Linker Protest in der Walpurgisnacht: Mit Abstand die erste Demo
In Berlin starten Stadtteilinitiativen per infektionssicheren Protest in den 1. Mai. In Hamburg wird dezent rumgestanden.
„Die Reichen sollen zahlen“, hieß es bei einer Kundgebung der Arbeitsgemeinschaft Wedding solidarisch im traditionell „roten“ und postmigrantischen Stadtteil Wedding.
Vor Wochenmarktbesucher*innen und dem eher einkommensschwachen üblichen Publikum des Leopoldplatzes durften hier 20 Aktivist*innen aus verschiedenen Stadtteilinitiativen ihre Forderung nach einer „sozialen und demokratischen Lösung der Krise“ bekannt machen. Eine geplante Demonstration von 100 Personen wurde zuvor, trotz der Vorlage eines Konzeptes von Schutzmaßnahmen, verboten.
„Es ist bezeichnend, wie weit der Staat geht, um Arbeitskampfmaßnahmen zu kassieren“, sagte einer der sämtlich Schutzmasken tragenden Aktivist*innen gegenüber der taz, ohne seinen Namen nennen zu wollen. Dieser Ausnahmezustand dürfe nicht zum Normalzustand werden.
Seit 2012 organisiert die mietenpolitische Initiative Hände weg vom Wedding alljährlich eine radikale Kiez-Demonstration am 30. April. Mehr als 3.000 Menschen schlossen sich 2019 dem Zug an.
Dieses Jahr signalisierte die Initiative schon frühzeitig, die Infektionsgefahr ernst zu nehmen und bei Protestaktionen das Übertragungsrisiko minimieren zu wollen. Entlang der ursprünglich geplanten Demoroute machten die Aktivist*innen nun mit Sprühfarbe und Plakaten ihre Forderungen sichtbar.
So etwa die Vergesellschaftung des Gesundheitswesens und großer Immobilienkonzerne sowie das Recht auf Wohnen – insbesondere für Geflüchtete und Obdachlose. Auch pocht die Initiative auf ein Verbot von Leiharbeit und Outsourcing.
Kritik an der Landesregierung
Scharf kritisiert wurde im Wedding die rot-rot-grüne Berliner Landesregierung, insbesondere die Linke. „Die Linkspartei kuscht vor SPD und Grünen, die ihren eigenen sozialen Anspruch schon längst aufgegeben haben“, hieß es in einem Redebeitrag.
Beifall vom Balkon eines anliegenden Hauses kam insbesondere für die Forderung, die Lagerunterbringung von Geflüchteten auszulösen, an den EU-Außengrenzen als auch im Inland.
Unverhältnismäßig groß schien das Aufgebot an Ordnungskräften rund um die Nazarethkirche. Auf die 20 friedlich Demonstrierenden kamen rund 200 Beamte, die schon frühzeitig mit etwa 40 Kleinbussen den Platz umstellt hatten. Dazu waren etliche Sicherheitsleute der öffentlichen Berliner Verkehrbetriebe beordert, in deren Verantwortung die U-Bahn-Ausgänge auf den Platz liegen.
Feministinnen in Friedrichshain
Im Ostteil Berlins, im Friedrichshainer Südkiez, lag ab dem frühen Abend der Fokus auf der feministischen Bedeutung der Walpurgisnacht. „Sexismus ist eine Gefahr, deswegen müssen auch wir gefährlich sein“, schallte es aus einem Fenster der Grünberger Straße 73, die den autonomen Stadtteilladen Zielona Góra beherbergt.
Etwa 100 Personen hatten sich vor der Kneipe eingefunden, um „in Bewegung zu bleiben“, wie es in einem Redebeitrag hieß. Gegen 20 Uhr dann geriet tatsächlich Bewegung in die Gruppe, die sich vereinzelt in Richtung des Nordkiez aufmachte. Dort, in der Rigaer Straße, befindet sich neben ehemals besetzten Häusern auch das anarcha-queerfeministische Hausprojekt Liebig 34. Neben Musik spielte die Liebig-Besetzung auf dem „Dorfplatz“ ein weiteres feministisches Hörstück und rief zur Solidarität mit dem Projekt auf.
In der Vergangenheit konnte das Liebig-Kollektiv den Gerichtsprozess zu einer Räumung des Hauses immer wieder verzögern. Pandemiebedingt wurde der Verhandlungstermin nun vom 30. April in den Juni verschoben.
Gegen 21 Uhr lösten etwa 30 Polizeibeamte den Protest auf dem „Dorfplatz“ auf, weil die Versammelten teils gegen die Corona-Abstandsregeln verstoßen hätten. Außerdem seien zwei Einsatzfahrzeuge von Farbbeuteln und Steinen getroffen worden. Es sei zu zwei Anzeigen gekommen, sagte ein Sprecher der Polizei der taz am Freitagmorgen. Ansonsten sei der Abend relativ störungsfrei verlaufen, so die Polizei. Die Walpurgisnacht 2020 endete schließlich mit einem Feuerwerk, das die Queerfeminist*innen auf dem Dach der Liebig 34 zündeten.
Weitere Proteste angekündigt
Im Laufe des Tages wollen linke DemonstrantInnen in Berlin noch mehrfach versuchen auf die Straße zu gehen. So plant der ironisch-hedonistische Zusammenschluss MyGruni einen Autokorso in das Berliner Villenviertel Grunewald. In den vergangen Jahren hatte sie dort unter dem Motto „Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg“ gegen Spekulation demonstriert. Diesmal wurde ein „Quarantänemanagement“ für den „Problemkiez“ angekündigt. Damit viele teilnehmen können, soll das Event ab 14 Uhr per Livestream übertragen werden.
Für den Abend haben die Veranstalter der traditionell um 18 Uhr beginnenden revolutionären Mai-Demonstration dazu aufgerufen, sich auf der Oranienstraße in Kreuzberg zu versammeln. Erwartet werde eine vierstellige Teilnehmerzahl. Man werde dennoch „die gesamte Zeit verantwortungsvoll handeln“ und die Coronaschutzmaßnahmen ernst nehmen, heißt es im Aufruf.
Eckenstehen in Hamburg
In Hamburg hatte die linke Szene offenbar so klandestin zum Cornern in der Walpurgisnacht eingeladen, dass es die Polizei nicht mitgekriegt hat. Jedenfalls hat sich am Donnerstagabend niemand daran gestört, dass sich etwa 50 bis 60 Linke an dem seit den G20-Protesten von 2017 Jahren beliebten demonstrativen Eckenstehen in der Schanze beteiligten.
Selbst als die Polizei die Ansammlung irgendwann doch wahrgenommen hatte, hat es sie offenbar nicht gestört. Beobachterinnen bezeichneten den Abend als sehr nett und sehr langweilig.
Auch in der Hansestadt sind für den 1. Mai trotz Corona weitere Proteste angekündigt. Im Laufe des Vormittags wollen im Stadtteil Harburg mehrere linke Gruppen gegen einen mittlerweile aber auch verbotenen Aufzug von Rechtsextremen demonstrieren.
Gegen 12 Uhr wollen kleinere antimperialistische Gruppen im Schanzenviertel demonstrieren. Abends ab 20 Uhr will der Rote Aufbau wie in den Vorjahren auf der Reeperbahn demonstrieren. Die Veranstalter hatten gegen das Verbot der Demo geklagt, sind damit aber gescheitert. Auf die Straße gehen wollen sie trotzdem.
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