MSA-Prüfungen in Corona-Zeiten: Es gibt grad Wichtigeres
So richtig das Festhalten am Abitur ist, so falsch ist es, Zehntklässler jetzt in nicht systemrelevante Prüfungen zu schicken.
D as Gute an Krisenzeiten wie diesen ist ja: Man kann noch mal genau darüber nachdenken, was wichtig ist – und was nicht. Fußball, Kino, tanzen gehen etwa sind schön, aber bekanntlich nicht „systemrelevant“. Abiturprüfungen sind für die Betroffenen weniger schön, aber dennoch notwendig. Denn, da hat Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) völlig recht: Wenn in ganz Deutschland Abiturprüfungen stattfinden, kann Berlin schlecht was anderes machen. Mit einem reinen „Noten-Abi“ würden Berliner AbiturienInnen wohl kaum an allen Hochschulen in Deutschland studieren könnten. Die Entscheidung des Senats, die Abiprüfungen an diesem Montag trotz Corona beginnen zu lassen, ist daher richtig.
Anders sieht es mit dem Mittleren Schulabschluss (MSA) aus. Dass Scheeres an den Prüfungen festhält und die Zehntklässlerinnen ab kommender Woche als Erste wieder in die Schule schickt, damit sie noch Zeit zur Vorbereitung auf die Prüfungen haben, ist nicht nur nach Meinung vieler Eltern und SchülerInnen die falsche Prioritätensetzung.
Zum einen sind die MSA-Prüfungen nicht „systemrelevant“: Die SchülerInnen müssen sie nur bestehen, die Note wird ohnehin aus den Halbjahreszeugnissen der 10. Klasse gebildet. Zum anderen – und vor allem: Das Abhalten der Prüfungen unter Corona-Bedingungen, also mit Sicherheitsabstand und verstärkten Hygienemaßnahmen, wird an den Schulen viele Ressourcen binden, die in den nächsten Wochen eigentlich für Wichtigeres benötigt werden. Etwa für den geplanten Schichtbetrieb, damit die Kinder wirklich wie versprochen in kleinen Gruppen unterrichtet werden können und die Räume zwischen den Stunden immer wieder gereinigt werden können. Oder für den Fernunterricht, der ja weiterhin notwendig sein wird, solange die Schulen noch nicht im Normalbetrieb laufen können.
Eigentlich muss Schule auch erst einmal ein Ort sein, an dem die Kinder und Jugendlichen ihre Erlebnisse der Ausnahmesituation der letzten Wochen aufarbeiten können. Lehrer und ErzieherInnen werden viel Zeit, Geduld und Empathie brauchen, die sozialen Verheerungen der Krise in den Griff zu bekommen. All das ist jetzt wichtig. MSA-Prüfungen sind es gerade nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid