Linke Kneipe in Kreuzberg: Räumung ohne Meuterei
Die Meuterei in Kreuzberg ist ohne großen Widerstand geräumt worden. Militante Aktionen gab es dagegen in der Nacht.
Das Szenario „Polizeigroßaufgebot räumt alternative Kiezkneipe“ erinnerte an das erzwungene Ende des Syndikats im August vergangenen Jahres – ebenso wie ein altes Graffito am Neuköllner Herrfurthplatz. Hier formierte sich morgens um 6 Uhr eine erste Demo. Das Syndikat-Kollektiv, kneipenlos, aber politisch umso aktiver, hatte zur Solidarität mit der Meuterei gerufen und viele waren gefolgt.
Auf dem Weg nach Kreuzberg schlossen sich den anfangs 200 Teilnehmenden noch einmal mindestens ebenso viele an. Einige Anwohnende am Kottbusser Damm dürften durch ein erfrischendes „Die Kneipen denen, die drin saufen“ aus dem Schlaf gerissen worden sein. Auf einem Häuserdach brannten Unterstützer*innen Pyrotechnik ab und entrollten Transparente: „Meuterei verteidigen, besetzen, enteignen“.
Mit Überquerung des Kanals enterte der Demozug das Hochsicherheitsgebiet, das die Polizei hier seit Mittwochnachmittag errichtet hatte. 1.000 Polizist*innen sollten effektive Störungen der Räumungsaktion schon im Keim ersticken. Dafür hatten sie in der Reichenberger und Lausitzer Straße eine abgegitterte Versammlungsverbotszone errichtet. Spezialkräfte verteilten sich auf den umliegenden Dächern. Fast schon resigniert endete die Demonstration an der Polizeiabsperrung. Etwa 50 Teilnehmer*innen einer Fahrraddemo, die am Schöneberger Jugendzentrum Potse startete, schlossen sich ihnen kurze Zeit später an.
Aufruf zu dezentralen Aktionen
Das vorher ausgerufene Widerstandskonzept des Tages lautete: die Polizei beschäftigen. Aufgerufen wurde zu verteilten Kundgebungen und Demonstrationen sowie zu dezentralen Aktionen. Womöglich gehören 13 durch Brandstiftung beschädigte oder zerstörte Autos in der Nacht zu den Ergebnissen dieser Taktik. Ebenso sollen an mehreren Objekten von Immobilienfirmen Scheiben zerstört worden sein. Bei den Versammlungen rings um die Meuterei beklagte die Polizei dagegen lediglich „illegale Pyrotechnik“.
Als pünktlich um 8 Uhr morgens die Gerichtsvollzieherin im Sicherheitsbereich anrückte, saßen zwei Mitglieder des Meuterei-Kollektivs am Tresen ihrer Kneipe und prosteten sich zu. Das online verbreitete Bild gehört zu den wenigen schönen eines insgesamt eher tristen Tages. Dutzende Polizist*innen, die in dem Hinterhof der Meuterei verschwanden, brauchten schlussendlich keine 20 Minuten, um auf der Vorderseite der Kneipe wieder herauszuspazieren. Die beiden angetroffenen Frauen führten sie ebenfalls hier heraus. Nach Feststellung ihrer Personalien durften sie gehen.
Beobachtet wurde das Schauspiel aus dem abgegatterten Gehwegbereich der gegenüberliegenden Straßenseite von einem Großauflauf an Journalist*innen und Linke-Politiker*innen. Angesichts der Partei-Prominenz fühlte man sich fast an einen Parteitag erinnert. Pascal Meiser, Bundestagsabgeordneter aus dem Bezirk, sprach gegenüber der taz von einer „Niederlage für die Stadt und für alle Linken“. Mit der Meuterei verliere Kreuzberg „ein weiteres Stück unangepasstes, alternatives, nicht kommerzielles Kiezleben“. Meiser forderte einen besseren gesetzlichen Schutz für Gewerbetreibende auf Bundesebene, etwa Mindestvertragslaufzeiten oder gedeckelte Mieten.
Linke in Erklärungszwang
Während sich die Grünen bedeckt hielten und die SPD eh keine Sympathie für die linke Szene pflegt, ist für Die Linke die nächste Räumung nach Syndikat und Liebig34 durchaus problematisch. „Es ist schwer vermittelbar, dass nicht der Senat, sondern die Gerichte entscheiden“, sagte Meiser. Die beiden abgeführten Meuterei-Mitglieder jedenfalls verweigerten sich einem Gespräch mit Linken-Politiker*innen, die sie in der polizeilichen Maßnahme besuchten.
In einem Statement der Kneipe hieß es, die Räumung sei „ein weiteres Beispiel dafür, wie der rot-rot-grüne Senat die Profit-Interessen von Investor:innen durchprügelt“. In ihrem Fall profitiert der Immobilienspekulant Goran Nenadic, der das Gebäude nach dem Kauf 2011 aufteilte, die Wohnungen sanieren ließ und verkaufte. Vor zwei Jahren verweigerte er der Meuterei eine Verlängerung des Mietvertrags. Weil das Kollektiv nicht freiwillig auszog, holte sich der Eigentümer einen gerichtlichen Räumungstitel.
Empfohlener externer Inhalt
Laut Polizeiangaben gestattete der Eigentümer Journalist*innen die Begehung der geräumten Kneipe. Begierig filmte etwa die Junge Freiheit die Räume ab, in denen Rechte bislang Hausverbot hatten. Der Verlust der Meuterei ist, spätestens in diesem Moment, auch ein Verlust politischer Kultur.
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