Libanon vor dem Staatsbankrott: Im Dollarwahn

Zum Start des Fastenmonats Ramadan steigen die Preise für Mehl, Reis und Fleisch an. Grund dafür ist nicht nur Corona, sondern auch die Wirtschaftskrise.

Verschieden Geldwährungen und eine Hand.

Cash, cash, cash, am liebsten Dollar: Der Libanon befindet sich in einer Wirtschaftskrise Foto: Mohamed Azakir/reuters

BEIRUT taz | Nour Marouni stellt ein Bein auf den unteren Metallstab des Einkaufswagens und lässt ihren Blick über den Kassenzettel wandern. Die 30-Jährige wohnt im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut, sie trägt ein rosa Kopftuch und war gemeinsam mit ihrer 60-Jährigen Mutter einkaufen. Plastiktüten stapeln sich im Wagen neben literweise in Plastik abgepacktem Wasser.

Zu Beginn des Fastenmonats Ramadan benötigt die Familie besonders viel Trinkwasser. „Das ist das einzige Produkt, dessen Preis noch stabil ist“, erzählt Mutter Amal Marouni. Auf unerschwingliche Cashews oder Mandeln hätten sie verzichtet.

Die Nüsse für das Frühstück vor der Morgendämmerung (Suhur) sind nun Luxusgüter. Doch auch die Preise für Grundnahrungsmittel steigen seit Beginn des Jahres an. „Öl, Milch und Fleisch sind doppelt so teuer geworden. 500 Gramm Reis haben letztens noch 5.000 Lira gekostet, jetzt haben wir 10.000 bezahlt.“

Wie viel Euro die 10.000 Lira entsprechen, ist schwer zu sagen. Der Libanon ist mit dem Staatsbankrott konfrontiert, die Wirtschaft ist nicht erst seit Corona zum Erliegen gekommen. Weil die Dollarreserven in den Staatsdepots schrumpfen, verliert die lokale Währung stetig an Wert. Offiziell ist sie an den US-Dollar gekoppelt, 1.500 Lira sollen einem Dollar entsprechen. Doch im Supermarkt, am Kiosk oder an der Tankstelle gelten Suq Preise: Das Land ist auf Importe angewiesen, die Importeure zahlen in Dollar – deshalb klettern die Preise in Lira.

Ohne Sicherheitsbeamte

Im südlichen Vorort Ghobeiry hat eine Art Pop-Up-Wechselstube geöffnet. Eine lange Theke erstreckt sich im kargen Raum, der mit Fließen ausgekleidet ist. Wer das Glück hatte, durch befreundete Geldkuriere an starke Fremdwährungen zu gelangen, kommt lieber in die Stube ohne Sicherheitsbeamte, als am Geldautomaten Banknoten zu ziehen.

Für einen Dollar gibt es hier 3.200 Lira, für einen Euro sogar 3.500. Gefragt nach einer Rechnung lacht der Mann hinter der Theke, der perfekt Englisch spricht, Gummihandschuhe und Mundschutz trägt. „Die kann ich nicht raus geben. Du weißt, warum. Wir handeln mit dem inoffiziellen Kurs.“

Wer mit US-Dollar in eine der Wechselstuben geht, bekommt mehr als doppelt so viel Lira wie bei der Bank. Deshalb ist das ganze Land dollarhungrig. Seit der Beiruter Flughafen Mitte März geschlossen hat, bleiben nur noch internationale Geldtransfers.

Der Libanon, dessen Fläche so groß ist wie Hessen, besitzt eine große Diaspora: Mehr Li­ba­ne­s*in­nen leben im Ausland, als in dem Land selbst. Viele schicken Dollar aus London oder Dubai an ihre Liebsten.

Militärs mit Maschinengewehren

Ein paar Hundert Meter entfernt von dem Supermarkt, in dem die Marounis ihre Einkäufe erledigt haben, drängen sich Menschen mit Mundschutz um die Filiale einer Geldüberweisungsagentur. Dunkelgraues Trennband versucht, eine Warteschlange zu generieren, vor der Schiebetür stehen zwei Sicherheitsbeamte, daneben bewachen Militärs mit Maschinengewehren das Geschehen. Ein Mann ruft durch ein Megafon Nummern: 284, 285.

Etwas außerhalb der Menschenansammlung steht Mahdi Farhat. Auf seinen schwarzen Sportschuhen leuchten neon-orangene Streifen hervor. In der Hand hält er neben Desinfektionsspray ein Ticket: 456, gezogen um 9:09 Uhr.

Amal Marouni

„Einfach zu leben ist schwer geworden“

Der 24-Jährige studiert Philosophie in Beirut, seine Familie wohnt in den Emiraten und hat ihm Geld geschickt. „Heute ist der letzte Tag, an dem wir noch Dollar ausgezahlt bekommen. Morgen würde ich nur noch Lira bekommen“, erzählt er. Die libanesische Zentralbank hat beschlossen, die Dollar-Zirkulation einzugrenzen.

„Heute Morgen waren hier knapp 300 Menschen. Sie haben immer mal wieder das Metall vor der Tür heruntergefahren und dann wieder geöffnet. Sie haben auch gedroht: Wenn wir keinen Sicherheitsabstand halten, machen sie dicht.“

Im Libanon gilt eine strikte Ausganssperre aufgrund des Coronavirus. Viele Menschen haben durch die desolate Wirtschaftslage ihr Jobs verloren. „Einfach zu leben ist schwer geworden“, klagt Amal Marouni nach ihrem Einkauf.

Die Wirtschaftskrise trifft besonders die Armen. Deshalb sollte das Parlament am Mittwoch ein Rettungspaket mit Hilfszahlungen verabschieden. Doch bevor der Antrag diskutiert wurde, war die Sitzung beendet. Zuvor durchgegangen war die Legalisierung des Anbaus von medizinischem Cannabis, um die Wirtschaft anzukurbeln.

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Auslandskorrespondentin für Westasien mit Sitz in Beirut. Hat 2013/14 bei der taz volontiert, Journalismus sowie Geschichte und Soziologie des Vorderen Orients studiert. Sie berichtet aus dem Libanon, Syrien, Iran und Irak, vor allem über Kultur und Gesellschaft, Gender und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Für das taz Wasserprojekt recherchiert sie im Libanon, Jordanien und Ägypten zu Entwicklungsgeldern.

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