Linkes Gedenken: Kein gutes Jahr für die Revolution
Rund 40.000 Teilnehmer erinnern in Friedrichsfelde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht - viel weniger als sonst. Mit dabei: zwei Jungkommunisten, die aus Überzeugung Arbeiter geworden sind.
Der ermordeten Arbeiterführern Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu gedenken haben der Automobilbauer und den Hafenarbeiter verinnerlicht wie die Zeiten ihrer Schichtdienste. Der Hafenarbeiter ist über 300 Kilometer angereist, der Automobilbauer über 600 Kilometer. Sie machen das seit Jahren, wenn am zweiten Sonntag im Januar in Berlin für die Ideen von LL(L) demonstriert wird: Luxemburg, Liebknecht - und Lenin, der je nach Gruppenzugehörigkeit hinzugefügt wird.
Zu Beginn des Protestzuges zur Gedenkstätte der Sozialisten nach Friedrichsfelde stehen die beiden am Frankfurter Tor und halten Vorbeigehenden eine Zeitschrift entgegen, auf deren Titel steht: "Die andere Welt hat einen Namen: Kommunismus". Der Automobilbauer nennt sich Lars und sagt, er sei hier der Opa. Er ist 30 Jahre alt. Der Werftarbeiter, Arno, ist 20. Die beiden sind Mitglieder von Rebell, der Jugendorganisation der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD). Arbeiter sind sie geworden, weil sie Sozialisten sind, sagen sie - nicht andersherum.
Die Demonstration zum Gedenken an die Ermordung der KPD-Gründer Luxemburg und Liebknecht am 15. Januar 1919 ist so etwas wie das Schaulaufen des deutschen Sozialismus. Hier treffen DDR-Nostalgiker mit Pelzmütze auf antikapitalistische Antifas mit Kapuze. Einmal im Jahr herrscht die seltene Stimmung eines Volksfestes des linken Kampfes: Arbeiterlieder, Fahnen, Agitation und Verbrüderung. Es sei auch ein Kräftemessen, wie stark die Linke in Deutschland ist, sagt Arno. Wenn es danach geht, ist 2010 kein gutes Jahr für die Revolution: An dem stillen Gedenken am Grab in Friedrichsfelde, zu dem die Linke aufruft, nehmen an diesem Tag etwa 40.000 Menschen teil, im Vorjahr sprach die Partei noch von gut 70.000. Bei der Demonstration zählt die Polizei etwa 3.000 Teilnehmer.
Aber die, die da sind, wissen, was sie wollen. Im Rebell-Block unterstützt ein Trommler den Sprechchor beim Rythmushalten. "Bun-des-wehr - raus aus Afghanistan" geht direkt über in "Hoch - die - internationale Solidarität". Arno eilt weiter nach vorn. Er habe mit 14 Jahren das Gefühl gehabt, dass in der Welt grundsätzlich etwas verkehrt laufe. "Man wundert sich darüber, dass alles Scheiße ist im Kapitalismus. Dann macht man sich seine Gedanken, wie es anders laufen könnte. Dann stellt man fest, dass es eine ziemlich große Überschneidung mit dem Sozialismus gibt." Zu Rebell und zur MLPD ist er übers Internet gekommen, er hat abgewägt, welche Partei seinen Sozialismus am ehesten vertritt.
Dass er für seine Arbeit überqualifiziert sei, hört er einmal die Woche. Wie viele andere bei Rebell ist er Arbeiter geworden, um im Betrieb, der Keimzelle der Revolution, in Gesprächen seine Meinung zu vertreten. Sonst hätte er vielleicht studiert. "Aber damit wäre ich auch nicht glücklich geworden." Er hat gerade einen Kalenderspruch zum Thema Glück gelesen, aber die seien alle Quatsch. "Glück ist, wenn du mit den objektiven Bedingungen, die du hast, klarkommen und damit umgehen kannst", sagt Arno.
Kurz vor ihm liegt die Gedenkstätte der Sozialisten. An den Gräbern von Luxemburg und Liebknecht stecken Menschen Nelken in den Schnee. Viele nehmen ihre Kamera aus der Tasche und fotografieren. Bilder, unter denen nur noch ein Kalenderspruch fehlt.
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