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Lockerungsdebatte in der PandemieMehr Normalität ist möglich

Anna Klöpper
Kommentar von Anna Klöpper

Corona wird noch eine Weile unseren Alltag bestimmen. Aber Impfungen, Tests und Erfahrungswerte geben uns dennoch die Chance auf mehr Freiheiten.

Weg aus der Krise: mehr Impfen, schneller impfen Foto: picture alliance/dpa/Getty Images Europe/Pool | Sean Gallup

J e länger diese Pandemie dauert, desto klarer wird: Wir müssen uns mit diesem Virus arrangieren. Es ist da, und es wird weniger schnell (wenn überhaupt) wieder verschwinden, als man noch vor der zweiten Welle im Herbst dachte. Einmal harter Lockdown und dann wieder zurück auf Normal? Ein Irrtum.

Die Belastungen für Eltern aus Homeoffice und Kinderbetreuung, das Hangeln der Soloselbstständigen von einem Soforthilfepaket zum nächsten, die prekäre Lage gerade der kleineren Fische im Kulturbetrieb, die wachsende Bildungsungerechtigkeit: die sozialen Verwerfungen nehmen zu, aber die Inzidenzen sinken nicht.

Gleichzeitig wird klar: Unsere Möglichkeiten wachsen, auch mit einer Inzidenz über null dauerhaft umzugehen, sogar mit einer Inzidenz von über 35 – die ja immer als Schallmauer galt, ab der es wieder Lockerungen geben könnte.

Mehr testen, schneller impfen

Selbsttests für SchülerInnen kommen und können weitere Schulöffnungen flankieren, versichert die Senatsbildungsverwaltung. Regierungschef Michael Müller (SPD) drängt vor dem Bund-Länder-Gipfel am Mittwoch darauf, die Impfverordnung flexibler zu gestalten, sodass schon im April auch in Arztpraxen geimpft werden kann. Die Berliner Amtsärzte erklärten in einem gemeinsamen Schreiben, auch Inzidenzen von 50 seien für die Gesundheitsämter kein Problem.

Der Coronastufenplan, den Berlin am Mittwoch in die Länderberatungen einbringt, ist zu Recht nicht mehr auf eine Inzidenz von 35 fixiert, sondern nimmt auch andere Parameter in den Blick – etwa wie stabil die Infektionszahlen auf einem händelbaren Niveau gehalten werden können.

Schneller impfen, mehr testen, (demnächst) selbst testen – die Infrastruktur, die es im ersten Coronajahr nicht gab, die gibt es jetzt (bald). Es gibt außerdem Erfahrungswerte und ausgetüftelte Hygienekonzepte für viele Bereiche des öffentlichen Lebens. Mehr Normalität ist möglich. Auch wenn Corona bleibt.

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Anna Klöpper
Leiterin taz.eins
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.
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5 Kommentare

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  • Das Impfen als Weg aus den Beschränkungen, diese Hoffnung wird sich dieses Jahr kaum erfüllen. Dafür sind wir zu langsam und wie Israel zeigt, bleiben die Zahlen der Neuinfektionen hoch, selbst wenn schon ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung geimpft ist. Und der Blick in unsere Altenheime zeigt, das selbst in komplett durchgeimpften Einrichtungen nicht daran gedacht wird, den Menschen wieder ein Stück ihrer Würde zurückzugeben.



    Auf was sollen wir also hoffen, dieses Jahr?

  • Um das im Kommentar Angedeutete etwas mehr hervorzuheben:



    Grundsätzlich ist Ungleichheit bspw. Bildung, Einkommenshöhe usw. ein Ergebnis des Kapitalismus. Die Verschärfungen, die sozialen Verwerfungen, sind weniger ein Ergebnis der Pandemie, sondern kommen daher, wie mit Politik auf diese reagiert wird. Und diese Politik ist weniger auf sozialen Ausgleich ausgerichtet. Ein Kurzarbeiter*innengeld von 60% ist einschneidender für die Menschen, je geringer deren Einkommen ist. Unterrichtsausfall bzw. digitaler Unterricht ist für die Familien schwerer zu kompensieren, denen es bereits vorher an Bildung gefehlt hat, denen es an Geräten fehlt und die bereits vorher andere soziale Herausforderungen zu meistern haben. Das HartzIV-System, dessen repressiver und verarmender Charakter, wurde bereits vorher kritisiert usw. usf.. Das alles ist den Regierenden auch bewusst, denke ich. Mehr als ein bisschen Flickschustern hier und da liegt auch nicht in deren Interesse.

  • "das Hangeln der Soloselbstständigen von einem Soforthilfepaket zum nächsten, die prekäre Lage gerade der kleineren Fische im Kulturbetrieb, die wachsende Bildungsungerechtigkeit" - daran ändern wir mit "mehr Normalität" nicht so wahnsinnig viel. Beispiel Bildung: "Mehr Normalität" wären z.B. Konzepte, die auf Wechselmodelle abstellen, doch damit ist auch niemandem so richtig geholfen. Wir hätten dann immer noch massive Probleme mit Bildungsungerechtigkeit. Ich hab's selber erlebt, es taugt alles nix.

    Richtig ist: Eine Normalität, in der Maske, Handhygiene und Lüftungssysteme völlig verschwunden sind, wird es so schnell nicht mehr geben. Aber es ist eine Normalität möglich, in der wieder alles offen ist, so wie vorher. Nur eben nicht jetzt, sondern voraussichtlich im Spätsommer, wenn ein Großteil der Bevölkerung geimpft sein wird. Jetzt unter hohem Risiko auszuprobieren, an welcher Schraube man vielleicht schon drehen kann, wäre irgendwie Quatsch. Denn wenn's nicht klappt, gibt's einen weiteren Lockdown, und der wird sehr hart ausfallen.

    • @zmx52:

      Genau, dass ist das Problem. Man sollte sich da nix vormachen: Auch massenhaften Testen + mehr Impfungen kann bei weiteren Öffnungen den Anstieg der Fallzahlen nicht ohne weiteres kompensieren, denn bei einem starken Anstieg der Kontakte gibt es auch wieder mehr Infektionen. Das wollen viele nich wahrhaben siehe Hygienekonzepte. Aber, wenn man noch etwas Geduld hat und jetzt noch einige Wochen wartet, dann sind wir ja aufgrund der Impfungen durch. Dann kann man ja alles wieder öffnen.



      Wie hat der Lauterbach gesagt: jetzt nicht die Nerven verlieren!

    • @zmx52:

      So, wie es derzeit läuft rechne ich nicht damit, dass wir die Schwelle beim impfen im Spätsommer erreichen. Wir sind zu zaghaft, zu ängstlich, zu Regelfixiert, zu unflexibel. Da sitzt womöglich so ein Andy Scheuer, der das organisiert. Wenn wir entsprechend länger brauchen mit dem impfen, heißt dass dann Lockdown bis Herbst? Lockdown bis Weihnachten? Was machen wir bis dahin mit Urlaubsrückkehrern?