Luftreinhalte-Prozess in Stuttgart: Grün-Schwarz vor Niederlage
Richter am Verwaltungsgericht Stuttgart tendieren zu Maßnahmen gegen ältere Diesel-Pkw. Sonst stehen die Grenzwerte nur auf dem Papier.
Seit Jahren scheitert Baden-Württemberg daran, die Grenzwerte für Stickstoff-Dioxid (NO2) in Stuttgart einzuhalten. Hauptverursacher sind Dieselmotoren. Das Land hat zwar einen Luftreinhalteplan aufgestellt. Doch den hält die Deutsche Umwelthilfe (DUH) für nicht ausreichend und klagte deshalb gegen das grün-schwarz regierte Bundesland.
Im März legte das Land einen neuen Entwurf vor. Wichtigste Maßnahme: Ab 2020 soll das ganze Stadtgebiet zur „blauen Umweltzone“ werden. Dann dürften in Stuttgart nur noch Dieselfahrzeuge mit Euro-6-Norm sowie PKW mit Otto-Motoren und Elektro-Autos fahren. Für diese Fahrzeuge gäbe es eine blaue Plakette.
„Ab 2020 könnten wir so die Grenzwerte einhalten“, versprach Christoph Erdmenger, Abteilungsleiter im Stuttgarter Verkehrsministerium von Winfried Hermann (Grüne). Das Problem dabei: Die „blaue Plakette“ müsste von der Bundesregierung per Verordnung eingeführt werden – und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) lehnt sie bisher rundweg ab.
„Wir gehen deshalb davon aus, dass die blaue Plakette nicht kommt“, sagte Wolfgang Kern, der Vorsitzende Richter des Verwaltungsgerichts. Die blaue Umweltzone sei wohl keine geeignete Maßnahme, „wenn sie an ein Ereignis geknüpft wird, das wahrscheinlich nicht eintreffen wird“. Baden-Württemberg müsse also selbst aktiv werden.
„Maximum an Optimismus“
Tatsächlich hatte das Land in seinem Planentwurf vom März auch die Verhängung von punktuellen Dieselfahrverboten ab 2018 vorgesehen. An Tagen mit akuter Grenzwertüberschreitung sollten an 22 Stuttgarter Einfallsstraßen nur noch neue Diesel fahren dürfen, die die Euro-6-Norm einhalten. Eine Woche vor dem Prozesstermin hat das Land diese Maßnahme jedoch „zurückgestellt“ und setzte stattdessen zunächst auf eine Nachrüstung von Dieselfahrzeugen. Das Land wolle, so Erdmenger, die „kaum für möglich gehaltene Dynamik“ ausnutzen, die in der Industrie jüngst entstand, um Fahrverbote abzuwenden.
Der Stuttgarter Beamte nannte im Prozess allerdings zwei Bedingungen: Bis Dezember müssten Autoindustrie und Bund plausible Zusagen machen, dass die Nachrüstung mindestens soviel Reduktion bringt wie die punktuellen Fahrverbote. Außerdem müsse ein Monitoring im Jahr 2018 ergeben, dass die Schadstoffwerte in Stuttgart wirklich sinken.
Das Verwaltungsgericht zeigte sich von der Nachrüstungsoffensive jedoch überhaupt nicht beeindruckt. Da die Nachrüstung im Belieben jedes Dieseleigentümers stehe, sei sie keine staatliche „Maßnahme“, mit der das Land seine Pflicht erfüllen könne. Richter Kern attestierte dem Land zudem ein „Maximum an Optimismus“, was die Bereitschaft der Autofahrer zur Nachrüstung und deren technische Wirksamkeit angeht. Gleichzeitig sei die so erreichbare Reduzierung der NO2-Werte um höchstens neun Prozent „nicht sehr viel“, so der Richter. Erforderlich wäre in Stuttgart, insbesondere am Vekehrsknoten „Neckartor“, eine Halbierung der NO2-Werte.
Gesundheit der Leute in Stuttgart schützen
Die Richter halten offensichtlich die kurzfristige Einführung von ganzjährigen Fahrverboten für ältere Diesel im ganzen Stadtgebiet für erforderlich. Auf präzise Vorgaben wird das Gericht aber wohl verzichten. „Wir müssen nur feststellen, ob der vorliegende Plan ausreicht oder nicht“, sagte Richter Kern.
Die Landesregierung verteidigte sich vor allem mit dem Hinweis auf drohende Verkehrsverlagerungen. Es sei verboten, durch Fahrverbote in der Stadt Grenzwertüberschreitungen im Stuttgarter Umland zu erzeugen, betonte der Anwalt des Landes, Wolfram Sandner, „wir dürfen keine rechtswidrigen Maßnahmen anordnen“. Richter Kern reagierte ärgerlich: „Es kann doch nicht sein, dass Sie die Gesundheit der Leute in Stuttgart nicht schützen, weil jemand sonst außenrum fährt.“ Wenn es Ausweichverkehre gebe, dann müsse die Umweltzone eben vergrößert werden und notfalls den ganzen Ballungsraum Stuttgart umfassen.
Das Urteil wird am Freitag nächster Woche verkündet – fünf Tage vor dem Diesel-Gipfel.
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