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Linke Julia Schramm über Ostdeutschland„Ich will um Sachsen kämpfen“

Sie stammt aus Hessen, war Piratin und arbeitet seit 2017 für die Linke in Berlin. Jetzt will Julia Schramm in Sachsen für die Linke kämpfen. Wie das?

„Qua sozialistischem Anspruch, entgegen diesem System“: Julia Schramm, hier 2016 Foto: Wolfgang Borrs
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Frau Schramm, warum verteilen Sie auf dem Marktplatz in Borna Cannabistütchen?

Julia Schramm: Ich trete als Kandidatin für den Wahlkreis Leipziger Land an – also machen wir Wahlkampfaktionen vor Ort. Ich glaube, dass sich die Linke im ländlichen Raum und gerade auch im Osten stärker engagieren muss.

Aber ausgerechnet mit Oregano gefüllte Cannabistütchen. Verprellt das die Leute nicht eher?

Ich war positiv überrascht. Viele haben komisch geguckt, klar, aber wir sind offen auf die Leute zugegangen, haben gesagt „Hey, heute ist Weltkiffertag, was halten Sie von der Legalisierung von Cannabis?“ In den Gesprächen habe ich gemerkt, wenn man sich Zeit nimmt, unsere Argumente für die Legalisierung zu erklären und sich den Leuten zuwendet, dass es auch funktioniert.

Haben die Menschen im Leipziger Umland nicht ganz andere Probleme? Viele Menschen sind nach der Wende abgewandert, dort wird immer noch fleißig Braunkohle gebaggert.

Absolut. Auf dem Land ist der Alltag viel schwieriger. Da geht es um Abwanderung und abgebaute Infrastruktur, gerade in Sachsen, wo die CDU seit 30 Jahren ihr Unwesen treibt. Ich glaube aber, gerade der ländliche Raum ist eigentlich sehr attraktiv, wenn es dort mehr Infrastruktur – auch digitale – und Zukunftsperspektiven gibt.

Würden Sie von Berlin nach Sachsen aufs Land ziehen?

Ähm, ja. Wo genau ist Verhandlungssache – mein Wahlkreis ist ja riesig. Ich finde es überall sehr schön, die Neuseenlandschaft rund um Leipzig ist wunderschön. Generell möchte ich um Sachsen kämpfen und es nicht nur als “failed state“ sehen.

Bei der Bundestagswahl 2017 hat die AfD im Wahlkreis Leipzig-Land rund 30 Prozent der Stimmen bekommen. Die Linke nur halb so viele. Spüren Sie das?

Im Interview: Julia Schramm

35, geboren in Frankfurt am Main. Sie kandidiert für Platz 5 der Landes­liste für die Bundestagswahl 2021. Die Linke Sachsen wählt am Samstag ihre Liste.

Bisher gab es keine Angriffe, aber die Stimmung ist schon sehr angespannt. Ich war letztens in Geithain bei einer Gegendemo gegen Corona-Leugner:innen, das war schon sehr gespalten. Aber mal sehen, wie der Wahlkampf noch läuft.

Sie selbst sind Wessi.

Ich bin im Westen aufgewachsen, ja, und lebe seit 10 Jahren im Osten Berlins. Und ich glaube, dass es um die Ungerechtigkeiten in den letzten 30 Jahren geht. Der Verkauf der Betriebe durch die Treuhand, die immer noch kleineren Renten und Löhne. Das hält ja alles bis heute an. Das ist ein politischer Kampf, den ich aus Überzeugung führe.

Der Osten war für die Linke lange Zeit eine Bank, doch die Wahlergebnisse sinken seit Jahren. Wie schafft die Linke im Osten die Trendwende?

Der Kern für den linken Erfolg ist, soziale Gerechtigkeit nach ganz vorne zu stellen. Das verbindet uns über alle Konflikte hinaus. Wir setzen in diesem Wahlkampf außerdem durchaus auf junge Gesichter, die natürlich ein klares Bewusstsein haben für die Ost-Geschichte und ihre Ungerechtigkeiten. Und die gleichzeitig nach vorn schauen, wenn es um Zukunftsvisionen geht, um Umverteilung und soziale Gerechtigkeit.

Die Grünen werden stärker, auch im Osten. Und haben mit Annalena Baerbock eine super Spitzenkandidatin. Sind Sie ein bisschen neidisch?

Die Grünen sind gerade wahnsinnig professionell, zielgerichtet und einheitlich. Und Annalena Baerbock ist diese engagierte Freundin, die wir gerade alle in der Pandemie brauchen. Ich glaube aber, wir Linken haben es schwerer. Wir sind qua sozialistischem Anspruch entgegen diesem System. Wir ringen mit dem falschen Leben und inwiefern es in diesem kein richtiges gibt. Die Grünen haben das falsche Leben dagegen schon umarmt.

Wer sollte für die Linke als Spit­zen­kan­di­da­t:in in den Wahlkampf ziehen?

Die beiden Vorsitzenden werden einen Vorschlag machen. Ich glaube, der wird gut. Bisher machen die beiden einen stabilen Job, die Partei als Ganzes zu sehen.

In NRW zieht Sahra Wagenknecht für die Linke in den Wahlkampf. Von ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ fühlen sich viele in der Linken angegriffen. Spaltet Wagenknecht die Partei?

Ich kenne das Buch nur in Auszügen. Sie stellt einige berechtigte Fragen. Ich würde aber andere Antworten geben. Ich glaube außerdem, dass wir als Linke uns nicht auf das Feld der Identitätspolitik ziehen lassen dürfen. Das ist eine klassische Strategie der Rechten, unsere Anliegen für soziale Gerechtigkeit für alle Menschen als Angriffe auf Kultur und Familie zu diskreditieren. Da inszeniert sich die AfD plötzlich als “normal“, weil sie Fleisch essen verteidigt. So wird aber ihre rechtsextreme Agenda verharmlost.

Sagen nicht auch in Sachsen viele Wähler:innen, ‚Hört mir auf mit diesen Gendersternchen, es geht um höhere Löhne‘?

Ich finde es wichtig, dass diskriminierende Begriffe nicht mehr benutzt werden. Gleichzeitig dürfen wir nicht in die Falle tappen, unsere Wäh­le­r:in­nen mit unserer Sprache vor den Kopf zu stoßen – wenn mir Leute sagen, “ich verstehe nicht, was du quatschst“, ist ein gemeinsamer politischer Kampf schwierig. Ich streite jedenfalls für Umverteilung und soziale Gerechtigkeit und gendere aus Überzeugung. Aber wenn mein Gegenüber auf Anhieb nicht korrekt gendert, ist das erstmal auch ok.

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4 Kommentare

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  • Lauzter Zyniker voll Häme hier unterwegs. Sorry - so wird das nichts!

  • Befremdliche Aktion... Abgesehen vom fragwürdigen Botschaft (Jugendpsychologen und Mediziner schlagen die Hände über dem Kopf zusammen), die Leute im Osten haben bei weitem andere Bedürfnisse und Sorgen als legalize it.

    So schwächt man die AfD nicht. Im Gegenteil, das ist eine Steilvorlage.

  • Nix gegen Personen bzw Menschen, aber, egal welche (Partei), manche - schnellen - Parteikarrieren sind einfach ein Schlag gegen langjährig engagiertes Arbeiten von (anderen) Parteimitgliedern.

  • "Ich will eben koste es was es wolle eine politische Karriere machen, wenn's sein muss halt in Sachsen." Danke, Julia.