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Londoner Dubpoet Linton Kwesi Johnson„Wir Schwarzen haben England nachhaltig verändert“

Der Dubpoet Linton Kwesi Johnson über verlogenes Gedenken am Windrush Day, mündliche Überlieferung von Geschichte und den Kampf gegen Sklaverei.

Einfach cool: Linton Kwesi Johnson bei einem Konzert im Amsterdamer „Paradiso“ 1984 Foto: David Corio/getty images
Julian Weber
Interview von Julian Weber

taz: Linton Kwesi Johnson, in Großbritannien wird dieser Tage der „Wind­rush Day“ begangen, zum Andenken an die jamaikanische Migration ab 1948. Was verbinden Sie damit?

Linton Kwesi Johnson: Der Wind­rush Day kann mir gestohlen bleiben! Als er 2018 ins Leben gerufen wurde, geschah dies, um die schwarze Bevölkerung zu beschwichtigen. Sie war wegen der miesen Behandlung durch die Tories aufgebracht. Durch Ämterschlamperei wurden aus der Karibik stammende britische Staats­bür­ge­r:In­nen entrechtet. Sie waren legal ins Land gekommen. Ich empfinde den Wind­rush Day als zynische Vertuschung eines Skandals.

taz: Was kam damals zum Vorschein?

LKJ: Es wurde klar, dass die Dokumente von Tausenden Briten aus der Karibik vernichtet wurden, und so stempelte sie die Tory-Regierung zu Illegalen ab. Manchen wurde der Pass entzogen, anderen die Arbeitserlaubnis verweigert, oder ihre Krankenversicherung. Es gab Fälle, in denen Menschen, deren Eltern nach England eingewandert waren, ins Herkunftsland der Eltern abgeschoben wurden, ohne dass sie jemals dort gelebt hätten! Dieses offiziöse Wind­rush-Getue geht mir auf den Zeiger! Anstatt Behördenversagen aufzuarbeiten, zieht man eine Gedenkfassade hoch, um es unkenntlich zu machen. Außerdem ist der Wind­rush Day ahistorisch. Die ersten Schwarzen kamen bereits mit den Römern. Die große Migration setzte zwar nach 1945 ein, schon vorher aber lebte hier eine Diaspora. Schwarze Geschichte beginnt nicht erst mit Wind­rush.

taz: Kennen Sie die britische TV-Serie „Small Axe“, bei der der Künstler Steve McQueen Regie geführt hat? In der Folge „Mangrove“ geht es um die Londoner Black Panthers, denen Sie angehört haben und ihre Verfolgung durch Scotland Yard. Hat McQueen Ihre Geschichte adäquat inszeniert?

Im Interview: Linton Kwesi Johnson

Geboren 1952 in Chapelton/Jamaika, lebt seit 1963 in England. Als Schüler schloss er sich 1969 den Black Panthers in London an und begann, Texte zu schreiben, zunächst für Musikmagazine, Tageszeitungen und Politische Monatshefte.

1974 veröffentlichte er den Gedichtband „Voices of the Living and the Dead“ und begann ein Studium der Soziologie am Goldsmiths College in London. International bekannt wurde LKJ als Dubpoet mit der Dennis Bovell Band und den Alben „Forces of Victory“ und „Bass Culture“ (1979/80). Bis heute taucht er regelmäßig im Radio auf und mischt sich in Großbritannien in öffentliche Debatten ein.

2020 wurde er mit dem Pinter Preis des britischen PEN-Club ausgezeichnet. 2022 ist „Time Come“ bei Picador/London erschienen, eine Sammlung mit journalistischen, literaturwissenschaftlichen, politischen und biografischen Texten, lektoriert von seiner Frau.

Am 27. Juni 2025 liest LKJ beim Festival „Sonic Pluriverse“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt.

Small Axe: Die im Interview erwähnte britische TV-Serie „Small Ax“ ist noch bis zum 29. Januar 2026 in der Mediathek von Arte zu sehen

LKJ: Er ist ein Genie. Mit seiner Serie „Small Axe“ hat er der Öffentlichkeit einen großen Gefallen getan. Denn er rückt darin die historischen Erfahrungen von Briten in den Fokus, deren Eltern nach England gekommen waren. Die Filme sind gut recherchiert. Mein erster Gedanke: Jetzt bekommt die Gesamtgesellschaft endlich einen Eindruck davon, welche Erfahrungen wir in Großbritannien machen mussten.

taz: In der Folge „Lovers Rock“ geht es speziell um Soundsystemkultur in England. Dubreggae als DJ-Musik spielt die Hauptrolle. Jener Stil, durch den Sie Ende der 1970er international bekannt wurden, obwohl Sie bereits als Dubpoet gearbeitet hatten. Ihre Karriere ist ungewöhnlich, weil Sie als Bibliothekar angefangen haben …

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LKJ „Bass Culture“

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LKJ: Ich habe tatsächlich kurz als Bibliothekar in London gearbeitet, alles geschah gleichzeitig. In meinen 20ern war ich politisch aktiv bei den Panthern und schrieb für das Magazin Race Today. Ich begann damals, Gedichte zu verfassen, weil ich um einen künstlerischen Ausdruck gerungen habe. Ich war auf der Suche danach, wie sich Erfahrungen der Jugend mit eigenen Worten artikulieren lassen. Inspirationen dafür kamen aus der Lyrik und der Musik. Besonders Reggae-DJs in Jamaika hatten es mir angetan: Big Youth und U-Roy. So kam eins zum anderen. Als es mit meiner Musik losging, war das Zufall. Nein, kein Zufall.

taz: Eher Glück?

LKJ: Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Als ich meinen zweiten Gedichtband, „Dread Beat an’ Blood“, veröffentlicht hatte, schrieb ich auch für Virgin Records Linernotes. Dann flüsterte ich dem A & R John Varnom, dass ich ein eigenes Album aufnehmen könnte. Viele Leute sagten damals, meine Lyrik klinge musikalisch. 1978 wurde „Dread Beat an’ Blood“, mein Debütalbum, dann veröffentlicht.

taz: Weil Sie U-Roy erwähnt haben: Als ich seine Version von „The Tide is High“ gehört habe, war ich verblüfft. Sein Toasting ist rhythmisch, es arbeitet virtuos mit Punktuation und Pausen. Was gefällt Ihnen daran?

LKJ: Er gab mir konkrete Ideen, wie mündliche Überlieferung funktioniert und wie sie sich zur Literatur verhält. Das gesprochene Wort im Gegensatz zum geschriebenen Wort. Es hat mich geradewegs zur afrikanischen oralen Tradition gebracht, wie dort Geschichten mündlich überliefert werden. Dadurch wird Geschichte dokumentiert und von einer Generation an die nächste weitergereicht. Als ich begonnen habe, Strophen niederzuschreiben, habe ich dafür gesprochenes Jamaikanisch benutzt. Da es keine Grammatik gab, auf die ich mich hätte beziehen können, habe ich die Worte so aufgeschrieben, wie sie phonetisch klingen. Hat sich als passendes Vehikel für meine Generation entpuppt, so konnten wir die unterschiedlichsten Themen am besten ansprechen. Inzwischen ist Spoken Word führend im Pop, man denke an HipHop und Grime.

taz: 1984 habe ich Sie in München live gesehen. Ihr kontrollierter Zorn ist mir in Erinnerung. Vorher war ich mit Punk in Berührung gekommen, da war Wut mit körperlicher Konfrontation verbunden. Bei Ihnen kam sie cooler daher. Sie trugen Anzug und Hut …

LKJ: So bin ich halt. Musikalisch hat mich Punk nur mäßig begeistert, aber mit dem Spirit seiner Rebellion habe ich mich identifiziert. Außerdem waren Punks meine ersten Fans. Noch bevor ich mit der Dennis Bovell Dubband als Backing gespielt habe, bestritt ich mit Siouxsie and the Banshees, PIL und der Popgroup Konzerte. In ihren Songs thematisierten Reggae und Punk beide Orientierungslosigkeit, die durch die Rezession entstanden war. Die späten 1970er waren düster. Mit Beginn des Thatcherismus wurde dann der schmale Staat propagiert, das Kapital wurde wieder mächtig, die Labourparty geschwächt. Thatcher zerschlug die Gewerkschaftsbewegung, auch wenn sich diese mit dem Miners’ Strike noch mal aufbäumte.

taz: Großen Einfluss übte das Werk des karibischen Historikers C.L.R. James auf Sie aus. Er war Kommunist, aber kein Stalinist. Weshalb war er wichtig?

LKJ: Sein zentrales Werk „Die Schwarzen Jakobiner“ war ein Meilenstein insofern, als Schwarzen dadurch Fakten erstmals zugänglich gemacht wurden. Sein Buch handelte vom erfolgreichen Sklavenaufstand in der Karibik, bei dem 1804 Napoleon besiegt wurde, und dazu die britischen und spanischen Armeen. Ehemalige Sklaven errichteten auf Haiti eine unabhängige Republik. Wir lernten von James, woher wir gekommen waren, was wir getan hatten, um unser Los zu verbessern. Vorher wurden wir von der Geschichtsschreibung nur als Opfer dargestellt, als hätten wir nie gegen Sklaverei rebelliert. Es gab den Mythos, allein die Güte der Weißen und ihr liberales Gewissen habe Sklaverei abgeschafft. Dem entgegen belegte C. L. R. James, dass wir unsere Freiheit erkämpft hatten.

taz: Und sein Antistalinismus?

LKJ: Die Auseinandersetzung damit findet sich etwa in „Notes on the Dialectics“, wo er hegelianisch gegen orthodoxe Auslegungen von Marxismus argumentiert.

taz: Dieses Werk ist leider nicht ins Deutsche übersetzt.

LKJ: Zuvor stand James eine Zeitlang an der Seite von Trotzki. Er brach dann mit dem Trotzkismus, weil der nur die Kategorie Klasse gelten und die Kategorie „Race“ außer acht ließ. Dadurch kam James mit dem karibischen Kommunisten George Padmore zusammen, der zunächst in der Komintern tätig war und dann panafrikanischen Marxismus entwickelte. Beide wandten sich aktiv gegen Mussolini, nachdem der italienische Diktator 1935 mit seinen Truppen in Äthiopien einmarschiert war. Es gibt viele Facetten im Werk von C. L. R. James.

taz: Als ich 2022 in London war, entdeckte ich im Stadtteil Hackney, dass eine Bibliothek nach ihm benannt ist. Hat sich doch einiges geändert in England, oder?

LKJ: Wir Schwarzen haben England nachhaltig verändert. Wir haben das Land lebenswerter gemacht, als es war, damals, wie wir es vorgefunden hatten. Auf dem Weg zur Integration gab es enorme Hindernisse zu überwinden, struktureller Art, aber auch, was bigotte Vorurteile im Alltag anbelangt. Dagegen mussten wir auf die Straße und sogar Aufstände anzetteln. Das Ankommen in der Mehrheitsgesellschaft war kein Kinderspiel. Heute sind wir nicht mehr so marginalisiert. Unsere Leute sitzen in Parlamenten und Stadtverwaltungen, in Institutionen, sind sichtbar in allen gesellschaftlichen Sphären, ob Sport oder Kultur. Das wurde uns nicht auf dem Silbertablett gereicht, wir mussten dafür viele Widerstände überwinden. Was für eine Leistung!

taz: Sehen Sie sich als Londoner? Jamaikanischer Brite? Weltbürger?

LKJ: Als Londoner mit tiefen Wurzeln in Jamaika. Ach, eigentlich gehöre ich zur Familie der Menschheit.

taz: Anders als im jamaikanischen Dancehallsound verzichten Sie in Ihren Texten darauf, Frauen zu ­diskriminieren. Im Gegenteil, Sie haben immer bekundet, wie wichtig Künstlerinnen für Sie selbst waren. Ihre Textanthologie „Time Come“ wurde von Ihrer Frau Sharmilla Beezmohun zusammengestellt, wie kam es dazu?

LKJ: Meine Frau hat sich meine losen Texte aus den letzten 50 Jahren angesehen und fand, die müssten in Buchform. Meine erste Reaktion war, bitte erst, wenn ich tot bin. Das fand Sharmilla dämlich, lektorierte und publizierte „Time Come“. Es stimmt, Frauen spielen in meinem Leben eine große Rolle. Von meiner Oma habe ich jamaikanische Folkkultur mitbekommen. Gerechtigkeitssinn habe ich meiner Mutter zu verdanken, auch wenn ich kein Moralist bin. Später in London, als ich schon Graswurzelpolitik betrieben habe, waren Aktivistinnen zentral für meine Entwicklung. Zum Beispiel die Anführerin der Black Panthers, Al­theia Lecointe-Jones. Bei Lyrik nenne ich an erster Stelle das Werk von Gwendolyn Brooks. Dass Frauen in der Gesellschaft immer noch benachteiligt sind, ob sozial, politisch oder kulturell, ist eine betrübliche Tatsache.

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