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Liebe in BerlinStärker als Hass, Hetze und Krise

Technoparade, Lange Nacht der Museen, Fetischparty: Das ganze Wochenende in Berlin stand im Zeichen der Liebe in all ihren Formen.

Andrang auf der Museumsinsel: Laut Veranstalter besuchten rund 45.000 Menschen die Lange Nacht der Museen Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin taz | Liebe – davon kann es nie genug geben, im eigenen Leben, in Berlin, auf der ganzen Welt. In diesem Sinne wurde in dieser Stadt ein rekordverdächtiges Wochenende im Zeichen der Liebe begangen. Am Samstagnachmittag zog zum zehnten Mal die Technoparade „Zug der Liebe“ durch den Innenstadtbereich, vom Mauerpark bis nach Kreuzberg.

Nach Angaben der Polizei tanzten um die 8.000 Besucher und Besucherinnen den Musiktrucks hinterher. Auf Schilder gemalte Herzchen waren zu sehen, und einer trug auf einem Plakat die Aufforderung mit sich herum: „Fuck me, not the Planet“.

Weiterhin liebeshungrige Raver hatten nach der Parade, die gegen 22 Uhr endete, die Möglichkeit, nicht einfach bloß im nächsten Club weiterzufeiern, sondern: im Museum. „Die Lange Nacht der Museen“ fand in diesem Jahr unter dem Motto „Liebe in Berlin“ statt, wobei man sich durchaus auch von der Clubkultur inspirieren ließ.

Im Humboldt Forum beispielsweise, dessen Fassade von einem grellen Liebesrot illuminiert war, legte gegen Mitternacht immer noch der bekannte Berliner DJ Daniel Wang auf. Und es wurde tatsächlich ordentlich getanzt zu den Bee Gees und weiteren Disco-Nummern.

Klangstäbe und Kuhglocken

Wang hatte dabei sichtbar ein Gespür dafür, dass man Besucher und Besucherinnen eines Museums vielleicht etwas anders zum Gang auf den Dancefloor animieren muss als das übliche Clubpublikum. Er begab sich selbst ständig unter die Leute, tanzte mit einer Gruppe von Mädchen mit Kopftüchern und verteilte Klangstäbe und Kuhglocken, mit deren Hilfe aus dem DJ-Set fast schon eine Art Improvisationskonzert wurde.

75 Museen, darunter auch die Berliner Planetarien, nahmen teil an der „Langen Nacht der Museen“, die von Samstag 18 Uhr bis Sonntag 2 Uhr ging. Es gab etwa 750 Sonderveranstaltungen, Lesungen und Führungen, die meisten zum Thema „Liebe“, am Ende kamen laut Veranstalter 45.000 Menschen.

Das Zentrum war naturgemäß Mitte, wo auf der Museumsinsel und Umgebung die meisten Musentempel angesiedelt sind. Mit Shuttle-Bussen konnte man sich dann etwa zum Museum für Fotografie in Charlottenburg oder in das Computerspielemuseum in Friedrichshain gondeln lassen.

Einsparungen im Kulturetat

Liebe – das klingt erst einmal so, als wollten die Berliner Museen vor allem gute Vibes verbreiten. Vielleicht steckte hinter der Wahl des diesjährigen Mottos aber auch ein Hauch Trotz: Die Berliner Politik hat beim Kulturetat empfindliche Sparmaßnahmen vorgenommen, was den Museen wirklich nicht gefällt und worüber man sogar entsetzt ist, aber trotzdem begegnet man dem Affront mit weit ausgebreiteten Armen.

Und wenn Donald Trump und seine Maga-Bewegung, genauso wie die AfD hierzulande, glauben, Museen und Gedenkstätten gehörten ideologisch gesäubert, sendete man die Botschaft: Liebe ist stärker als euer Hass auf alles, was eine soziale, liberale und inklusive Gesellschaft so ausmacht.

Das Gedränge auch nachts noch auf der Museumsinsel rührte allerdings nicht nur daher, dass wirklich alle auf der Suche nach etwas Zuneigung und einem heftig pochenden Herzen waren, sondern vielen ging es einfach um das, was Berliner Museen auch sonst so das Jahr über zu bieten haben.

Vor der Alten Nationalgalerie etwa, die besonders stolz ist auf ihre Sammlung aus dem Bereich der Kunstgattung des Impressionismus, bildete sich eine wirklich gewaltige Schlange. Auf Anfrage wurde einem am Eingang in typischer Berliner Art, die man mit etwas gutem Willen als liebenswert bezeichnen kann, mitgeteilt: „Hier ist nüscht mit Liebe.“

Liebe zur Pflanze

Andere Orte wiederum ließen sich auf das Liebesthema mit großer Lust ein, das Medizinhistorische Museum der Charité zum Beispiel, das eine „Liebeskummerpraxis“ eingerichtet hatte. Im Hanfmuseum wurde sich diesem dagegen eher spielerisch angenähert, wenn man das so sagen möchte.

Auf einem Monitor wurden Aufnahmen von Gewächshäusern gezeigt, die von Anbauvereinen geführt werden, die an ihre Mitglieder legal Cannabis verteilen dürfen. Man sah also kaum etwas anderes als sehr viele bestens blühende Hanfpflanzen. Dazu war zu lesen: „Die Liebe zur Cannabis-Pflanze.“

Aber alle Berliner Museen zusammengenommen boten wohl nicht so eine geballte Ladung an Liebe wie die Veranstaltung, zu der die „Alte Münze“ in Mitte lockte – und die mit der „Langen Nacht“ nichts zu tun hatte. Die schwule Fetisch-Veranstaltung Folsom Europe hatte hier Samstagnacht mit „Pig Berlin“ ihre große Abschiedsparty.

Wirklich unfassbar viele Menschen in Lack-und-Leder-Kostümen warteten auf den Einlass zur „geilsten“ und „versautesten“ Party der Stadt, wie es auf der Homepage hieß. Liebe kann wirklich die unterschiedlichsten Formen annehmen.

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