Lidl-Zulieferer in Bangladesch: Verschwörung des guten Willens
In einem Lidl-Zulieferbetrieb in Bangladesch äußerten Arbeiter Sicherheitsbedenken – sie wurden gefeuert. Nun schloss der deutsche Besitzer die Fabriken.
DHAKA/GAZIPUR taz | Mitte Februar kommt es in der Fabrik von BEO Apparels – Hersteller von T-Shirts, Polohemden und Pullovern und Zulieferer der deutschen Supermarktkette Lidl – zu einer auch für Bangladesch ungewöhnlichen Szene: Vor den Augen eines Einkäufers zerren leitende Angestellte, mit Stangen bewaffnet, an der Kleidung eines Gewerkschafters. Sie hätten ihn wohl auch zusammengeschlagen, wenn es ihm nicht gelungen wäre, in ein Auto zu flüchten. Von dort aus macht Kamrul Hassan, der Gewerkschafter, Handyfotos: Sie zeigen die Manager, mit Eisen- und Holzstäben bewaffnet.
So glimpflich wie für Kamrul Hassan endet dieser 16. Februar nicht für alle Anwesenden. Bei der folgenden Prügelei werden auf beiden Seiten mindestens zehn Personen verletzt. Für die Beschäftigten der Fabrik rückt damit der letzte Arbeitstag näher: Der deutsche Besitzer von BEO Apparels, Ulrich Bornemann, verkündet, dass er diese und eine zweite Fabrik in Bangladesch dauerhaft schließen will. Die Probleme der letzten Monate hätten dazu geführt, dass er keine Aufträge mehr habe. 1.300 ArbeiterInnen werden dann auf der Straße stehen.
Die Geschichte des Konflikts zwischen der Fabrikleitung von BEO Apparels und der Betriebsgewerkschaft ist ein Beispiel für den komplizierten Alltag im Billiglohnland Bangladesch. Wie es dazu kam, darüber gibt es unterschiedliche Versionen, je nachdem, wen man fragt. Kamrul Hassan berichtet, dass die Gewerkschaftsmitglieder dem Management im September vergangenen Jahres zunächst Bedenken wegen der Sicherheit im Betrieb vorgetragen und höhere Feiertagsgelder gefordert hätten. Wenige Tage darauf seien 48 Beschäftigte entlassen worden. Seitdem drängten internationale Gewerkschaften und Kunden der Fabrik darauf, die Gefeuerten wieder einzustellen. Fabrikeigner Bornemann hingegen sagt, die Leute hätten wild gestreikt und sogar einige der Fabrikleiter eingesperrt. Deshalb sei die Entlassung rechtens gewesen.
Im schlichten Büro von Kamrul Hassans Gewerkschaftsverband AGWF, am Rande der staubigen Hauptstraße zwischen Dhaka und Gazipur gelegen, sitzen nun 6 der 48 gefeuerten Arbeiter und 3 weitere, die derzeit noch bei BEO Apparels arbeiten. Sie haben die Briefe dabei, die sie im September geschrieben hatten. In wackliger Schrift und unsicherer Orthografie steht darin, dass sie um Schränke bitten, um ihre Schuhe verstauen zu können. Sie wünschen sich auch, dass der Dampfkessel für die Bügeleisen verschoben wird, weil sie glauben, er könnte explodieren. In einem dritten Brief fordern sie ein höheres Feiertagsgeld für das kommende muslimische Opferfest. Es solle die für die Branche übliche Summe übersteigen und allen ausgezahlt werden – nicht nur an die, die länger als drei Monate im Betrieb waren.
„Die Fabrikleitung hat uns gleich gesagt, dass das nicht geht“, erinnert sich Ariful Islam, der Chef der Betriebsgewerkschaft. „Aber sie sagten, sie würden mal nachrechnen.“ Als dann wenige Tage später ein Aushang über das Feiertagsgeld auftauchte, auf dem die Namen der neuen KollegInnen im Betrieb fehlten, marschierten zwölf ArbeiterInnen zur Fabrikleitung, um zu verhandeln.
„Aussage gegen Aussage“
Der Streit eskalierte nun. Fabrikchef Bornemann zufolge forderten die Gewerkschafter daraufhin die Belegschaft auf, die Arbeit niederzulegen. Und sie schlossen die Fabrikleitung ein. Aus diesem Grund sei ihnen und 36 anderen Beteiligten wenige Tage später fristlos gekündigt worden. Doch im AGWF-Büro erzählen die ArbeiterInnen etwas anderes: Die Manager hätten vorgegeben, den Geschäftsführer hinzurufen zu wollen, diesem aber vorgegaukelt, eingeschlossen worden zu sein. Es habe auch keine Arbeitsniederlegung gegeben, nur die Verhandelnden hätten zu diesem Zeitpunkt nicht gearbeitet.
Auf die zwei Darstellungen des Tages angesprochen, sagte Bornemann, der seit vier Jahren in Bangladesch lebt, ihm sei die Version der beteiligten ArbeiterInnen unbekannt. Er habe sie auch nicht selbst zu den Ereignissen angehört, sondern sich auf die Erzählung seiner Fabrikleitung und weiterer Zeugen verlassen: „Da steht wohl Aussage gegen Aussage.“ Allerdings habe ihn die Gewerkschaft auch im Nachhinein nicht über ihre Version informiert.
Kamrul Hassan vom Gewerkschaftsverband AGWF hält die Entlassungen für eine eindeutige Vergeltungsaktion. Möglich wäre es: In Bangladesch klagen Gewerkschafter immer wieder darüber, dass sie gewalttätig angegriffen oder ArbeiterInnen, die sich organisieren wollen, fristlos entlassen werden. „Dann legen wir Protest beim Bangladesh Accord ein“, sagt Kamrul Hassan.
Gütesiegel: „konform“
Im „Accord“ haben sich mehr als 190 vorwiegend europäische Markenfirmen – darunter auch Lidl – zusammengeschlossen. Er wurde nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza vor knapp zwei Jahren eingerichtet. Seine Aufgabe: Sicherheitsstandards und Arbeiterrechte in den Zulieferfabriken zu prüfen und durchzusetzen. Werden Fabriken vom Accord als „nicht konform“ bewertet, dürfen die Mitglieder dort nicht mehr einkaufen. Bei BEO Apparel stellte der Accord mehrere kleinere bauliche Mängel fest. Unter anderem forderte er eine feuerfeste Wand für den Dampfkesselraum, außerdem sollten leicht brennbare Stoffe aus den Ausgängen entfernt werden.
Im Konflikt zwischen der Firma und den Gewerkschaftern bittet der Accord Ende Oktober 2014 alle Beteiligten zu einem Treffen: Ulrich Bornemann ist anwesend, ebenso die Einkäufer von Lidl, auch Kamrul Hassan vom Gewerkschaftsverband und acht der gefeuerten ArbeiterInnen sowie zwei Gewerkschaftsmitglieder, die noch in der Fabrik arbeiten. Bei dieser Begegnung lehnt Bornemann strikt ab, die 48 ArbeiterInnen wieder einzustellen. Danach berichten die zwei noch angestellten ArbeiterInnen, dass sie vom Management wegen ihrer Teilnahme am Treffen beschimpft worden seien. Auf der Straße sei ihr von einem Schläger aus dem Ort gesagt worden, sie solle „die Gegend verlassen“, sagt eine Arbeiterin.
Der Konflikt schleppt sich hin. In den folgenden Wochen gelingt es dem Accord auch bei mehreren Treffen nicht, Bornemann zu einer Wiedereinstellung zu bewegen. Dieser hingegen berichtet von einer „Rufmordkampagne“: Seinen Kunden sei von den Ereignissen berichtet worden, diese hätten Druck gemacht und es habe nur noch wenige Aufträge gegeben. Schließlich knickt Bornemann ein: Mitte Dezember sagt er zu, die entlassenen ArbeiterInnen zum Februar wieder einzustellen und ihnen die fehlenden Gehälter auszuzahlen.
Doch nun bekommt es der Firmeneigner mit seiner Fabrikleitung zu tun. In einem Brief, der der taz vorliegt, drohen 35 leitende Angestellte, sofort zu kündigen, wenn die ArbeiterInnen wieder eingestellt würden. In dem Brief steht, sie würden um ihr Leben fürchten. Bornemann zieht die Zusage zur Wiedereinstellung wieder zurück. Und so kommt es zu den Ereignissen vom 16. Februar. Auf das Treffen zwischen Fabrikleitung, Accord, Lidl-Einkäufern und Gewerkschaft folgt die Schlägerei.
Fabrik „nicht konform“
Danach schließt die Fabrik – „vorläufig“, wie es im Aushang für die ArbeiterInnen heißt. Doch schon eine Woche später lässt Ulrich Bornemann seine Kunden und den Accord durch eine E-Mail wissen, dass er die Fabrik nicht wieder eröffnen werde.
Eine Stunde später erklärt der Accord-Chef in einer E-Mail Bornemanns Fabriken für „nicht konform“. Die Firma verliert daraufhin weitere Aufträge – auch von Kunden, die nicht Mitglied im Accord sind. Als die ArbeiterInnen nun erfahren, wie schlimm es steht, machen sich knapp 200 von ihnen am 1. März auf den Weg nach Dhaka, zum Büro des Accord, um gegen die Schließung zu protestieren. Während einige ins Büro im 12. Stockwerk des modernen Hochhauses zum Gespräch vorgelassen werden, wartet der Rest in einer Seitenstraße.
„Wir alle leben von diesen Jobs – was soll jetzt aus uns werden?“, sagt eine langjährige Näherin. Für die meisten ist klar: Die Fabrik wurde wegen einer Verschwörung von Accord und Gewerkschaft geschlossen. „Wir brauchen diese Störenfriede nicht und brauchen auch keine Gewerkschaft“, rufen mehrere. Doch danach sieht es nicht mehr aus. Am Donnerstag sollen die letzten Löhne ausgezahlt werden, dann will Ulrich Bornemann seine Geschäfte abwickeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“