Linke Bürgermeisterkandidatin für Berlin: „Es braucht die Vergesellschaftung“
Eine soziale Mietenpolitik ist Bedingung für eine Regierung mit der Linken, sagt Elif Eralp. Die Berliner:innen wollen einen Wechsel, glaubt sie.
taz: Frau Eralp, überall ist die politische Rechte auf dem Vormarsch. Glauben Sie wirklich, dass Berlin eine Linke zur Bürgermeisterin wählen wird?
Elif Eralp: Die Chance besteht! Viele in Berlin machen sich große Sorgen angesichts des Rechtsrucks. Und viele haben das Gefühl, dass diese Stadt zunehmend nur noch für die funktioniert und bezahlbar ist, die sich teure Eigentumswohnungen und Privatschulen leisten können und dass dieser Senat daran nichts ändert. Deswegen, glaube ich, gibt es ein Zeitfenster und die Chance dafür, dass Berlin Gegenmodell zu der unsozialen Politik und zum Rechtsruck wird.
taz: Woran machen Sie eine Wechselstimmung fest? Größere Proteste gibt es nicht und die CDU führt in allen Umfragen.
Eralp: Zum einen: Es ist das dringende Anliegen der Berlinerinnen und Berliner, dass die Mietenfrage angegangen wird. Das hat sich ja schon darin gezeigt, dass 60 Prozent der Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen zugestimmt haben. Zum andern: Viele Menschen haben nicht die Kraft und die Zeit, auf die Straße zu gehen. Sie haben einen harten Alltag, hetzen von Arbeit zu Kinderbetreuung und müssen dann abends vielleicht auch noch Papierkram erledigen. Deswegen wundert es mich nicht, dass die Wechselstimmung sich nicht jeden Tag auf der Straße zeigt. Drittens gibt es ja die Antikürzungproteste: Die sozialen Träger, die organisierten Beschäftigten, die Gewerkschaften sind jede Woche auf der Straße, weil sie total unzufrieden sind. Überall, wo ich hingehe, sagen die Leute: Diese unsoziale, ausgrenzende und polarisierende Politik muss endlich aufhören.
wurde 1981 in München geboren, kurz zuvor waren ihre Eltern aus der Türkei geflüchtet. Aufgewachsen ist sie in Hamburg, wo sie auch Jura studierte. Ab 2011 arbeitete sie für die Bundestagsfraktion der Linken als juristische Referentin. Eralp sitzt seit 2021 im Berliner Abgeordnetenhaus. Ihre Schwerpunktthemen: Mieten, und MIgrationspolitik sowie Antidiskriminierung.
taz: Was wären die drei wichtigsten Projekte, die Sie in einer Regierung angehen würden?
Eralp: Ich würde als allererstes einen Mietendeckel für die landeseigenen Wohnungen einführen – den hatten wir ja früher, aber der jetzige Senat hat ihn gekippt. Dann würde ich sofort eine Taskforce im Roten Rathaus einsetzen, die sich um Mietwucher, um dreiste Vermieter, um illegale Vermietungspraktiken kümmert. Und wir wollen mit einem kommunalen Wohnungsbauprogramm mindestens 7.500 Sozialwohnungen jährlich bauen.
taz: Sie konzentrieren sich monothematisch auf Mieten?
Eralp: Es geht um das große Thema der sozialen Stadt. Dazu gehören nicht nur die Mieten, sondern auch ein funktionierender ÖPNV, Schulen, in denen nicht der Putz abblättert und Stunden wegen Personalmangels ausfallen, dazu gehören Klimaschutz, Teilhabe und das Ende von Ausgrenzung und Diskriminierung.
taz: Ist es ein Nachteil, dass Sie bisher noch nicht so bekannt sind wie andere Kandidaten? Wie wollen Sie das ändern?
Eralp: Ich muss jetzt zeigen, dass ich für die ganze Stadt da bin. Ich werde jetzt natürlich überall hingehen, in jede Platte, in alle Bezirke, mit den Leuten ins Gespräch kommen und mich bekannt machen. Aber das muss nicht unbedingt ein Nachteil sein – denn ich habe auch noch keine Menschen enttäuscht (lacht).
taz: Sie betonen, dass Sie in einer ganz normalen Wohnung wohnen, ihre Kinder auf eine normale Schule gehen. Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit für Linke? Boshafte Zungen könnten das populistisch nennen.
Eralp: Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit für alle Politiker und Politikerinnen sein, dass sie nicht abgehoben sind, sondern nah dran sind an den Leuten und ihren alltäglichen Problemen. Aber dieser Senat unter Kai Wegner scheint die sozialen Realitäten in unserer Stadt nicht zu kennen, denn die Politik, die er macht, ist gegen die Menschen. Ich glaube, die Menschen sehnen sich nach Politikerinnen und Politikern, die ihre Perspektiven vertreten – und ich glaube, dass ich das gut kann.
taz: Haben Sie vor, Ihr Bürgermeister-Gehalt, das sind 212.000 Euro im Jahr, zu begrenzen?
Eralp: Uns geht es darum, dass wir mit unseren Diäten soziale Initiativen unterstützen und dafür Geld zur Verfügung stellen. Das mache ich aktuell und werde es weiterhin tun. Ich habe einen Sozialfonds, aus dem ich Geld auszahlen kann über eine Sozialsprechstunde. Und wir haben unseren Fraktionsverein. Diesen Monat bin ich Patin beim Kinderkulturmonat, der ja leider auch von Kürzungen betroffen ist. Insofern finde ich das sehr wichtig, egal in welcher Funktion, dass wir alle unseren Beitrag leisten.
taz: Als Linke, die an die Macht will, müssen Sie neue Wählerschichten erschließen. Aber wenn Sie nur den Grünen und der SPD Stimmen wegnehmen, hilft das ja nicht für eine mögliche Koalition. Wie wollen Sie CDU-, BSW- oder Nichtwähler für sich gewinnen?
Eralp: Ich will, dass wir einen Fokus auf Nichtwähler legen. Das haben wir auch in den letzten Wahlkämpfen versucht. Wir sind gezielt dahin gegangen, wo die Wahlbeteiligung besonders niedrig war vor allem in große soziale Wohnraumsiedlungen, aber nicht nur. Dort haben wir an jeder Tür geklingelt. Wir haben nach den konkreten Sorgen der Menschen gefragt, uns damit auseinandergesetzt, dass der Fahrstuhl wieder nicht geht, uns zu hohe Heizkostenabrechnungen angesehen und dann auch Beratungs- und Hilfsangebote vermittelt. Das merken sich die Leute.
taz: Repräsentieren Sie als Mitglied der Bewegungslinken nicht jenen Teil der Linken, der gar nicht unbedingt Regierungsverantwortung anstrebt?
Eralp: Ich stehe für die Partei in ihrer Gänze und kann sowohl die bisherigen Mitglieder als auch die vielen, vielen Neumitglieder vertreten. Wie schon im Bundestagswahlkampf gilt für uns: Wir wollen nicht vor allem regieren, sondern wir wollen verändern. Wir werden dann ins Rote Rathaus oder den Senat gehen, wenn wir für die Menschen Verbesserungen erzielen können, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren sind. Das erwarten die Menschen auch von uns, weil sie sich reale Veränderungen erhoffen.
taz: In einer Regierungskoalition werden Sie um Kompromisse nicht herumkommen. Gibt es für Sie No-gos?
Eralp: Natürlich muss man immer Kompromisse eingehen, das ist klar. Aber zentral ist für uns die Mietenfrage. Das heißt, es braucht die Vergesellschaftung und es braucht weitere mietenpolitische Maßnahmen.
taz: Deutsche Wohnen und Co Enteignen hat angekündigt, ein neues Volksbegehren zu starten. Was würden Sie also tun? Abwarten, bis es zum erneuten Volksentscheid kommt oder das Gesetz einfach umsetzen?
Eralp: Erstens finde ich es richtig, dass sich die Initiative nicht auf die Politik verlässt. Man sieht ja, dass das nicht funktioniert hat: Das Vergesellschaftungsrahmengesetz von Schwarz-Rot ist ja nur Verzögerungstaktik. Aber zweitens ist es natürlich unsere Aufgabe als Linke, eigentlich aller demokratischen Parteien, diesen Volksentscheid umzusetzen – er gilt!! Das heißt, wir müssen selber ein Gesetz vorlegen, natürlich in Kooperation mit der Initiative und Mieter:innen und anderen Miet-Initiativen in dieser Stadt.
taz: Wie groß ist Ihre Fantasie, dass SPD und Grüne da mitziehen?
Eralp: Auch SPD und Grüne haben öffentlich bekundet, dass das Mietenthema ein zentrales Thema ist. Es wäre auch absurd, wenn jemand das anders sehen würde. Und beide Parteien haben Parteitagsbeschlüsse, die die Umsetzung des Volksentscheids vorgeben – also erwarte ich, dass SPD und Grüne ihre eigenen Beschlüsse ernst nehmen.
taz: Ein Großteil der bisherigen Linken-Abgeordneten wird dem nächsten Abgeordnetenhaus nicht mehr angehören. Wie sehr ist das ein Nachteil, um für die Wähler:innen und die potentiellen Koalitionspartner als regierungsfähig zu gelten?
Eralp: Da mache ich mir keine Sorgen, denn wir haben viel Erfahrung und Expertise in der Partei, mit den Abgeordneten, die bleiben, mit unseren Stadträten in den Bezirken, aber auch mit all jenen, die schon wichtige Funktionen ausgefüllt haben.
taz: Wie soll die Stadt ihre Einnahmen erhöhen?
Eralp: Wir prüfen derzeit eine Luxusvillensteuer. Wer sich für mehr als 4 Millionen Euro eine Wohnung oder ein Haus leisten kann, kann auch eine stärkere Verantwortung für die Stadt übernehmen. Eine Erhöhung der Grunderwerbssteuer auf Brandenburger Niveau würde jährlich etwa 70 Millionen Euro mehr einbringen. Auch sollte eine Steuer auf unbebauten Boden erhoben werden, um Spekulation zu verhindern. Und wir brauchen eine Erhöhung der Anwohner-Parkgebühren, die in Berlin so günstig sind wie nirgendwo sonst in Deutschland und derzeit nicht mal die Verwaltungskosten decken.
taz: Was hat Sie politisiert?
Eralp: Als Kind von Eltern, die vor meiner Geburt nach Deutschland geflüchtet sind, habe ich Zeit meines Lebens erfahren, was es heißt, wenn man hier nicht die gleichen Rechte hat. Wir mussten um das Asylverfahren kämpfen, wurden in einer Ein-Zimmer-Sozialwohnung mit Schimmel an der Decke untergebracht, hatten immer wieder auch Ärger mit Behörden. Neben diesen sozialen Fragen haben mich auch Fragen von Ausgrenzung und Rassismus stark beeinflusst. Während meiner Kindheit gab es die Anschläge von Mölln oder Solingen und in unseren Communities ging die Angst um, wer jetzt als nächstes dran ist. Schon zu Schulzeiten war für mich klar, dass ich Menschenrechtsanwältin werden möchte.
taz: Erinnert Sie die Situation heute an die 1990er Jahre?
Eralp: Ja, es gibt wieder diese „Das Boot ist voll“-Rhetorik und die Täter-Opfer-Umkehr, als wären die Menschen, die zu uns kommen, Schuld an der Rechtsentwicklung und an gewalttätigen Neonazis. Damals gab es dann den sogenannten Asylkompromiss, heute GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem – d.Red.) oder das Sicherheitspaket. Aber ich habe trotzdem Hoffnung: Die Proteste nach der Correctiv-Recherche oder nach der Zusammenarbeit der CDU mit der AfD waren die größten seit Jahrzehnten.
taz: Eines ihrer bisherigen Fachgebiete war Flüchtlingspolitik. Die Linke hat immer gegen große Heime gewettert und für dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen plädiert. Wie wollen Sie das umsetzen, wenn Sie regieren?
Eralp: Aus unserer Sicht muss Tegel als größte, inhumanste und gleichzeitig teuerste Flüchtlingsunterkunft deutschlandweit geschlossen werden. Tegel ist weder gut für die Menschen noch für die Stadt. Um die Menschen in Wohnungen unterzubringen, haben wir viele Vorschläge vorgelegt. Es gibt tolle Projekte, wie etwa Wohnen statt MUF oder von Xenion, wo Genossenschaftsanteile erworben werden, damit Geflüchtete in Wohnungen ziehen können. Übergangsweise braucht es sicher Unterkünfte, aber mit guten, menschenrechtlichen Standards.
taz: Tegel soll geschlossen und dann als Ankunftszentrum neu eröffnet werden; womöglich werden die Menschen dann dort wie in einem Gefängnis eingeschlossen. Wie hart wird das, wenn Sie als Linke bundesdeutsche und europäische Asylpolitik durchsetzen müssen?
Eralp: Gerade als Juristin weiß ich, dass es wahnsinnig große Auslegungsspielräume gibt, auch wenn ich am liebsten das Aufenthaltsgesetz ändern und Möglichkeiten schaffen würde, damit Menschen hier leben und arbeiten können. Mein Anspruch aber ist, die Möglichkeiten, die es gibt, zu nutzen, keine Haftanstalten zu schaffen. Abschiebehaft, das ist etwas, was ich absolut unmenschlich und falsch finde.
taz: Haben Sie politische Vorbilder?
Eralp: Schon in meiner Jugend waren das Angela Davis und Rosa Luxemburg.
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