Linken-Anfrage zu Umgang mit Papierlosen: Erst Handy knacken, dann abschieben
Hamburgs Ausländerbehörde durchsucht die Handys geduldeter Menschen ohne Ausweispapiere, um Abschiebungen zu erleichtern. Die Linke hat dazu Fragen.
Grundsätzlich verpflichtet das Aufenthaltsgesetz Ausländer:innen ohne Papiere, der Ausländerbehörde bei der Feststellung ihrer Staatsangehörigkeit zu helfen. Dafür müssen sie Dokumente einreichen und mit ihrem Herkunftsstaat in Kontakt treten. Ausreisepflichtige Menschen müssen zusätzlich ihre privaten Datenträger, also etwa Handys und Computer, abgeben, wenn die Identitätsfeststellung davor nicht möglich war.
Die gesammelten Informationen dienen dann als Indizien für die Ausländerbehörde, um ein mutmaßliches Herkunftsland zu bestimmen. Dorthin wendet sich die Behörde dann mit „Bitte um Prüfung, ob über diese Person Informationen vorliegen“. So erklärt es Matthias Krumm, Sprecher des Hamburger Amtes für Migration. Ob die Staatsangehörigkeit einer Person festgestellt werden kann, steht und fällt mit der Bereitschaft des Herkunftslandes, die Papiere auszustellen.
Die Kritik am Vorgehen der Behörde bezieht sich vor allem auf die Privatheit der Handyinhalte. „Das ist, als würde man in ein Schlafzimmer reinschauen“, meint der Bürgerschaftsabgeordnete der Linken, Metin Kaya, der im März bereits eine Anfrage zum Thema gestellt hat. Der Eingriff kann also die Privat- und Intimsphäre der Betroffenen berühren und damit das, was Jurist:innen den „Kernbereich der privaten Lebensgestaltung“ nennen. In diesen darf der Staat laut Bundesverfassungsgericht keinen Einblick nehmen.
Metin Kaya, Linke
Daher muss auch bei der Kontrolle der Handys dieser Bereich ausgespart werden. Um die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu garantieren, sind im Aufenthaltsgesetz Hürden eingebaut: Handys dürfen nur dann untersucht werden, wenn es für die Feststellung der Identität der Betroffenen „erforderlich“ ist.
Davor müssen mildere Mittel angewandt werden. Dazu gehört, dass die betroffenen Ausländer:innen sich bei ihrem Herkunftsland um Papiere bemühen oder an „Sammelinterviews mit Vertretern des mutmaßlichen Herkunftslandes“ teilnehmen, erklärt Krumm.
Ob die milderen Mittel ausgeschöpft wurden, liegt im Ermessensspielraum der zuständigen Sachbearbeiter:innen. Das sorgt für Bedenken beim Hamburger Datenschutz. „Grundsätzlich besteht stets die Gefahr, dass eine solche Maßnahme nicht als Ultima Ratio angewandt wird, sondern in der Praxis zur Standardmaßnahme wird“, sagt Alina Schömig, die Sprecherin des Datenschutzbeauftragten.
Im strafrechtlichen Kontext muss eine Handy-Durchsuchung richterlich angeordnet werden. Dass der sogenannte „Richtervorbehalt“ bei der Durchsuchung zwecks Identitätsfeststellung nicht erforderlich ist, findet Schömig „bedauerlich“. Ein richterlicher Beschluss stelle sicher, „dass die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen“.
Das Amt für Migration verfügt nicht über die technischen Möglichkeiten zur Auswertung der Handydaten, deshalb bekommt es laut Senat Unterstützung vom LKA und dem Hauptzollamt. Konkret bedeutet das: Die Handys werden an das LKA geschickt, wenn die Handybesitzer:innen die Zugangsdaten nicht preisgeben. Das LKA verfügt über Software, um die Handys zugänglich zu machen. Per Kurier werden die Daten dann auf einem USB-Stick in die Ausländerbehörde transportiert.
Eine Person „mit Befähigung zum Richteramt“ sichtet dann die Inhalte auf den Handys und sammelt die Indizien, die auf den Herkunftsstaat schließen lassen. „Zu diesen Informationen gehören beispielsweise Kontakte zu Verwandten, Telefonnummern ins Ausland, Bilder/Kopien von offiziellen Dokumenten oder Fotos, die anhand von Sehenswürdigkeiten/ortsprägende Gebäude auf das vermutete Herkunftsland schließen lassen“, schreibt der Sprecher des Amtes für Migration auf taz-Anfrage.
Hamburg ist nicht das einzige Bundesland, in dem die Ausländerbehörde Unterstützung vom LKA bekommt. In Berlin wurden zwischen 2018 und 2021 insgesamt 64 private Datenträger durchsucht. Nur sechs davon haben zur Feststellung der Identität geführt. Das geht aus der Antwort des Berliner Senats auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Berlin hat nun angekündigt, das Verfahren einzustellen. Der hohe Aufwand stünde in keinem Verhältnis zum Erfolg der Maßnahmen, heißt es im Jahresbericht der Berliner Datenschutzbeauftragten.
Wie das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen in Hamburg ist, weiß dort niemand. Das Amt für Migration, zu dem die Ausländerbehörden gehören, führt keine Statistiken zu dem Thema. Es weiß also weder, wie oft Handys ausreisepflichtiger Menschen durchsucht werden, noch, wie oft das zur Feststellung ihrer Identität führt. Unbekannt ist auch, wie oft die dadurch erlangten Indizien den Angaben der Betroffenen widersprechen oder sie bestätigen.
Auch die Antwort des Senats auf die Linken-Anfrage vom März dieses Jahres ist wenig aussagekräftig: „Einer öffentlich zugänglichen Beantwortung der Frage stehen überwiegende Belange des Staatswohls entgegen“, heißt es häufig. So steht das Staatswohl im Weg, wenn es darum geht, wie das LKA die Handys aufsperrt, welche Daten es speichert und wie die Daten geschützt werden. Diese Verschwiegenheit stört Kaya besonders: „Ob die Daten nur zur Identifikation verwendet oder auch zu anderen Zwecken gespeichert werden, ist völlig unklar.“
Nicht nur die Linke, auch der Datenschutzbeauftragte wird das Thema weiter verfolgen: Das Büro will die „Datenverarbeitungsvorgänge bei der verantwortlichen Stelle überprüfen“, kündigt seine Sprecherin an.
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