Linke kürt Spitzenkandidat:innen: Vorwärts und nur noch kämpfen
Janine Wissler und Dietmar Bartsch führen die Linke in den Wahlkampf. Ziel ist nicht das Kanzleramt. Schön wäre schon der Klassenerhalt im Bundestag.
![Janine Wissler und Dietmar Bartsch auf einer Bühne Janine Wissler und Dietmar Bartsch auf einer Bühne](https://taz.de/picture/4846440/14/Janine-Wissler-Dietmar-Bartsch-1.jpeg)
Der eigentlich 44-köpfige Vorstand der Linkspartei hatte das Spitzenduo am Morgen offiziell gekürt: Mit 32 Stimmen dafür und 4 Gegenstimmen, fiel die Krönungsmesse der Linken vom Ergebnis aber auch vom Anspruch bescheidener aus als bei Grünen und SPD. Das Kanzleramt ist nicht das Ziel. Schön wäre schon der Bundestag.
Ums Ganze geht es nämlich auch für Partei. Trotz der durch die Coronakrise schärfer zutage tretenden sozialen Unterschiede in der Gesellschaft, trotz der Schwäche der Union und einer stagnierenden SPD kann die Linke nicht zulegen. Im Gegenteil. Umfragen sagen ihr derzeit sechs Prozent für die Bundestagswahl im September voraus. Die Fünf-Prozent-Hürde rückt in bedrohliche Nähe.
Intern ist der Ernst der Lage allen bewusst. Auch deshalb haben Partei- und Fraktionsspitze das Spitzenduo nach dem Krach von vor vier Jahren diesmal im Flüstermodus nominiert. Schon Mitte April einigten sich die beiden Parteivorsitzenden Susanne-Hennig Wellsow und Janine Wissler gemeinsam mit dem Bundesgeschäftsführer darauf, dass Wissler die Partei in den Wahlkampf führen solle. Hennig-Wellsow hätte als Parteivorsitzende gemeinsam mit Wissler antreten können, trat aber zugunsten von Bartsch zurück.
Zwei Generationen, zwei Pole der Linkspartei
Zum einen weil sie nach zwei missglückten Talkshowauftritten in der Außenwahrnehmung angezählt ist, vor allem aber um den innerparteilichen Frieden zu wahren. Denn Bartsch hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er mit dem medienwirksamen Posten des Spitzenkandidaten liebäugelt. Schon 2017 hatte er die Linke zusammen mit Sahra Wagenknecht in den Wahlkampf geführt.
Wissler, die zurzeit noch die hessische Linksfraktion im Wiesbadener Landtag anführt, war zunächst zögerlicher. Doch zwei Tage nachdem die Entscheidung im kleinen Kreis gefallen war, gab sie öffentlich bekannt, ihre Ämter in Wiesbaden zum Herbst aufzugeben und für den Bundestag zu kandidieren.
Die 39-jährige Wissler und der 63-jährige Bartsch stehen für zwei Generationen und für zwei Pole der Linkspartei. Der in der DDR aufgewachsene Bartsch war schon Mitglied der SED, die 1990 zur PDS wurde. Er ist fest im ostdeutschen Reformerlager verankert, wo man pragmatisch und machtpolitisch denkt und nie Scheu davor hatte, mit der politischen Konkurrenz Regierungsbündnisse einzugehen.
Wissler hat sich schon als Schülerin in Protestbewegungen engagiert und als Studentin den hessischen Zweig der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit mit gegründet, der sich 2007 mit der PDS zur Linken vereinigte. Sie steht den Bewegungslinken nahe, einer noch jungen, aber einflussreichen Strömung innerhalb der Partei, die machttaktische Zweckbündnisse inner- und außerhalb der Linken äußerst kritisch sieht.
Bloß keine Identitätsdebatten
Die Differenzen zwischen ihnen übergingen Bartsch und Wissler am Montag bewusst. Regierungsverantwortung ja oder nein? „Fragen Sie das im Wahlkampf nicht mehr“, wiegelte Bartsch ab.
Beide betonten hingegen die Inhalte, für die die Linke steht: Ein Mindestlohn von 13 Euro, ein Sozialsystem, das vor Armut schützt, einen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft mit dem Ziel, dass Deutschland bis 2035 klimaneutral wirtschaftet. Das ist noch ambitionierter formuliert als bei den Grünen. In deren Wahlprogramm ist vermerkt, dass Deutschland 70 Prozent weniger CO2 bis 2030 produzieren soll.
Der Auftritt der beiden war auch ein Versprechen an die in inneren Debatten zerriebene Partei: Man wolle die Dinge zusammen denken, anstatt sie gegeneinander zu stellen, betonten beide. Das gilt vor allem für die parteiübergreifend beliebte Diskussion um Identitäts- versus Klassenpolitik. Diese Debatte nütze niemandem, sagte Bartsch und Wissler bekräftigte: „Wir stehen an der Seite von Gewerkschaften und Beschäftigten, sind aber auch Ansprechpartner für Protestbewegungen.“
Klar ist: Die Spitzenkandidat:innen wollen innerparteiliche Rangeleien in den Hintergrund verbannen. Zumindest bis nach der Bundestagswahl.
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