Linke über „Querdenken“-Demo in Leipzig: „Keine Konsequenzen erkennbar“
Am Samstag demonstrieren schon wieder selbsternannte „Querdenker“ in Leipzig. Haben die Behörden versagt? Ja, meint Kerstin Köditz, Linken-Abgeordnete in Sachsen.
Frau Köditz, für diesen Samstag hat „Querdenken“ wieder eine Demonstration in Leipzig angemeldet. Hat Sachsen die richtigen Konsequenzen aus der desaströsen Demo vor zwei Wochen gezogen und ist gut gerüstet?
Kerstin Köditz: Mir sind keine Konsequenzen bekannt. Roland Wöller ist noch immer Innenminister und nach allem, was in der Sondersitzung formuliert wurde, glaube ich auch nicht, dass es ein Umdenken beim polizeilichen Agieren gibt. Berlin hat aber gezeigt, dass es möglich und notwendig ist.
N ach den Ereignissen rund um die Demonstration in Leipzig am 7. November hat ihre Fraktion eine Sondersitzung im Innenausschuss des sächsischen Landtags beantragt. Wo hatten Sie Klärungsbedarf?
ist Sprecherin für antifaschistische Politik und zuständig für Innenpolitik der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag. Mitte Oktober 2020 gab sie bekannt, für den stellvertretenden Parteivorsitz der Linkspartei zu kandidieren. Der Vorstand wird Ende Februar 2021 neu gewählt.
Für uns war der Einsatz der Behörden an dem Samstag eine Katastrophe. Mund-Nase-Schutz und Abstand wurde nicht durchgesetzt, man hat die Leute über den Ring laufen lassen, obwohl derzeit nur stationäre Kundgebungen erlaubt sind. Uns ging es bei dem Antrag auch darum, zu fragen, was aus den Ereignissen in Dresden eine Woche zuvor gelernt wurde. Uns war nicht nachvollziehbar, wie im Vorfeld mit Informationen umgegangen wurden ist. Im Netz wurde seitens der extremen Rechten definitiv vorab mobilisiert, auch bei rechten Hooligans. Es gab bis hin zu namentlichen Ankündigungen Bedrohungen gegen Journalisten und Journalistinnen. Das war im Grunde ein Versagen mit Ansage.
Die Akteure schieben sich die Verantwortung gegenseitig zu. Wer hat versagt?
Die sächsischen Behörden. Ich will nicht die Schiedsrichterin zwischen Gericht, Stadt Leipzig und Polizei sein. Aber ich sehe eine Hauptverantwortung beim Innenminister. Er ist für den Inlandsgeheimdienst verantwortlich. Schon vor dem Datum gab es Berichte, bei denen vor Gewalt gewarnt wurde. Auch in Dresden und Aue gab es solche Demonstrationen vorher. Das scheint er nicht ernst genommen zu haben. Man kann doch niemandem erklären, dass man keine kleine private Feier machen, aber bei einer Polonäse mit Bier in der Hand unter den Augen der Polizei durch die Leipziger Innenstadt torkeln darf.
Ob die Kritik an Polizeieinsätzen in Chemnitz 2018 oder Connewitz 2019, Pannen beim Verfassungsschutz im Kontext des mutmaßlich islamistischen Mordes in Dresden oder jetzt die Querdenken-Demonstration: Immer wieder wird Innenminister Roland Wöller (CDU) eine Führungsschwäche vorgeworfen. Würden Sie sagen, dass er seiner Verantwortung nicht gerecht werden kann?
Wir haben klipp und klar formuliert, dass wir vom Ministerpräsidenten erwarten, dass er diesen Innenminister endlich abberuft. Wir können uns an den Fakten abarbeiten, aber wenn wir noch seinen Umgang mit Medien und der Öffentlichkeit dazu nehmen, ist sein Verhalten eine Katastrophe.
Zum Beispiel?
Am Sonntag nach der Querdenken-Demonstration hat Wöller zu einer Pressekonferenz geladen. Letztlich war das aber nur ein Pressebriefing, die Journalistinnen und Journalisten durften keine Fragen stellen. Was ist das bitte für ein Krisenmanagement? Es gibt die großen Skandale, aber was sich auch durchzieht ist die Kommunikationsunfähigkeit dieses Innenministers.
Auch aus den Reihen der Koalitionspartner:innen kamen Forderungen nach Wöllers Rücktritt. Ministerpräsident Kretschmer und seine CDU stehen fest zu Wöller. Kriselt es in der Kenia-Koalition in Sachsen?
Es ist zwar kein schönes Klima für eine Koalition, sie reißen sich aber im Endeffekt immer wieder zusammen, weil sie diese Koalition halten wollen. SPD und Grüne müssen sich an dieser Stelle fragen lassen, inwiefern durch Wöller Ansätze von Dingen, die sie ihren Wählerinnen und Wählern versprochen haben, mit Füßen getreten werden. Zum Beispiel die Pressefreiheit, aber auch der Gesundheitsschutz. Die Sozialministerin Petra Köpping (SPD) versucht, den Umgang mit Corona zu organisieren und währenddessen lässt der Innenminister eine Corona-Party durch Leipzig ziehen. Hier ist die Frage, ob die Koalitionsparteien SPD und Grüne konsequent geschlossen auftreten, oder die Forderung, dass Wöller gehen muss, auf ihre Jugendorganisationen und Innenpolitiker abwälzen. Das bringt dann nämlich nichts.
Was muss sich aus Ihrer Sicht innenpolitisch in Sachsen ändern?
Sachsen braucht eine moderne Innenpolitik, die endlich aufhört, „Extremismus“ im Vordergrund zu sehen und sich auch mal mit Inhalten beschäftigt. Man sollte sich lieber mal anhören, welche Sprüche und Transparente bei Querdenken dabei sind, als zu sagen, Rechtsextremisten würden das unterwandern. Ich sehe dort eine Menge rechtsextremes Gedankengut, bei Leuten die als solche nicht gelabelt sind. Wenn ich aber nicht gewillt bin, mich inhaltlich auseinanderzusetzen, kommen wir hier nicht vorwärts.
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