Libertärer US-Präsidentschaftskandidat: Kann er Trump stoppen?
Teile der Republikaner lehnen Donald Trump ab, Hillary Clinton wählen wollen sie auch nicht. Auf ihre Stimmen kann Gary Johnson hoffen.
Der Debattencoup ist seit einem Vierteljahrhundert niemandem mehr gelungen, der nicht entweder für die Demokraten oder die Republikaner ins Rennen ums Weiße Haus ging. Der letzte war 1992 Ross Perot, ein schrulliger Milliardär aus Texas. Angetreten als Unabhängiger, vermasselte er George Bush Senior die Wiederwahl; vor allem, weil er dem Amtsinhaber im konservativen Lager das Wasser abgrub.
Johnson könnte nun in Perots Fußstapfen treten. Er könnte davon profitieren, dass sich Teile der republikanischen Wählerschaft an dem vulgären Populisten Trump reiben, gleichwohl aber nicht bereit sind, zum Clinton-Lager überzulaufen. In diesem Szenario wäre der Libertäre der lachende Dritte. So theoretisch klingt das alles nicht: Umfragen bescheinigen dem Exrepublikaner 9 bis 10 Prozent, eine Erhebung von CBS News sah ihn neulich sogar bei 12 Prozent. Das ist schon ziemlich dicht dran an der magischen Marke.
Wer Johnson im Juli am Rande des Nominierungsparteitags der Republikaner in Cleveland erlebte, sah einen Mann, der allein vom Habitus her wie der Gegenentwurf zu Trump wirkt. Leise Töne, Optimismus, bisweilen gepflegte Selbstironie. Seine Markenzeichen sind Turnschuhe und eine schnittige Sonnenbrille. Auf Krawatten verzichtet er, wo immer er kann. Johnson will amerikanische Lässigkeit ausstrahlen.
Steuern senken, Rentenalter anheben
Nicht dass der 63-Jährige die politische Mitte bedient. Vielmehr steht er für eine Philosophie, die die Aufgaben des Staates auf ein Minimum zu beschränken gedenkt. Johnson will die Steuerbehörde abschaffen, Steuern überhaupt drastisch senken und dafür das Rentenalter deutlich anheben. Zugleich steht er für unbeschränkten Freihandel und offene Türen gegenüber Einwanderern, während Trump protektionistische Hürden aufstellen und an der Grenze zu Mexiko eine Mauer bauen möchte.
Es wäre verrückt, würde man Trumps Plänen folgen, sagt Johnson. Verrückt wäre es auch, elf Millionen ohne gültige Papiere in den USA lebende Migranten zu deportieren. Die Leute arbeiteten in Knochenjobs, für die sich sowieso kaum ein Alteingesessener finde. Wenn Trump davon spricht, dass man sich Mörder und Vergewaltiger ins Land hole, kontert Johnson mit der Statistik: „Die Zahlen zeigen, diese Leute sind weniger kriminell als der Durchschnittsbürger.“
If you ain't first – you're last
Das Laisser-faire eines Libertären hat der Bauunternehmer Johnson bereits praktiziert, als er von 1995 bis 2003 Gouverneur des Bundesstaates New Mexico war. 1999 plädierte er als einer der ersten US-Politiker von Rang für die Legalisierung von Marihuana: Der sogenannte Krieg gegen Drogen entpuppe sich als milliardenteures Fiasko. „Man hat euch beigebracht, dass Drogen euch kirre machen“, sagte er auf einem Forum mit Studenten. „Dann probiert ihr zum ersten Mal Marihuana, und so schlecht ist es nicht, es ist sogar ziemlich cool. Und dann kapiert ihr, dass man euch Lügenmärchen aufgetischt hat.“ Kein Wunder, dass Johnson besonders heftig applaudierte, als Colorado den Anfang machte und beschloss, den Konsum von Cannabis zu gestatten. Er hatte in eine Firma investiert, die unter anderem Haschischkekse herstellt.
Hochakrobatischer Drahtseilakt
Als der Exgouverneur die Reihen der Republikaner verließ, klang er wie einer jener Tea-Party-Rebellen, die es dem konservativen Establishment verübelten, dass es unter der Ägide George W. Bushs die Staatsausgaben ausufern ließ. „Die Republikaner haben aufgehört, gute Verwalter von Steuerdollars zu sein“, wetterte er. 2011 war das, und im Jahr darauf kandidierte er als Bewerber der Libertarian Party erstmals fürs Oval Office, wenn auch ohne den Hauch einer Chance. Für Johnson blieben nur Krümel, knapp 1 Prozent der Wählerstimmen. Es gab damals keinen Spalter wie Trump. Stattdessen gab es Mitt Romney, mit dem sich sowohl die Führung als auch die Basis der Partei problemlos arrangierte.
Die Republikaner und ihr Kandidat – diesmal erinnert es an einen hochakrobatischen Drahtseilakt. Da sind Senatoren, die fürchten, von Trump in den Strudel einer Wahlniederlage historischen Ausmaßes gerissen zu werden. Sechs der 54 Konservativen im US-Senat haben sich öffentlich von dem Mann mit dem auffällig geföhnten Haar distanziert. Am deutlichsten Susan Collins, eine Parlamentsveteranin aus Maine, die traditionell zu denen gehört, die noch am ehesten bereit sind, über die Parteienschluchten Washingtons hinweg Brücken ins demokratische Lager zu schlagen.
Sie habe gehofft, im Wahlfinale gegen Hillary Clinton einen anderen Donald Trump zu sehen als den Rüpel der Primaries – „einen, der sich auf Jobs und die Wirtschaft konzentriert, der seine Rhetorik dämpft und, ja, sich für seine cholerischen Tiraden entschuldigt“. Die unangenehme Wahrheit sei, dass es keinen neuen Donald Trump geben werde, schrieb Collins in der Washington Post. Der offene Brief, in dem 50 republikanische Experten für Außen- und Sicherheitspolitik – zumeist Regierungsmitglieder – vor der Unberechenbarkeit eines Präsidenten Trump warnten, hat eine Debatte ausgelöst, wie es sie so noch nie gab.
Welche Notbremsen gibt es?
Im Kern läuft es auf die Frage hinaus, welche Notbremsen es für den Fall gibt, dass ein derart aufbrausender Mensch qua Verfassung die Kontrolle über den Koffer mit dem Atomwaffencode bekommt. Als Trump indirekt zur Gewalt gegen Clinton aufrief und Obama den Gründer des IS nannte, brachte Peggy Noonan, eine frühere Redenschreiberin Ronald Reagans, die Reaktion der republikanischen Parteigranden im Wall Street Journal den Punkt: „Das ist die Woche, in der sie beschlossen haben, dass Donald Trump verrückt ist.“
Nur um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Die verspätete Revolte hat nicht zur Folge, dass die Aufständischen zu Clinton überlaufen. Die hat mit der grünen Kandidatin Jill Stein übrigens ein ähnliches, wenn auch deutlich kleineres Problem; Stein kommt in Umfragen auf lediglich 3 bis 4 Prozent. Nur einige wenige Republikaner haben angekündigt, nunmehr für die Demokratin Clinton stimmen zu wollen, etwa Meg Whitman, die Hewlett-Packard-Managerin, oder Richard Hanna, ein Kongressabgeordneter aus dem Bundesstaat New York. Für die meisten, auch wenn sie mit Trump hadern, ist die innere Hemmschwelle für eine solche Fahnenflucht einfach zu hoch. Vielleicht liegt dort die Chance des Gary Johnson. Vielleicht ist er es, der von der inneren Zerrissenheit seiner früheren Parteifreunde profitiert.
Und dann ist da noch Evan McMullin, ein 40 Jahre alter Exgeheimdienstler, der wie aus dem Nichts auf der politischen Bühne aufgetaucht ist. Als er seine Kandidatur fürs Weiße Haus bekanntgab, war er selbst für Washington-Insider ein unbeschriebenes Blatt. Elf Jahre lang hat er für die CIA an Undercover-Operationen in Krisengebieten mitgewirkt, wie seine Kurzbiografie vermerkt, ohne Details zu nennen. Danach wurde er Banker bei Goldman Sachs, zuletzt arbeitete er für die republikanische Fraktion im Repräsentantenhaus. McMullin ist ein Protegé Mitt Romneys, der ihn 2012 in sein Wahlkampfteam holte. Mormone wie Romney, rechnet er sich gewisse Chancen in Utah aus, der Hochburg der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.
Mit seinen mehrheitlich stramm konservativ gesinnten Bewohnern gilt der Staat am Großen Salzsee eigentlich als sichere Bank für die Republikaner, als eine der sichersten überhaupt in den Vereinigten Staaten. Weil aber viele Mormonen – strengen Moralvorstellungen verpflichtet – mit Trump über Kreuz liegen, könnte McMullin dem Milliardär dort das Wasser abgraben. Und obwohl Utah gerade mal sechs der 538 Wahlmänner und Wahlfrauen stellt, deren Votum de jure die Wahl entscheidet: Im Falle eines knappen Ausgangs könnten sie das Zünglein an der Waage sein.
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