Libyen-Flüchtlinge in Tunesien: Zwei Tote bei Unruhen in Auffanglager
Tunesische Soldaten schlagen die Proteste afrikanischer Libyen-Flüchtlinge nieder. Über 30 Menschen werden verletzt. Sämtliche NGO-Mitarbeiter wurden zuvor evakuiert.
BREMEN taz | Bei Unruhen im Auffanglager Choucha an der tunesisch-libyschen Grenze sind am Dienstag zwei Menschen gestorben und über 30 verletzt worden. Das tunesische Militär setzte zunächst Tränengas, später auch scharfe Munition gegen die protestierenden Flüchtlinge ein.
Händler aus der nahe gelegenen Stadt Ben Guardane waren in die Auseinandersetzungen verwickelt: Sie griffen Bewohner des Lagers an, weil diese Barrikaden auf einer wichtigen Straße zur libyschen Grenze errichteten. Die Mitarbeiter sämtlicher Hilfsorganisationen verließen die Zeltstadt "aus Sicherheitsgründen" bereits am Montagabend, sagte Firas Kayal, der Sprecher des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR), der das Camp betreibt.
Er bestätigte, dass zwei Bewohner des Camps am Dienstag "totgeschlagen" wurden. Wer hierfür verantwortlich war, konnte Kayal nicht sagen. "Es gab sehr große Schwierigkeiten, die Lage ist sehr unübersichtlich." Die lokale Bevölkerung sei sehr aufgebracht und habe Zelte der Flüchtlinge in Brand gesteckt.
Nach Angaben von Flüchtlingen aus dem Camp sollen unter anderem durch den Schusswaffeneinsatz der Soldaten bis zum Mittag mehr als 30 Menschen zum Teil schwer verletzt worden sein.
Nachdem am Sonntag bei einem Brand vier Eritreer gestorben waren, hatten am Montag hunderte Flüchtlinge gegen ihre Lebensbedingungen protestiert. Sie zogen vor die Büros des UNHCR und riefen "Ban Ki Moon, rette uns!". Sie beklagen, dass der UNHCR ihnen keine Perspektive für eine Weiterreise aus dem Wüstenlager bietet. Dann errichteten sie Barrikaden auf der Straße zwischen dem Camp und der sieben Kilometer entfernten libyschen Grenze. Das an dem Auffanglager stationierte tunesische Militär verstärkte seine Präsenz. Im Laufe des Dienstags eskalierte die Lage.
EU und USA wollen 800 Flüchtlinge aufnehmen
In Choucha sind rund 4.000 Libyen-Flüchtlinge vor allem aus Drittstaaten wie Somalia oder Eritrea untergebracht, in die eine Rückkehr ausgeschlossen ist. Tunesien erlaubt ihnen nicht, das Lager zu verlassen. Militärposten lassen die Flüchtlinge nur passieren, wenn sie eine spezielle Erlaubnis bekommen haben. Mehr als 700 Menschen waren deshalb in den letzten Wochen aus Choucha nach Libyen zurückgekehrt. Dort wollten sie die Fahrt über das Mittelmeer wagen, nachdem Gaddafi die Passage freigegeben hat.
Der UNHCR hatte das Camp am 24. Februar eröffnet. Weit über 100.000 Flüchtlinge haben die Grenze seither an der Stelle passiert. Fast alle von ihnen konnten mittlerweile weiterziehen: Die Libyer verteilten sich über viele Städte im südlichen Tunesien, Flüchtlinge aus stabilen Ländern wie Mali oder Ghana wurden von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in ihre Heimat ausgeflogen.
Die, die noch heute im Camp sind, haben darauf keine Aussicht: Dreimal hat das UNHCR in den letzten Wochen die EU dringend um Aufnahme der 6.000 Libyen-Flüchtlinge gebeten. Doch bisher bieten EU und USA zusammen gerade mal 800 Plätze. Die Bundesregierung hat noch überhaupt keine Zusagen gemacht.
Leser*innenkommentare
SeeMuc
Gast
@Julius Leske.
Mit Verlaub
Was auch immer die Motivation ihres Kommentars sein mag. Womöglich sind sie gegen die Luftangriffe auf Gaddafi. Darüber kann man reden.
Worüber man nicht reden kann ist, wenn man um den einen Standpunkt zu verteidigen eine andere Sache die nichts damit zu tun hat zu verdrehen und womöglich eine ganzes Volk damit zu verunglimpfen.
Das tunesische Militär leistet großartige Arbeit und wirkt seit Beginn der Revolution in Tunesien deeskalierend. Zu behaupten es würde friedlich demonstrierende Zivilisten abschlachten ist nicht nur nicht war, sondern eine infame Lüge.
Anscheinend haben sie den Artikel nicht richtig gelesen in dem es heißt :
"weil diese Barrikaden auf einer wichtigen Straße zur libyschen Grenze errichteten", und:
Er bestätigte, dass zwei Bewohner des Camps am Dienstag "totgeschlagen" wurden. Wer hierfür verantwortlich war, konnte Kayal nicht sagen. Es gab sehr große Schwierigkeiten, die Lage ist sehr unübersichtlich."
Letztendlich schaden sie ihrer Sache, wenn sie eine Lüge durch eine Lüge hervorheben wollen.
Das wirkt unserös!
Ich sage es nochmals, wenn es überhaupt ein Volk gibt, vor dem Mann den Hut ziehen muss, dann ist das Tunesien das Mutterland der Revolution, das dann in der schwierigen Lage des Umbruchs auch noch Hundertausende Flüchtlinge aufgenommen hat, obwohl es selbst nur knapp 10 Millionen Einwohner hat
Friedensnobelpreis für die NATO
Gast
Russia Today meldet heute (25.Mai, 12.05 Uhr) 19 Tote und Hunderte verletzte Zivilisten durch die neuesten NATO-Bombardements in Tripolis. Zum Schutz von Zivilisten sollen jetzt Kampfhubschrauber geschickt werden. Bald werden wohl NATO-Panzer und Geschütze zur Rettung von Zivilisten eingesetzt. Da sich sehr viele 'Anhänger Gaddafis' - wahrscheinlich 1 bis 2 Millionen alleine in der Gegend um Tripolis verschanzt haben, muß die humanitäre Aktion gerade deshalb mit Nachhaltigkeit weiterverfolgt werden. Da die Einwohner von Tripolis von ihren eigenen Einwohnern die in ihrer Mehrzahl Gaddafi-Anhänger sind unterdrückt werden, ist es nur legitim, die Bombardierungsziele zu erweitern und zivile Infrastruktureinrichtungen ins Visier zu nehmen. Kollateralschäden in größerer Zahl werden bei so vielen unbelehrbaren Gaddafi-Anhängern unvermeidbar. Wann wird der NATO der Friedensnobelpreis verliehen?
Afrique-Europe-Interact
Gast
Auf youtube gibt es inzwischen ein englischsprachiges Video zu den jüngsten Ereignissen im Flüchtlingslager Choucha:
http://www.youtube.com/watch?v=G8cDezvagFk
Mehr Informationen zur Flüchtlingssituation in Tunesien finden sich auch auf:
www.afrique-europe-interact.net
henner Kroeper
Gast
Das war für jeden durchschnittlich analytischen Verstand schon vor dem Einschlag der ersten, von Sarkotzy, zum Abwurf freigegebenen Friedensbombe zu erwarten.
Von welchen Kretins werden wir eigentlich regiert, die Taten setzen ohne auch nur einen Funken Ihres verschlagenen Verstandes an die Folgen ihres Tuns zu verschwenden?
Der durchschnittliche Bürger kann dieses impertinente Lügengebäude überhaupt nicht mehr durchschauen, dazu ist er viel zu ehrlich.
julius lieske
Gast
Wo bleibt der Aufschrei der Menschenrechtsfreunde?
Das tunesische Militär schlachtet demonstrierende Zivilisten ab - und kein Reflex? Kein aufgeregter Ruf nach Bombenkrieg gegen die entfesselte Soldateska und ihre Verbündeten, die Kriegsgewinnler, die für die freie Fahrt nach Libyen und die freie Marktwirtschaft in Kriegszeiten, Flüchtlinge erschlagen?
Warum fordert nicht wenigstens das moralische Gewissen der Nation, die TAZ, Luftschläge zum Schutz der Flüchtlinge? Muss erst ein weiterer Genozid erfolgen?
Aber wahrscheinlich war das gar nicht das tunesische Militär, sondern der Gaddafi.