Arbeit in der Textilindustrie: Der lange Weg zum fairen T-Shirt
Vor einem Jahr gründete Entwicklungsminister Müller ein „Textilbündnis“ für bessere Bedingungen in Kleiderfabriken. Wie kommt es voran?
Dhaka, Hauptstadt von Bangladesch: Gerd Müller ist hier, um sein Anliegen voranzutreiben. Kleidung, die Geschäfte in Deutschland anbieten, soll nicht unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt werden. Deshalb hat die Müller unterstellte Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) einige technische Verbesserungen wie die roten Motorräder bezahlt. Inspektoren können damit zu abgelegenen Produktionsstätten fahren. Sie kontrollieren, ob Fabrikgebäude stabil gebaut sind, intakte Feuerlöscher an den Wänden hängen, Fluchtwege existieren und die Arbeiterinnen nicht wie Sklaven gehalten werden.
Zwei Stunden hat sich Müllers Fahrzeugkonvoi erst durch den Verkehr der 14-Millionen-Stadt Dhaka, dann über Schlaglochwege durch die Hüttenvororte gequält. Hier steht ein modernes, achtstöckiges Fabrikgebäude. An den Straßen auf dem Firmengelände stecken bunte Fähnchen im ordentlich gemähten Rasen. Alles sieht toll aus, nicht nach Entwicklungsland, sondern nach „Leuchtturm für eine faire Globalisierung“, wie Müller schwärmt.
Tatsächlich scheint das Familienunternehmen Dulal Brothers Ltd. seinen 22.000 Beschäftigten – überwiegend jungen Frauen – Bedingungen zu bieten, die deutlich über dem Standard im Land liegen. Zwar arbeiten auch hier Hunderte Leute auf einem Stockwerk dicht an dicht. Sie fertigen beispielsweise Oberhemden, die man bei H & M, Esprit, G-Star oder Lidl kaufen kann. Die Stoffe werden geschnitten, genäht, Kragen werden angesetzt, Knöpfe angenäht, Etiketten angebracht, die fertigen Hemden kontrolliert, gebügelt, gefaltet, verpackt.
70 Cent pro Stunde
Es ist eine erschöpfende, monotone Industriearbeit – dennoch besser organisiert als in vielen anderen Fabriken. So hängen keine lauten Propeller unter den Geschossdecken, die anderswo nervtötenden Lärm verbreiten. Die Klimatisierung übernehmen stattdessen Ventilatoren in den großen Fenstern der Halle. Es ist nicht heiß, die Luft angenehm. Auch die Nähmaschinen rattern nicht ohrenbetäubend. Ihren Beschäftigten bietet die Firma einen speziellen Laden, in dem sie Lebensmittel und andere Konsumgüter billiger als normal einkaufen können. Die Medizinstation auf dem Gelände gewährleistet kostenlose ärztliche Versorgung. Dieser Arbeitgeber übernimmt dadurch Dienstleistungen, die das Entwicklungsland Bangladesch seinen Bürgern nicht zur Verfügung stellt.
Verband deutscher Textilindustrie
Außerdem sei die Bezahlung besser als üblich, erklären die Manager. Eine durchschnittliche Näherin könne hier rund 15.000 Taka pro Monat verdienen – etwa 170 Euro. Bei 60 Arbeitsstunden wöchentlich beträgt der Lohn zwar für deutsche Verhältnisse lächerliche 70 Cent pro Stunde. In Bangladesch liegt er damit allerdings bei 300 Prozent des Mindestlohns. Im Vergleich zu vielen Millionen Beschäftigten in der Textilindustrie des Landes scheint es den Näherinnen bei Dulal Brothers also einigermaßen gut zu gehen.
Allerdings nicht gut genug, wie die Gewerkschafter der Asiatischen Fabriklohn-Kampagne sagen. Deren Berechnungen zufolge müssten Arbeitnehmerinnen in Bangladesch etwa 250 Euro monatlich erhalten, um die Grundbedürfnisse ihrer Familien decken zu können. Dieser sogenannte Existenzlohn soll nicht nur Essen, Wohnen und Kleidung ermöglichen, sondern auch Mobilität, Kommunikation, soziale Sicherheit, Bildung der Kinder und Sparen.
Das Konzept des Existenzlohns spielt eine große Rolle in der Auseinandersetzung über die Zustände in den weltweiten Zulieferfabriken der europäischen und US-amerikanischen Textilkonzerne. Während etwa die Kritikerorganisation Kampagne für Saubere Kleidung fordert, dass Händler wie H & M, Otto, KiK oder Walmart den Existenzlohn in Bangladesch, China oder Kambodscha durchsetzen, verweisen die Unternehmen darauf, dass sie sich immerhin an die staatlich festgelegten, wenn auch niedrigeren Mindestlöhne halten.
Wie ein christlicher Marxist
Entwicklungsminister Müller hat die umständliche Reise in Dhakas ländlichen Norden auch deshalb unternommen, weil Dulal Brothers aus seiner Sicht einen weiteren Vorteil hat. Die vier Eigentümer waren die Ersten in Bangladesch, die Müllers Textilbündnis beitraten. Dieses existiert seit einem Jahr. Mittlerweile haben sich über 150 schwerpunktmäßig in Deutschland aktive Textilkonzerne, Verbände und Organisationen angeschlossen. Müller übernimmt damit den ehrgeizigen Versuch, die ökologischen und sozialen Bedingungen in der globalen Textilproduktion zum Besseren zu verändern.
Das Land ist weniger als halb so groß wie Deutschland, hat aber doppelt so viele Einwohner: 160 Millionen. Wichtigster industrieller Wirtschaftszweig mit Exportwert von über 20 Milliarden Euro ist die Textilindustrie. Nach China ist Bangladesch der größte Bekleidungsexporteur. Verkaufen Konzerne eine Jeans in Deutschland für 100 Euro, erreichen davon 2 oder 3 Prozent die Arbeiterinnen in Bangladesch. Wenn sie wollten, könnten Firmen den Lohn verdoppeln, ohne dass der hiesige Kundenpreis steigt. Nur ihr Gewinn würde minimal sinken. (koch)
Wenn Müller, 60 Jahre alt, bayerischer Bauernsohn mit großen Händen, darüber redet, klingt er wie ein christlicher Marxist. Der CSU-Politiker, der früher mal die Junge Union Bayern leitete, ist zornig, dass sich große Firmen wie H & M, KiK oder Primark aus dem sozialen Konsens verabschieden. Wenn die Konzerne den Produzenten nur 1 Euro pro T-Shirt zugeständen, reiche das einfach nicht, um vernünftige Arbeitsbedingungen zu finanzieren, verkündet er im Ausstellungsraum von Dulal Brothers. Die westlichen Konzerne sollten ihren Lieferanten in Bangladesch und anderswo bessere Preise bieten, damit diese ihren Beschäftigten höhere Löhne zahlen könnten. Um das durchsetzen, so Müller, müsse die Politik der Wirtschaft auch weltweit Regeln vorschreiben.
Des Ministers Ansinnen ist auch eine Reaktion auf die Katastrophe von Rana Plaza. Nicht weit von Dulal Brothers entfernt brach vor zweieinhalb Jahren ein Gebäude mit Textilfabriken zusammen. Über 1.000 Arbeiterinnen und Arbeiter starben. Mit seinem Textilbündnis will Müller auch einen Beitrag dazu leisten, dass so etwas nicht wieder passiert. Im Aktionsplan des Bündnisses stehen viele gute Punkte: So geht es um Arbeitssicherheit, Unfall- und Gesundheitsschutz, maximale Arbeitszeiten – und sogar zum Existenzlohn haben sich Otto, C & A, KiK, H & M und Co. bekannt.
Allerdings nur theoretisch. In der ersten Version enthielt der Aktionsplan noch die Verpflichtung für die Konzerne, dass die Beschäftigten der wichtigsten Zulieferer bis spätestens 2020 existenzsichernde Löhne erhalten. Diesen Zeitplan haben die Firmen und Verbände jedoch gestrichen – als Bedingung für ihre Teilnahme am Bündnis. Müller willigte ein, um sich die Unterschriften der Unternehmen als Erfolg anrechnen zu können. Das Resultat: Nun gibt es zwar gemeinsame Ziele – wann diese aber erreicht werden, steht in den Sternen.
Zusagen bekommt Müller nicht
Ein weiterer Minuspunkt: Vor einem Jahr, am 16. Oktober 2014, ließ der Entwicklungsminister das Textilbündnis offiziell gründen. Außer bürokratischen Aktivitäten ist bis heute aber nichts passiert. Maik Pflaum, der für die Kampagne für Saubere Kleidung im Bündnis mitwirkt, sagt: „Auf der Ebene der Produktion, bei den NäherInnen, hat das Textilbündnis bisher keine Aktivitäten entwickelt und deswegen noch keine Fortschritte bewirkt.“
Das sei auch kein Wunder, betont dagegen Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie: „Innerhalb nur weniger Monate grundlegende praktische Veränderungen bei den Arbeitsverhältnissen in den Zulieferfabriken zu erwarten, entspricht nicht der Komplexität des Themas. Hier sind auch die Produktionsstaaten und die Bundesregierung in der Pflicht. Ich bin allerdings sicher, dass wir in einigen Jahren wesentliche Verbesserungen erreichen können und auch werden.“
Auf der Reise in Bangladesch möchte der Minister von den Firmen mehr hören. Konferenzraum eines Oberklassehotels in Dhaka Anfang Oktober: Der Minister hat Einkäufer großer Textilhändler eingeladen. Am Tisch sitzen unter anderem Tchibo, Aldi, H & M und C & A. Und, fragt Müller, wo stehe denn der Preis einer Jeans gegenwärtig im Einkauf? Bei 9 Euro? Er will sagen: Ihr dürft die Preise nicht ständig drücken, ihr müsst den Zulieferern in Bangladesch mehr Geld lassen. Zusagen bekommt Müller jedoch nicht. Theoretisch reden die Firmenvertreter gern über Nachhaltigkeit. Wird es konkret, sprechen sie lieber darüber, dass die Zulieferer ihre Produktivität steigern sollten.
Die Reise fand auf Einladung des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“