Lohnungleichheit in Deutschland: Armer Osten, reicher Westen
Beim Lohn ist die Republik noch immer geteilt, der ehemalige Osten deutlich ärmer. Uneinigkeit herrscht darüber, was helfen könnte.
Der Statistik zufolge verdienten die Vollzeitbeschäftigten 2017 mit 3.209 Euro brutto im bundesweiten Mittel zwar rund 80 Euro mehr als im Vorjahr. Hinter diesem Wert verbergen sich aber große regionale Unterschiede. In den alten Bundesländern lag der mittlere Lohn bei 3.339 Euro, im Osten stehen dagegen im Mittel nur 2.600 Euro monatlich auf dem Lohnzettel der Arbeitnehmer*innen. Im sächsischen Landkreis Görlitz waren es gar nur 2.183 Euro und damit ungefähr nur halb so viel wie in Ingolstadt in Bayern.
Bei all diesen Werten handelt es sich wohlgemerkt nicht um den jeweiligen Durchschnitt, sondern um den Median, den Wert also, der in der Mitte steht, wenn man Werte und Zahlen ihrer Größe nach sortiert.
In den Augen von Karl Brenke, Volkswirt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, sind die Zahlen deshalb nicht weniger aussagekräftig. „Hätte man die Durchschnittswerte betrachtet, wären die Unterschiede tendenziell sogar noch ein bisschen größer“, sagt er.
Mehr kleine Betriebe im Osten
Die Ungleichheit zwischen Ost und West hat laut Brenke vor allem mit der Vielzahl kleiner Betriebe in den neuen Bundesländern zu tun. Die zahlten meist weniger Lohn als große Konzerne. Auch die Art der Firmen spiele eine Rolle: Die Industrie befinde sich hauptsächlich im Westen, während der Osten vor allem durch Gastgewerbe und Landwirtschaft geprägt sei. Dort seien die Gehälter im Vergleich eher niedrig.
Daran muss sich etwas ändern, findet die Linkspartei. Nötig sei beispielsweise, Tarifverträge und Tarifbindung zu stärken, sagt Sabine Zimmermann, Arbeitsmarktexpertin der Linken. Sie fordert einen Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde und die Abschaffung von Niedriglohnjobs, darunter Leiharbeit.
Von solchen Ansätzen hält Wirtschaftswissenschaftler Brenke nicht viel. Er sagt: „Das führt nicht automatisch dazu, dass große Konzerne auf einmal in den Osten ziehen.“ Die Wurzeln des Problems liegen laut Brenke ohnehin tiefer, als viele glauben. Bereits im Kaiserreich, vor dem Zweitem Weltkrieg und vor der Planwirtschaft war der Osten wirtschaftlich weniger entwickelt als andere Teile Deutschlands. Das habe zur Bezeichnung „Ostelbien“ geführt, damals Synonym für ökonomische Schwäche, sagt Brenke. Nur ein umfassender Strukturwandel könne in Zukunft dafür sorgen, dass der Osten wirtschaftlich wieder stärker werde und die Löhne steigen.
Theoretisch ist das möglich. Das zeigt Süddeutschland: Aus einer einst armen Gegend ist bis heute eine der reichsten Regionen Deutschlands geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag