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Linke Kneipe in KreuzbergRäumung ohne Meuterei

Die Meuterei in Kreuzberg ist ohne großen Widerstand geräumt worden. Militante Aktionen gab es dagegen in der Nacht.

Bye bye Meuterei Foto: dpa

Berlin taz | Die Spieler*innen, die auf ein von linker Subkultur befreites Berlin setzen, sind ihrem Bingo wieder ein Stück näher gekommen. Am Donnerstagmorgen hat die Polizei die Kreuzberger Kneipe Meuterei geräumt, die für die linksradikale Szene der Stadt elf Jahre lang günstiges Bier und Plenumsräume bot. Auch die Domestizierung des einst widerständigen und rauen Kreuzbergs schreitet damit weiter voran.

Demo in der Hermannstraße Foto: Erik Peter

Das Szenario „Polizeigroßaufgebot räumt alternative Kiezkneipe“ erinnerte an das erzwungene Ende des Syndikats im August vergangenen Jahres – ebenso wie ein altes Graffito am Neuköllner Herrfurthplatz. Hier formierte sich morgens um 6 Uhr eine erste Demo. Das Syndikat-Kollektiv, kneipenlos, aber politisch umso aktiver, hatte zur Solidarität mit der Meuterei gerufen und viele waren gefolgt.

Auf dem Weg nach Kreuzberg schlossen sich den anfangs 200 Teilnehmenden noch einmal mindestens ebenso viele an. Einige Anwohnende am Kottbusser Damm dürften durch ein erfrischendes „Die Kneipen denen, die drin saufen“ aus dem Schlaf gerissen worden sein. Auf einem Häuserdach brannten Un­ter­stüt­ze­r*in­nen Pyrotechnik ab und entrollten Transparente: „Meuterei verteidigen, besetzen, enteignen“.

Mit Überquerung des Kanals enterte der Demozug das Hochsicherheitsgebiet, das die Polizei hier seit Mittwochnachmittag errichtet hatte. 1.000 Po­li­zis­t*in­nen sollten effektive Störungen der Räumungsaktion schon im Keim ersticken. Dafür hatten sie in der Reichenberger und Lausitzer Straße eine abgegitterte Versammlungsverbotszone errichtet. Spezialkräfte verteilten sich auf den umliegenden Dächern. Fast schon resigniert endete die Demonstration an der Polizeiabsperrung. Etwa 50 Teil­neh­me­r*in­nen einer Fahrraddemo, die am Schöneberger Jugendzentrum Potse startete, schlossen sich ihnen kurze Zeit später an.

Aufruf zu dezentralen Aktionen

Das vorher ausgerufene Widerstandskonzept des Tages lautete: die Polizei beschäftigen. Aufgerufen wurde zu verteilten Kundgebungen und Demonstrationen sowie zu dezentralen Aktionen. Womöglich gehören 13 durch Brandstiftung beschädigte oder zerstörte Autos in der Nacht zu den Ergebnissen dieser Taktik. Ebenso sollen an mehreren Objekten von Immobilienfirmen Scheiben zerstört worden sein. Bei den Versammlungen rings um die Meuterei beklagte die Polizei dagegen lediglich „illegale Pyrotechnik“.

Als pünktlich um 8 Uhr morgens die Gerichtsvollzieherin im Sicherheitsbereich anrückte, saßen zwei Mitglieder des Meuterei-Kollektivs am Tresen ihrer Kneipe und prosteten sich zu. Das online verbreitete Bild gehört zu den wenigen schönen eines insgesamt eher tristen Tages. Dutzende Polizist*innen, die in dem Hinterhof der Meuterei verschwanden, brauchten schlussendlich keine 20 Minuten, um auf der Vorderseite der Kneipe wieder herauszuspazieren. Die beiden angetroffenen Frauen führten sie ebenfalls hier heraus. Nach Feststellung ihrer Personalien durften sie gehen.

Beobachtet wurde das Schauspiel aus dem abgegatterten Gehwegbereich der gegenüberliegenden Straßenseite von einem Großauflauf an Jour­na­lis­t*in­nen und Linke-Politiker*innen. Angesichts der Partei-Prominenz fühlte man sich fast an einen Parteitag erinnert. Pascal Meiser, Bundestagsabgeordneter aus dem Bezirk, sprach gegenüber der taz von einer „Niederlage für die Stadt und für alle Linken“. Mit der Meuterei verliere Kreuzberg „ein weiteres Stück unangepasstes, alternatives, nicht kommerzielles Kiezleben“. Meiser forderte einen besseren gesetzlichen Schutz für Gewerbetreibende auf Bundesebene, etwa Mindestvertragslaufzeiten oder gedeckelte Mieten.

Linke in Erklärungszwang

Während sich die Grünen bedeckt hielten und die SPD eh keine Sympathie für die linke Szene pflegt, ist für Die Linke die nächste Räumung nach Syndikat und Liebig34 durchaus problematisch. „Es ist schwer vermittelbar, dass nicht der Senat, sondern die Gerichte entscheiden“, sagte Meiser. Die beiden abgeführten Meuterei-Mitglieder jedenfalls verweigerten sich einem Gespräch mit Linken-Politiker*innen, die sie in der polizeilichen Maßnahme besuchten.

In einem Statement der Kneipe hieß es, die Räumung sei „ein weiteres Beispiel dafür, wie der rot-rot-grüne Senat die Profit-Interessen von In­ves­to­r:in­nen durchprügelt“. In ihrem Fall profitiert der Immobilienspekulant Goran Nenadic, der das Gebäude nach dem Kauf 2011 aufteilte, die Wohnungen sanieren ließ und verkaufte. Vor zwei Jahren verweigerte er der Meuterei eine Verlängerung des Mietvertrags. Weil das Kollektiv nicht freiwillig auszog, holte sich der Eigentümer einen gerichtlichen Räumungstitel.

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Laut Polizeiangaben gestattete der Eigentümer Jour­na­lis­t*in­nen die Begehung der geräumten Kneipe. Begierig filmte etwa die Junge Freiheit die Räume ab, in denen Rechte bislang Hausverbot hatten. Der Verlust der Meuterei ist, spätestens in diesem Moment, auch ein Verlust politischer Kultur.

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4 Kommentare

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  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Mindestlaufzeit- Vertrag, das hatte der der Betreiber ja, nur wollte er sich nicht mehr daran halten. Es ist durchaus ein lukratives Geschäftsmodell für ein bestimmtes Klientel Bars, Clubs oder eben Schänken zu betreiben. Warum werden in der ganzen Diskussion keine Verträge seitens der Pächter offengelegt, keine Umsatzzahlen, keine Arbeitsverträge der Beschäftigten, der 450€ Jobber usw. . Wurden Gewinne erzielt-und wenn ja- wurden sie an das Kollektiv ausgeschüttet? Es ist kein Geheimnis, dass die Clubbetreiber nicht gerade zu den Bedürftigen zählen.

    • 2G
      2830 (Profil gelöscht)
      @97287 (Profil gelöscht):

      Interessanter Aspekt. Bei der Meuterei ging es wohl nicht um den kalkulierten Gewinn wie bei Hegemanns Tresor oder Ostguts Berghain. Insofern zieht es nicht zu bilanzieren. An diesem Ort ging es nicht um Profit und das hat zu seinem Ende geführt – im Gegensatz zum Geschäftsmodell Techno & Co. Umgekehrt wäre mir lieber.

  • Das ist für mich kein ernstzunehmender Protest. Willkürlich irgendwelche Autos anzünden (hochpreisige Autos = Arschlöcher und „Kapitalistenschweine“ als Besitzer?!) hat mit rationalem Widerstand null zu tun. Dies wird lediglich dazu führen, dass es in Zukunft deutlich weniger Solidarisierung für den Protest bei ähnlichen Projekten gibt. Meiner Meinung nach dann auch zu recht. Denn eine Distanzierung findet nicht statt. Erbärmlich...

    • @Gregor von Niebelschütz:

      @ Gregor: und Ihre Meinung zu dem Spekulanten? Wäre das nicht auch erwähnungswert?