Linke debattiert Industriestrategie: Von China lernen

Die ökonomischen Erfolge der Volksrepublik schrecken auch die Linkspartei auf. Die Bundestagsfraktion debattiert staatliche Industriepolitik.

Chemieanlage mit Schornsteinen

Gehört BASF (hier das Werk in Ludwigshafen) zur Industriestrategie der Linken? Foto: dpa

BERLIN taz | Vielleicht merkt man eine gewisse Wirtschaftsferne der Linkspartei nirgendwo so sehr wie im gerade verabschiedeten Programm zur Europawahl: „Linke Industriepolitik heißt, dass Investitionen schwerpunktmäßig in strukturschwache Regionen geleitet werden“, heißt es darin. Und: „Besondere Schwerpunkte sollen dabei u.a. auf erneuerbare Energien, flächendeckende, digitale Teilhabe sowie auf die Herstellung von Bussen, Bahnen und anderen nachhaltigen Verkehrsmitteln gelegt werden.“

Was ist mit der Chemieindustrie, dem Maschinenbau? Nicht einmal die Automobilindustrie wird ausdrücklich erwähnt. Ganze Industriebereiche kommen im Wahlprogramm nicht vor.

Am Dienstag hatte die Bundestagsfraktion der Linken nun zu einem Fachgespräch „Die Transformation politisch gestalten – Für einen aktiven Staat in der Industriepolitik“ eingeladen. Spätestens seit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) für eine aktive staatliche Industriepolitik plädiert, ist das Thema auf der Tagesordnung.

Die spannende Frage war, ob der Linken diesmal mehr einfallen würde als Arbeitsplätze bei erneuerbaren Energien, der Produktion von Bussen und Bohnen und dem Netzausbau? Antwort: Ja, aber die Debatten stehen – ähnlich wie auf der politischen Ebene insgesamt – noch am Anfang.

Ex-Wirtschaftsweiser macht den Aufschlag

Den Aufschlag beim Fachgespräch machte der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger, der schon rund eineinhalb Jahre vor Altmaier in der Frankfurter Allgemeinen eine staatliche Industriepolitik gefordert hatte. Das Echo war damals nicht allzu positiv. Heute, auch unter dem stärkeren Eindruck der Erfolge Chinas mit staatlicher Planungspolitik, hat sich die Stimmung etwas verändert.

Bofinger machte mehrere Argumente geltend: Der Staat habe das meiste Geld für Forschung und Investitionen zur Verfügung. Unternehmer neigten zudem zu Pfadabhängigkeit – also daran festzuhalten, was (noch) erfolgreich laufe. Und schließlich: Es sei gefährlich, passiv zu bleiben, wenn große Wettbewerber wie China Industriepolitik betrieben.

Historische Erfolgsbeispiele für Industriepolitik seien Airbus, der ICE, die Förderung der erneuerbaren Energien und die Atomenergie. Bofinger begrüßte Altmaiers Aufschlag, hielt aber das Ziel des Wirtschaftsministers, den Industrieanteil an der Bruttowertschöpfung auf über 25 Prozent zu steigern, für falsch: „Genauso gut kann man sagen, ich wünsche mir, dass es im Sommer warm wird.“

Auch Astrid Ziegler (IG Metall) zeigte sich grundsätzlich über Altmaiers Aufschlag erfreut. Sie erwähnte auch eine lange Liste an Schlüsselindustrien, in denen Deutschland führend ist: von der Stahl- und Aluminiumindustrie über die Autoindustrie bis hin zur optischen Industrie. „Die Geschwindigkeit des Wandels ist hoch. Wir müssen so schnell wie möglich Antworten finden“, sagte sie.

Gewerkschaften wollen nicht Bremser sein

Die Gewerkschaften möchten nicht als Bremser dastehen und nicht in Zukunft (nur) die Verlierer des technologischen Wandels vertreten müssen. Dennoch kritisierte Ziegler Wirtschaftsminister Altmaier: Die betriebliche Mitbestimmung komme bei ihm als Thema nicht vor, obwohl sie „zentraler Bestandteil des deutschen Innovationstypus“ sei.

Tomas Nieber (Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE) sprach in seinem Vortrag an, weshalb Gewerkschaften und Linke noch länger über eine staatliche Industriepolitik debattieren dürften: Ohne den Wandel selbst voranzutreiben, drohen Arbeitsplatzverluste durch die Konkurrenz vor allem aus Fernost, mit Industriepolitik Arbeitsplatzverluste durch den Produktivitätsfortschritt, etwa in der Automobilindustrie. Nieber plädierte deshalb dafür, „auf lange Sicht“ das übriggebliebene Arbeitsvolumen neu zu verteilen. Aber was heißt „lange Sicht“?

Ralf Krämer, Mitglied im Bundesvorstand der Linken, erinnerte in der anschließenden Debatte daran, dass andere Länder Probleme wegen des deutschen Exportüberschusses haben, was maßgeblich am hohen deutschen Industrieanteil liege. „Es geht darum, einen geordneten Prozess zu organisieren, damit der Industrieanteil niedriger wird“, sagte er.

Auch wenn Krämer daraufhin keine Reaktionen bekam: Das dürfte die IG Metall anders sehen. Dort wird man froh sein, dass die Linke die deutsche Industriezukunft in einer ganzen Reihe von Sektoren zu sehen beginnt – und nicht nur in den besonders umweltfreundlichen.

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