende Meer.
Im Urlaub rackern – warum tut man sich das an? „Wir haben eben festgestellt, dass in unserer eigentlich postindividuellen westlichen Gesellschaft wieder so ein Gegentrend einsetzt in Form des Bedürfnisses nach Verankerung, nach einer gewissen Sinnhaftigkeit“, erklärt die Trendforscherin Christiane Varga vom Zukunftsinstitut in Wien. Die Färöer-Tourismusdirektion benutzt für den Arbeitseinsatz den Begriff „Voluntourism“.
Die Soziologin und Germanistin Varga würde es als „Resonanztourismus“ bezeichnen. Der Begriff greift zurück auf ein Buch des Soziologen Hartmut Rosa, erklärt Varga. Es gehe darum, „sich selbst in Beziehung zu bringen zu etwas anderem, also in einer Weltbeziehung zu sein“ – mit anderen Menschen, einer Idee, mit Kunst, Kultur, Natur.
Am einfachsten bringt man sich hier wohl in eine Beziehung zu den Tieren: Das Leben auf den Färöern ist schafzentriert. Auf 50.000 Einwohner kommen auf den Färöern 70.000 Schafe. Jetzt im April ist Lämmersaison, und sie sind tatsächlich überall. Immer wieder schaue ich in die Weite und sehe vermeintliche weiße Steine im Grün – aber dann steht der große Stein auf und rennt davon.
Die Wege markieren wir auch, damit die Tiere auf den Wiesen nicht von wild umherwandernden Menschen gestört werden oder diese aus Versehen in die Herden hineinlaufen, während die BesitzerInnen die Schafe zusammentreiben. Und deswegen lernen wir, die Wegmarker mit einem dicken Hammer möglichst tief in den Boden zu rammen; die Schafe würden sich sonst gemütlich ihre Hintern daran reiben.
Deshalb baut meine Gruppe am zweiten Arbeitstag auch eine kleine Holztreppe, damit man beim Wandern über den flachen Zaun kommt, ohne den Draht beim Hinüberklettern mit der Hand herunterzudrücken – andernfalls könnten die Schafe ausbüxen.
Ein Schaffell hätte ich eigentlich auch ganz gerne, als wir auf Materialnachschub für die Treppe warten und in einer flachen Kuhle kauern, damit die eisigen Böen des Färöer Windes uns nicht erwischen. Ich trage wärmende Leggins, darüber Outdoorhosen, ein Thermoshirt, zwei Fleecejacken übereinander, eine Regenjacke, eine Wollmütze und Arbeitshandschuhe.
Christiane Varga Trendforscherin
Es sei „interessant“, dass wir alle eigentlich eher Schreibtischjobs haben, bemerkt die 27-jährige Esther, die als Tochter eines Landwirts, auf dessen Land unsere Gruppe arbeitet, aushilft. Esthers Vater etwa besitzt ungefähr 200 Schafe.
Recht hat sie. Ich erkenne die Fehlplatziertheit meines Bürokörpers bei körperlicher Arbeit unter freiem Himmel durchaus an. Als ich mit meinen schlaffen Journalistenärmchen einmal den Hammer schwinge, um einen Holzpflock einzuschlagen, schaut Landwirt Fróðin auf meine Finger und sagt sachte spöttelnd: „Ooooh, red nails …“ Dann versenken seine vor Kälte geröteten Pranken den nächsten Wegweiser mit einem einzigen Hammerhieb im Boden, und ich verstecke meine Tippfingerhändchen wieder in den wasserfesten Aqua-Anti-Rutsch-Spezial-Arbeitshandschuhen. Selten standen tatsächliche Kompetenz und Ausrüstung in solch einem Fehlverhältnis.
Die Bergwiesen, auf denen die Schafe grasen– und über die TouristInnen trampeln, sie sind seit Längerem Gegenstand von Diskussionen auf den Färöern. Etwa im vergangenen Jahr, als die Färinger vor ihrer Parlamentswahl im August 2019 Diskussionen darüber führten, wie man damit umgehen solle.„Denn einige Landwirte sind nicht besonders glücklich mit den Leuten, die in den Bergen herumlaufen, und sie sagen, das störe die Schafe oder die Vögel“, sagt Tourismusdirektorin Guðrið Højgaard.
Dabei spielt auch die Besorgnis eine Rolle, dass einfach zu viele Menschen kommen könnten – und nicht die richtigen. Viele Färöer wollen vor allem eines verhindern: wie Island zu werden. Die etwa 500 Kilometer entfernte Nachbarinsel gilt als überlaufen, als schlechtes Beispiel für overtourism, wie der Massenansturm der Reisenden genannt wird.„Wir sind nicht an so viele Touristen gewöhnt“, sagt Tordis einmal, als wir zum Essen beisammensitzen, und fügt hinzu: „Die Schafe sind nicht daran gewöhnt.“
Anders wollen es die Reisenden im Resonanztourismus schon machen, sie wollen keinen Urlaub im klassischen Sinn, sagt etwa die Trendforscherin Varga: Es sei den Reisenden wichtig, „einzutauchen in das Lokalkolorit, sich unter die Leute vor Ort zu mischen.“
Die Touris wollen eintauchen – aber die Locals eigentlich nur ihre Ruhe?
Guðrið Højgaard Tourismusdirektorin
Das bestätigt sich auf den Färöern jedenfalls nicht. Die InselbewohnerInnen sind in das Arbeitswochenende eingebunden, der Einsatz ist von Anfang an nicht an TouristInnen gerichtet, sondern auch an die Bevölkerung, die davon profitieren sollte: Die Projekte helfen ihr zum Teil direkt, weil sie auf ihrem Land stattfinden. Deswegen sind viele wie Esther und ihr Vater an diesem Wochenende mit von der Partie, sie servieren in ihren Häusern Mittagessen und Feierabendbiere, manche bringen sogar eine Stärkung für die Kaffeepause hoch auf den Berg.
So sitze ich zwischendurch auf einem Stein in den blass-grünen Hügeln Sandoys, esse Waffeln mit Rhabarbermarmelade und sehe meiner schwedischen Teamkollegin zu, wie sie das herzförmige Gebäck in ihrer Hand fotografiert. Ich werde es später auf Facebook bewundern können.
Gutes Tourismusmarketing
Fotoscheu darf man hier nicht sein. Die Organisatoren lassen einen etwas rührseligen Film entstehen, den sie auf dem Abschlussfest zeigen werden – vielleicht bin ich aber auch nur zynisch, weil mich die Arbeit an der frischen Luft nicht so erfüllt, wie sie sollte. Natürlich werden auch alle Projekte professionell fotografiert – auf Bildern ist später zu bestaunen, wie ich sägeschwingend auf der Zauntreppe stehe, obwohl ich an ebenjenem Arbeitsgerät völlig versagt habe.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Schon vorher hatte mich der Gedanke beschlichen, dass wir weniger den Farmern und der Insellandschaft helfen als der Öffentlichkeitsarbeit des Färöer Tourismus. Immerhin dürften etliche Fotos Instagram und Facebook fluten – auch meine, denn natürlich kann ich dem Ausblick auf die See nicht widerstehen, als drei meiner TeamkollegInnen und ich auf der Ladefläche eines Pick-up-Trucks über sich malerisch windende Wege hoch in die Nähe unseres Projekts gefahren werden.
Wenn es vor allem um die Arbeit ginge – wäre die nicht schneller ohne uns erledigt? Immerhin ist es ein Riesenaufwand, der hier betrieben wird: Die Freiwilligen müssen untergebracht, verpflegt und, na ja, auch bespaßt werden.
Ein bisschen ist es wie Klassenfahrt – alle Programmpunkte stehen fest, morgens steigen wir auf dem Hotelparkplatz in den Bus, abends steigen wir auf dem Hotelparkplatz wieder aus. Rollen bilden sich: Klassenclown Paul, der dauerquatschend alle unterhält. Papa Iain, der dafür sorgt, dass die Gruppe zusammenbleibt. Ich kann wohl davon ausgehen, dass ich die unpünktliche Verweichlichte bin – womöglich auch die Grummelige. Oder warum fragen mich meine TeamkollegInnen immer, ob ich noch gut mithalten kann?
Helfen wir in Wirklichkeit den Färöern gar nicht – sondern sind nur Werbefiguren, die in lächerlichen Outdoorhosen Arbeit spielen?
Hilfreicher Arbeitseinsatz
Esther sieht das anders, sagt sie: Ihren Vater, der auch als Taucher und Klempner arbeitet, hätten die Projekte sonst viel Zeit gekostet, wenn er immer wieder allein zu den Einsatzorten hätte hochgehen müssen. „Ich glaube, es ist wirklich gut, zwei Tage zu haben, an denen die Sachen fertig gemacht werden – und dann ist die Sache gegessen.“
Für uns geht es nach dem Arbeitseinsatz per Fähre zurück auf die Hauptinsel Streymoy. Ich sitze an Deck, mache ein paar letzte Fotos von den kolossalen Bergen und träume so vor mich hin. Da tritt ein Clown in voller Montur an uns heran, von dem wir dann später lernen sollten, dass es Bubu, der Traum aller färingischen Kinder, ist.
Woher wir kommen, fragt er. Wir sind beim Maintenance-Projekt dabei, sagt mein Teamkollege Paul.
„Aaaaah“, sagt der Clown. „Ihr seid die Sklaven.“
Ach, Bubu, denke ich, als ich ihn später auf einem Foto entdecke. Wir sind doch nur Resonanztouristen.
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