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Lockerung der SchuldenbremseGeld für Verteidigung: Soll der alte Bundestag entscheiden?

Ein neuer Bundestag ist gewählt – doch womöglich könnte der alte noch eine wichtige Milliarden-Entscheidung treffen. Das sind die Hintergedanken.

Das Bundestagsgebäude am Morgen nach der Wahl: Entscheidet der alte Bundestag über die Reform der Schuldenbremse? Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Berlin (dpa) | Es war der Sprengstoff für die Ampel-Koalition – und steht nach der Neuwahl sofort wieder zur Debatte: Wo kriegt die Bundesregierung Milliarden für die Verteidigung und die Ukraine her, die sie im Haushalt nicht übrig hat? Darüber könnte – so ist gerade im Gespräch – noch der alte Bundestag entscheiden, obwohl der neue schon gewählt ist.

Durch den Kurswechsel der US-Regierung von Donald Trump mit Blick auf den Ukrainekrieg und die Nato ist das Problem nämlich noch akuter als zuvor. Außerdem macht das Ergebnis der Bundestagswahl die Sache für den wahrscheinlichen künftigen Kanzler Friedrich Merz von der Union kompliziert.

Welche Möglichkeiten gibt es, frische Milliarden bereitzustellen?

Das Parlament könnte eine Reform der Schuldenbremse beschließen, die eine höhere Kreditaufnahme ermöglicht. Dann könnte man das Geld aus dem regulären Haushalt bereitstellen. Man könnte auch Verteidigungsausgaben generell von der Schuldenbremse ausnehmen, wie Noch-Kanzler Olaf Scholz (SPD) das zuletzt vorgeschlagen hat.

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Alternativ könnte ein Sondervermögen eingerichtet werden. Das ist ein Topf abseits des Bundeshaushalts, aus dem Maßnahmen mit einem ganz bestimmten Zweck finanziert werden.

Was sind die Unterschiede?

Für eine Reform der Schuldenbremse wäre eine Änderung des Grundgesetzes nötig – denn da ist die Schuldenregel in Artikel 115 verankert. Eine solche Reform ist politisch sehr umstritten – und sie braucht eine große Mehrheit im Bundestag. Genauer: Zwei Drittel der Abgeordneten müssten zustimmen.

Bei Sondervermögen gibt es zwei Möglichkeiten: Man könnte sich das Sondervermögen für die Bundeswehr zum Vorbild nehmen. Dieses wurde im Grundgesetz verankert – und dort von der Schuldenbremse ausgenommen. So kann ein Sondervermögen eigene Kredite aufnehmen – theoretisch unbegrenzt. Nötig wäre aber auch hier eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Ohne diese Verankerung im Grundgesetz müsste das Sondervermögen aus dem Bundeshaushalt gefüttert werden. Größere Kredite dafür wären nur drin, wenn man eine Notlage erklärt, die die Schuldenbremse vorübergehend aussetzt. Das könnte man etwa mit dem Kurswechsel der US-Regierung begründen. Das Problem: Das Geld müsste dann in dem Jahr ausgegeben werden, in dem es aufgenommen wurde. Soll das Sondervermögen über mehrere Jahre laufen, müsste man jedes Mal erneut eine Notlage erklären – und dafür eine gerichtsfeste Begründung finden.

Warum wollen einige einen Beschluss jetzt schnell noch mit dem alten Bundestag?

Das hat mit den neuen Mehrheitsverhältnissen zu tun. Die sogenannten Parteien der Mitte – also Union, SPD und Grüne – haben keine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. AfD und Linke sind so stark, dass sie eine Änderung des Grundgesetzes blockieren könnten. Deshalb kam die Idee auf, das Thema schnell noch vor Konstituierung des neuen Bundestags mit den alten Mehrheiten abzuräumen.

Welche Variante ist wahrscheinlich?

SPD und Grüne wollen schon lange eine Reform der Schuldenbremse – und hatten Merz vor Monaten bereits Gespräche dazu angeboten. „Dies ist immer wieder abgelehnt worden. Und ich muss schon sagen, ich wundere mich über die letzten Stunden, wie schnell man plötzlich das Rad neu erfinden kann“, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Die SPD ist verärgert und wirft Merz vor, er habe damals Parteitaktik vor das Wohl des Landes gestellt.

Ob für die Union eine Reform der Schuldenbremse überhaupt infrage käme, ist nicht ganz klar. Der Erste parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Thorsten Frei, warnte davor, „alle Schleusen zu öffnen für alle Herausforderungen, die da möglicherweise kommen“. Hier dürften die Gedankenspiele eher in Richtung Sondervermögen gehen – was wiederum bei SPD und Grünen für deutlich weniger Begeisterung sorgt als die Aussicht auf eine Reform der Schuldenbremse.

Was könnte das für Koalitionsverhandlungen bedeuten?

Das Thema jetzt abzuräumen, könnte mögliche Gespräche von Union und SPD deutlich erleichtern, denn der Haushalt ist eine der größten Baustellen einer neuen Bundesregierung. Aktuell ist schlicht nicht genug Geld da, um alle Pläne und Verpflichtungen unter Wahrung der geltenden Schuldenbremse zu bezahlen. Könnte man Milliarden für die Verteidigung und die Unterstützung der Ukraine ausklammern, wäre deutlich mehr Spielraum im Bundeshaushalt. Dann könnte man Streit in den Verhandlungen eventuell im Kern ersticken, indem einfach beide Seiten ihre Wunschprojekte finanziert bekommen.

Warum ist ein solcher Beschluss auch umstritten?

Man kann argumentieren, dass ein Beschluss mit dem alten Parlament demokratietheoretisch problematisch ist. Mützenich bezeichnete ihn als „Gratwanderung“, Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte, es sei nicht „einfach so locker und easy“. Der AfD-Haushälter Peter Boehringer hält das Vorgehen für unlauter. „Der 20. Bundestag ist spätestens mit der Bundestagswahl von Sonntag Geschichte“, betonte er.

Denn ein neuer Bundestag ist bereits gewählt – und er sieht völlig anders aus. Die FDP und das BSW sind nicht mehr dabei, könnten bei Sondervermögen oder Änderung der Schuldenbremse aber noch mitstimmen. Dafür hatten die AfD und vor allem die jetzt starke Linke im alten Bundestag viel weniger Stimmen. Die Abstimmung würde also nicht den aktuellen Wählerwillen abbilden.

Gab es das schon einmal?

Ja, am 16. Oktober 1998 kam der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammen, um erstmals seit Bestehen der Bundeswehr über den Kriegseinsatz deutscher Soldaten zu entscheiden. Da ging es um den Konflikt im Kosovo. Der neue Bundestag war nach der Wahl im September noch nicht konstituiert, die bisherige schwarz-gelbe Regierung war abgewählt und Rot-Grün noch nicht im Amt.

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16 Kommentare

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  • Es wäre zukunftsweisend, die Schuldenbremse zu lockern.



    Angesichts der diversen Baustellen, die Deutschland so hat, ist das auch der einzig realistische Weg.



    Neben der Bundeswehr sind ja auch Investitionen in die Infrastruktur, in Schulen und die kriselnde Wirtschaft angezeigt.



    Die Idee der CDU, das Alles aus dem laufenden Haushalt bestreiten zu wollen, ist unrealistisch. Im Haushalt 2025 fehlen derzeit 25 Mrd. Merz will Steuergeschenke von rd. 100 Mrd. machen.



    Wo soll das schöne Geld denn herkommen?



    Es wäre ein kluger Schachzug von Merz, diese Gelegenheit zu nutzen .



    Außerdem würde es der CSU den Wind aus den Segeln nehmen, die schon meint, Merz fernsteuern zu können.



    Das ist die erste Bewährungsprobe: kann Merz Kanzler?

  • Was hier verteidigt werden soll, ist die Dividende der Rüstungsunternehmen, nur um die geht.

    Kein Geld für Wohnungen, für Bildung, für Gesundheit, aber Dividende für Rüstungsunternehmen, wenn die Grünen und die SPD dem zustimmen können.

  • Dass Habeck das - anstatt selbst soziale Verbesserungen zu unterstützen oder zu fordern - jetzt ins Spiel gebracht hat angesichts der Tatsache, dass die Linke für eine Zustimmung zur Abschaffung der Schuldenbremse Forderungen nach sozialen Verbesserungen angekündigt hat, zeigt mir, dass die vielen Wählerwanderungen von den Grünen zur Linken genau richtig waren.



    Anstatt den Hebel zur sozialen Verbesserung zu unterstützen, arbeitet er lieber der CDU zu... Die Grünen sind keine linke Partei!

  • Merz hat ja schon wieder abgewunken, doch im Interesse von Deutschland und Europa ist die Reform der Schuldenbremse unausweichlich; allerdings, mit dieser Opposition und den fehlenden Zweidrittel, aussichtslos. Also eigentlich jetzt. Es geht um die Wurst!

  • Die AfD ist auch für Aufrüstung - und das nicht zu knapp. Der genannten Partei ist halt nur die Schuldenbremse vermutlich „heilig“ (wenn man dieses Wort in dem Zh. treffend findet). Sollten die dahingehenden Differenzen überwunden werden, kommt es vermutlich zu ganz großen Koalition bezüglich Militärausgaben. Vielleicht aber enthält sich die Linke; natürlich erst nach einigen innerparteilichen Diskussionen, dieses Mal auch mit 10% weniger Grabenkämpfen (der Antrag von 15% wurde abgelehnt).

  • Das wäre wirklich ein Skandal und widerspricht absolut meinem Demokratieverständnis.



    Bitte: wenn man die AfD weiter befördern will, dann nur zu.



    Genau das sind doch die Aktionen, mit denen man (in diesem Fall zu Recht!) Zweifel an unserer Demokratie schürt...!

  • Natürlich kann man den alten Bundestag nochmal antreten lassen. Wenn man die Demokratie komplett beschädigen will. Dass überhaupt so eine Idee aufkommt, ist schon schlimm genug.

    Eine Änderung der Schuldenregeln ist mit den Linken problemlos machbar. Hat sie auch schon erklärt. Allerdings geht es dann nicht nur um den wahllosen Erwerb von Ballerware. Dann muss eben auch Geld für Zukunftsprojekte drin sein.

  • Krasser kann man seine abgrundtiefe Verachtung für seine Wählerinnen und Wähler wohl nicht mehr zeigen. Ein abgewähltes Parlament (!) soll die Aufrüstungsmilliarden durchwinken. Da fehlen einem die Worte...

  • Einerseits: Ich finde das auch sehr schwierig, noch die "Lücke" zu nutzen. Gefühlt könnte es "Wählertäuschung" sein, "unlauter" usw.



    Andererseits ist es bezeichnend, dass gerade die Parteien auf den radikalen Rändern moralisch intervenieren. Das entspricht aber deren Absichten, Fundamentalopposition zu machen. Jetzt fürchten sie, dass ihnen ein Teil ihres Instrumentariums genommen wird.



    SPD, Grüne und CDU sind sich dieses Risikos bewusst. Und denken nach im Interesse des Großenganzen.



    Rein rechtlich gesehen sowie im Sinne einer rationalen Politik ist es richtig, alle Möglichkeiten zu nutzen, das Grundgesetz etwas "radikalensicherer" zu machen.

  • also nochmal: bevor die Bw nicht reformiert worden ist, braucht man nicht mehr Geld. Das wird sonst nämlich genauso zum Fenster rausgeschmissen wie bisher. Warum haben z.B. die Italiener 2 Flugzeugträger und drei Hubschrauberträger auf denen mehr Flieger stehen als die Bundesluftwaffe einsatzbereit hat plus Belgelitschiffe plus eine LUftwaffe plus ein heer mit genausovielen Panzern wie die Bw für etwas mehr als das halbe Bw-Budget??l Von der IDF will ich garnicht schreiben.



    Pistorius hat hier praktisch nichts bewirkt. Merz interessiert sich auch nicht für die Bw. Alles dieses Gerede über mehr Geld nützt nur und ausschließlich der deutschen und der amerikanischen Rüstungsindustrie. Und bringt an Einsatzfähigkeit praktisch nichts.

  • Es hätte eben niemand gedacht, dass die Linke mit Konzepten des letzten Jahrtausend fast 9% holt. Die AfD alleine hätte keine Sperrminorität, aber beide zusammen schon.



    Bevor der neu neue Bundestag zusammen kommt sollte man noch die grundsätzlichen Dinge ins Grundgesetz schreiben.

    • @Der Cleo Patra:

      So läuft datt ebend in einer repräsentativen Demokratie - was nicht passt , wird passend gemacht - von den von uns legitimieren Abgeordneten.



      Ist doch fein, wenn sich die Wähler nicht verar...t vorkommen.

    • @Der Cleo Patra:

      Und damit ist sie mal wieder bestätigt, die Leier von den „Extremisten von rechts und links“, wohingegen die „gesunde Mitte“… (langsam ausblenden).

    • @Der Cleo Patra:

      Naja, vor der Wahl war davon auszugehen, dass die Linke und die BSW jeweils 5 Prozent erreichen. Insoweit ist die Sache mit den Sperrminoritäten jetzt nicht wirklich überraschend.

      Wenn die BSW es in den Bundestag geschafft hätte, dann hätte es für schwarz-rot noch nicht mal für eine Mehrheit gereicht.

    • @Der Cleo Patra:

      "Es hätte eben niemand gedacht, dass die Linke mit Konzepten des letzten Jahrtausend fast 9% holt."

      Sie verwechseln da etwas. Die Union hat mit Konzepten aus dem vorigen Jahrhundert 28,5% geholt. Die Linke beschäftigt sich mit der Zukunft.

    • @Der Cleo Patra:

      In der Vergangenheit verabschiedete der Bundestag keine Gesetze mehr in der Übergangszeit mit der Begründung, dass das undemokratisch sei und das soll jetzt nicht mehr gelten? Warum sollen die Konzepte der Linken aus dem letzten Jahrtausend sein? Ist das Konzept Aufrüstung nicht eher aus dem letzten Jahrtausend?



      Man braucht übrigens gar keine Grundgesetzänderung zum Aufrüsten! Die neue Regierung könnte auch einfach die wohlhabenden etwas mehr besteuern.