Literaturnobelpreis für Bob Dylan: Wozu braucht Pop den Preis?
Der schottische Autor Irvine Welsh hält die Verleihung des Nobelpreises an Bob Dylan für einen nostalgischen Akt seniler Hippies.
Wenige Stunden nach der Verkündung des Nobelpreiskomitees in Stockholm trat Bob Dylan in Las Vegas auf. Der Mann, der nicht gerne Interviews gibt, blieb auch an diesem Tag diszipliniert. Seine Fans feierten ihn. Er aber verlor kein Wort über den Nobelpreis für Literatur, der ihm, einem Musiker, verliehen wurde.
Man kann es verstehen. Die Aufnahme in den Kanon tut schon Schriftstellern weh, wie soll ein Popkünstler das aushalten? Wer drin ist im Kanon, kann einpacken, ist von gestern, Sediment, Staub in einem versiegelten Sarkophag. Wer feiert sich da schon gern.
Der Rest der Welt aber feierte enthusiastisch: Bob Dylan! Vor allem die alten Kämpfer für die Anerkennung von Pop als legitimer, professorabler, förderungswürdiger, vielleicht sogar staatstragender und familienfreundlicher Kultur sahen sich am Ziel ihrer Träume angekommen: Nobilitiert von Nobel, nun würde nie wieder einer wagen, vom Trivialen, von Schund und Schmutz zu reden. Ist der Nobelpreis für Dylan nicht auch ein Nobelpreis für den Pop?
Irvine Welsh, schottischer Schriftsteller, Autor von „Trainspotting“, Punk und Troublemaker, erläuterte auf Twitter, was seiner Ansicht nach wirklich passiert war: „I’m a Dylan fan, but this is an ill conceived nostalgia award wrenched from the rancid prostates of senile, gibbering hippies.“ (Ich bin Dylan-Fan. Aber das ist schlecht durchdachte Nostalgie, herausgequetscht aus der ranzigen Prostata seniler, plappernder Hippies.)
Das gefiel nicht allen. Einer der Hippies beschwerte sich, Welsh sei ein trauriger Dylan-Fan, wenn er dessen wunderbare Texte aus vier Dekaden nicht kenne. Welsh: „Sollten Sie ein ‚Musik‘-Fan sein, schlagen Sie den Begriff im Wörterbuch nach. Dann machen Sie dasselbe mit ‚Literatur‘. Und dann vergleichen und unterscheiden Sie.“ Schließlich fragte sich der Schotte, ob Don DeLillo schon in die Rock-’n’-Roll Hall of Fame aufgenommen worden sei, neben Def Leppard und Slayer.
Es ist nicht überliefert, was Bob Dylan von Irvine Welshs Einwurf hält. Aber es könnte sein, dass er mit dessen Lesart der Dinge sympathisiert. Als letztes Stück spielte er in Las Vegas einen alten Song von Frank Sinatra: „Why Try To Change Me Now“. Joseph McCarthy hat den Song 1952 zusammen mit dem Pianisten Cy Coleman geschrieben, nachdem sie durch die Clubs von New York gezogen waren. (Literaturnobelpreisträger im Jahr 1952: François Mauriac.) McCarthy wird als „mean drunk“ beschrieben, dessen Idee von Spaß gewesen sei, die Läden auseinanderzunehmen, in denen er soff.
Das Stück, das die beiden Betrunkenen morgens komponierten, endet mit den Zeilen: „Don’t you remember/ I was always your clown/ Why try to change me/ Why try to change me now.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen