Lieferkettengesetz mit Lücken: Viel zu wenig Kontrolleure
Der Entwurf für das geplante Lieferkettengesetz liegt vor. Menschenrechtsorganisationen erhalten damit neue Klagemöglichkeiten.
Nach langen internen Verhandlungen hat Heil den fast fertigen Entwurf nun aber den anderen Ministerien zur Abstimmung zugeschickt. Der Text liegt der taz vor. Der Einigung zwischen Arbeits-, Wirtschafts- und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am vergangenen Freitag ging ein jahrelanger Konflikt voraus. Heil und Müller plädierten für das Lieferketten- oder Sorgfaltspflichtengesetz, um hiesige Firmen anzuhalten, die Menschenrechte der Beschäftigten in ihren ausländischen Zulieferfabriken zu schützen. Altmaier versuchte, das Vorhaben zu verzögern und zu entschärfen. Nun soll in Kürze das Kabinett einen vorläufigen Haken hinter die Sache setzen.
„Den Bußgeldrahmen sollte das Gesetz regeln“, sagte Hermann Gröhe (CDU). „Die Festsetzung einzelner Bußgelder wäre dann Aufgabe der zuständigen Behörde“, so der Unionsfraktionsvize für Arbeit und Soziales im Bundestag. Insgesamt sei „die Einigung der drei Minister eine gute Lösung“, erklärte Gröhe. Über „Änderungsbedarf“ werde man jedoch „im Lichte der parlamentarischen Beratungen und einer Anhörung entscheiden“.
Konsumgüter, die hiesige Geschäfte verkaufen, werden im Ausland nicht selten unter schlechten Arbeits- und Umweltbedingungen produziert. Deshalb listet der Entwurf nun auf, welche Menschenrechte die Zulieferer deutscher Firmen nicht verletzen dürfen. Dazu gehören unter anderem die Rechte der Beschäftigten auf Leben, Gesundheit, „angemessenen Lohn“ und „Lebensunterhalt“, Freiheit von Zwangs- und Kinderarbeit, sowie die „Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen“. Letzteres bedeutet, dass die Arbeiter:innen Gewerkschaften oder ähnlichen Organisationen beitreten dürfen, um ihre Interessen durchzusetzen. Außerdem beinhaltet das Gesetz einige „umweltbezogene Pflichten“. So muss das Personal vor Emissionen von Quecksilber und organischen Schadstoffen geschützt werden.
Wie das Gesetz wirkt, ist unklar
Das Bundesamt für Wirtschaft (Bafa) in Eschborn soll kontrollieren, ob die Firmen diese Regeln einhalten. Tun sie es nicht, können Bußgelder verhängt werden. Dafür bekommt die Behörde laut Entwurf 65 zusätzliche Vollzeitstellen, die jährlich rund 5 Millionen Euro kosten. Die Mitarbeiter:innen müssen schließlich rund 3.000 einheimische Unternehmen plus ihre weltweiten Zulieferer überprüfen. Über zu wenig Arbeit werden sich die Expert:innen nicht beschweren können.
Eine Frage ist, was das Gesetz für bekannte Konflikte im Welthandel bedeutet. So gilt die Vereinigungsfreiheit in China nicht, freie Gewerkschaften verbietet die Kommunistische Partei. Und beispielsweise aus Westafrika kommen immer wieder Berichte über Kinderarbeit im Kakaoanbau, der Lieferkette der Schokoladenproduzenten. Wie genau muss man sich die Umsetzung der neuen Regeln also vorstellen?
Beispielsweise der deutsche Autobauer Volkswagen wird für seine Fabriken in China sogenannte Risikoberichte verfassen und analysieren, ob es dort zu Verstößen gegen die Menschenrechte kommt. Vermutlich stellt sich der Konzern dann auf den Standpunkt, dass es dort zwar keine unabhängige Gewerkschaft gibt, wohl aber Komitees, welche die Interessen der Arbeiter:innen vertreten. Zu Vorwürfen der Unterdrückung der Uiguren in Westchina könnte VWs zu erwartende Verteidigung lauten, dass diese in seinem dortigen Werk keine Rolle spielt. „Möglich wäre es für uns dann, eine Beschwerde beim Bafa einzureichen“, sagte Miriam Saage-Maaß von der juristischen Bürgerrechtsorganisation ECCHR in Berlin. „Wir müssten konkret belegen, dass der Bericht von VW falsch oder unvollständig ist.“
Der zweite Weg laut Gesetzentwurf: „Wenn sich geschädigte Beschäftigte an uns wenden, könnten wir vor hiesigen Gerichten klagen“, so Saage-Maaß. Dass einheimische Organisationen im Namen von Geschädigten deren Rechte durchsetzen können, ist neu. Die Richter:innen würden dann darüber befinden, ob die Firmen Schadensersatz zahlen müssen. Auf dieser Basis dürfte es künftig einige interessante Prozesse geben.
Greenpeace kritisiert Altmaier
Die Umweltorganisation Greenpeace bezeichnete den Gesetzentwurf trotzdem als „Schwindel“. Dieser Schriftzug wurde am Dienstagmorgen mit Scheinwerfern auf das Bundeskanzleramt projiziert. Die Öko-Aktivist:innen meinen, Wirtschaftsminister Altmaier habe die geplanten Regeln ausgehöhlt. Der Bundesverband der Bauindustrie hingegen beklagte sich, Firmen dürften vorübergehend auch von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden, wenn sie gegen das Gesetz verstoßen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland