Linke-Politiker über „Recht auf Arbeit“: „Dann ist der Staat in der Pflicht“
Die Linke setzt im Wahlkampf auf ein einklagbares „Recht auf Arbeit“. Der Staat müsse Jobs garantieren, sagt Fraktionsvize Sabine Zimmermann.
taz: Frau Zimmermann, die Linke will soziale Grundrechte im Grundgesetz verankern. An diesem Donnerstag wird der Bundestag über Ihren Gesetzentwurf abstimmen. Um welche Grundrechte geht es?
Sabine Zimmermann: Wir fordern ein „Recht auf soziale Sicherheit“, ein „Recht auf frei gewählte Arbeit“, ein „Recht auf eine menschenwürdige Wohnung“, ein „Recht auf Bildung“, das „Recht auf politischen Streik“ und noch einiges mehr.
Welche Bedeutung haben soziale Grundrechte für Ihren Wahlkampf?
Soziale Gerechtigkeit ist das Kernthema der Linken. Soziale Grundrechte sind ein wirksames Instrument, um soziale Gerechtigkeit herzustellen.
Soziale Grundrechte finden sich auch in einigen Landesverfassungen, etwa in Hessen und Berlin. Sie werden dort aber nur als unverbindliche Ziele und Programmsätze verstanden. Will die Linke darüber hinausgehen?
Natürlich. Unser Gesetzentwurf spricht ganz klar von „individuell einklagbaren“ Grundrechten. Deklarationen, die nur auf dem Papier stehen, gibt es genug. Wir brauchen soziale Rechte, die in jedem Einzelfall beim Bundesverfassungsgericht durchsetzbar sind.
Was wäre die Folge, wenn etwa das „Recht auf Arbeit“ im Grundgesetz stünde. Gäbe es dann keine Arbeitslosigkeit mehr?
Wenn ein Unternehmen in Konkurs geht, sind die Leute erst mal erwerbslos, aber dann können sie sich auf das Recht auf Arbeit berufen. Der Staat hat nun die Pflicht, ihnen Arbeit zu verschaffen.
56, ist Fraktionsvize der Linken im Bundestag, seit 2005 im Parlament. Sie ist arbeitsmarktpolitische Sprecherin ihrer Fraktion.
Nehmen wir an, ich habe eine Ausbildung als Drucker. Muss mir der Staat dann Arbeit als Drucker besorgen oder genügt es, wenn er mir einen Job als Paketbote anbietet, weil da gerade Leute gesucht werden?
Natürlich haben Sie Anspruch auf eine Arbeit entsprechend Ihrer Qualifikation. Und wenn Sie etwas anderes machen wollen, dann haben Sie ein Recht auf Umschulung und Weiterqualifizierung.
Ich will erst mal Drucker bleiben. Dann bietet mir die Agentur für Arbeit eine Stelle als Drucker an, die aber weit unter Tarif bezahlt wird. Muss ich die dann annehmen?
Nein, wir wollen ja gerade weg vom derzeitigen System, bei dem man seine Ansprüche verliert, wenn man eine schlecht bezahlte Arbeit ablehnt.
Oder mir wird eine Stelle in Hamburg angeboten. Ich will aber im Schwarzwald bleiben.
Wir sprechen von „frei gewählter Arbeit“, dazu gehört auch der Arbeitsort. Es sind schon zu viele Familien zerstört worden, weil Menschen über große Entfernungen pendeln mussten.
Nun finde ich im Schwarzwald keine Arbeit als Drucker. Muss mir jetzt der Staat einen Arbeitsplatz schaffen?
Wenn es zu wenig Arbeitsplätze gibt oder Sie erfolglos Bewerbungen geschrieben haben, dann ist der Staat in der Pflicht. Dann greift das Recht auf Arbeit.
Wir haben derzeit rund 2,5 Millionen Arbeitslose . . .
Wenn man die versteckte Arbeitslosigkeit einrechnet, dann sind es eher 3,5 Millionen.
Umso schwieriger. Was würde es kosten, für 3,5 Millionen Menschen neue Jobs mit Tariflohn im öffentlichen Dienst zu schaffen? Das sind doch Mehrausgaben von weit über 100 Milliarden Euro pro Jahr . . .
Wenn der Staat wieder mehr investiert – in Infrastruktur, in Pflege –, dann entstehen auch Jobs in der freien Wirtschaft. Und wenn mehr Menschen Arbeit haben, steigt auch die Nachfrage. Wir wollen, dass der Staat in gute Arbeit investiert statt in Erwerbslosigkeit. Mit gut zwei Milliarden Euro zusätzlich können rund 200.000 öffentlich geförderte Jobs geschaffen werden.
Nach Ihren Angaben haben wir aber 3,5 Millionen Arbeitslose. Hinzu kämen alle, die ihre schlecht bezahlten Jobs in der Wirtschaft aufgeben und nun einen gut bezahlten Job vom Staat fordern. Sie alle hätten nach Ihrem Gesetzentwurf ein Recht auf frei gewählte Arbeit …
So ein gewaltiges Projekt lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Es müsste wohl eine Übergangsfrist geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland