Libanesische Hilfsorganisation: „Kein Ort bietet mehr völlige Sicherheit“
Die libanesische Organisation Sheild bringt Hilfsgüter in den Südlibanon. Koordinatorin Eva Homsi über ihren Einsatz unter gefährlichen Bedingungen.
Der israelische Einmarsch im Südlibanon hat in mehr als einem Dutzend Grenzstädten gewaltige Zerstörungen angerichtet. Das zeigen Satellitenbilder, die der Nachrichtenagentur Reuters vorliegen. Viele der Städte wurden durch die Bombardierungen evakuiert. Die untersuchten Bilder zeigen Städte zwischen Kfarkela im Südosten des Libanon, südlich von Meiss al-Jabal und westlich eines Stützpunkts der UN-Friedenstruppen bis zum Dorf Labbouneh.
Mitte Oktober zerstörte das israelische Militär mit mehreren Sprengungen auch das Dorf Mhaibib. In einem Video, das über die sozialen Medien verbreitete wurde, reagieren Soldaten, die offenbar israelische Uniformen tragen, mit Ausrufen auf Hebräisch, während sie zusehen, wie Gebäude gleichzeitig explodieren.
Die New York Times bestätigte, dass es dieselbe Sprengung zeigt wie ein anderes Video eines israelischen Radiosenders. Darin geben israelische Soldaten ein Daumen-hoch-Zeichen, während sie die Zerstörung der Gebäude auf dem Bildschirm einer Drohnensteuerung beobachten. In den zerstörten Gebieten harren noch Zivilist*innen aus. Eva Homsi von der libanesischen NGO Sheild hat sie besucht.
taz: Frau Homsi, welche Hilfe leistet Ihre Organisation im Südlibanon?
Eva Homsi: Sheild ist die einzige lokale Organisation, die in der Lage ist, Konvois zu den verbliebenen Menschen im Süden nahe der Grenze zu koordinieren. Bis jetzt wurden zwei Konvois für Rmaisch zusammengestellt. Wir haben einen Konvoi nach Qlaiaa und Marjayoun organisiert. An diesen Orten leben noch Einheimische und Binnenvertriebene. Ich war in einem Konvoi mit 15 Lastwagen, um alle Grenzgebiete zu erreichen.
taz: Was haben Sie dort gesehen?
Eva Homsi, 33, ist Projektleiterin der libanesischen Organisation Sheild. Sheild ist als einzige lokale Hilfsorganisation in dem von den Kämpfen besonders betroffenen Süden Libanons im Einsatz. Ende Oktober konnte sie Hilfskonvois in die Städte Rmaich, Marjayoun und Hasbaya koordinieren.
Homsi: Ich habe die nackte Realität der weit verbreiteten Zerstörung gesehen. Bei meinem Besuch habe ich eine überwältigende Leere gefühlt. Umfassende und wirksame Hilfsmaßnahmen fehlen. Trotz der erschütternden Lage war die Würde der älteren Menschen, ihre Widerstandsfähigkeit und Entschlossenheit beeindruckend.
Ein älterer Mann sagte mir: „Mir geht es gut, solange ich in meinem eigenen Haus sterbe.“ Das spiegelt seine unerschütterliche Verbundenheit mit seinem Land wider. Eine Person hat mich gefragt, ob ich eine Zigarette im Auto hätte. Eine zu rauchen sei eine Quelle des Trostes. Da wurde deutlich, wie wichtig einfache Bedürfnisse sind. Eine ältere Frau, die in der Kälte zitterte, hat mir gezeigt, dass eine warme Umarmung manchmal genauso wichtig ist wie jede materielle Hilfe.
taz: Lokale Medien zeigen völlig zerstörte Dörfer im Süden. Hasbaya und Marjayoun galten aufgrund ihrer mehrheitlich drusischen und christlichen Bevölkerung als relativ sicher vor dem israelischen Einmarsch. Was können Sie zur humanitären Situation vor Ort sagen?
Homsi: Die Lage hat sich drastisch verändert. Die starke Zerstörung in den umliegenden Gebieten verdeutlicht die aktuelle Unsicherheit. Sogar ehemals sichere Gebiete sind nun betroffen, und die Bedrohung für die Gemeinschaften ist groß. In Hasbaya im Südosten wurden Ende Oktober nicht nur Zivilist*innen bombardiert, sondern auch drei Fernsehreporter in ihrer Unterkunft, die seit acht Monaten in diesem Hotel waren. Das hätten wir in Hasbaya nie erwartet. In dieser Umgebung haben die Menschen sogar Angst, jederzeit bombardiert zu werden, wenn sie als Vertriebene von einem Gebiet in ein anderes ziehen.
taz: Was sind die konkreten Bedrohungen für Sheild, um Hilfe in den Südlibanon zu bringen?
Homsi: Wir stehen vor großen Herausforderungen. Das fängt bei den stark beschädigten Straßen an, die wir kaum befahren können. Durch die israelischen Luftangriffe ist es gefährlich, auf den Straßen zu fahren. Hilfslieferungen werden nicht durch die Hisbollah bedroht, aber die anhaltende Gewalt ist eine ständige Bedrohung. Wir müssen die Logistik in einem Hochrisikoumfeld managen. Wir müssen einen sicheren Weg gewährleisten und eine gute Kommunikation aufrechterhalten. Das ist sowohl mit den lokalen als auch mit den internationalen Kräften entscheidend und sehr schwierig.
taz: Wie wird eine solche Hilfslieferung geplant und durchgeführt?
Homsi: Wir arbeiten eng mit dem Sozialministerium, dem Katastrophenschutz und den örtlichen Gemeinden zusammen. Unsere Planung ist sehr akribisch. Wir koordinieren alles mit den lokalen Stellen, damit Hilfslieferungen auch bei den Menschen ankommen. Vor Ort leisten wir auch psychologische Unterstützung. Einfache Gesten helfen, ein Gefühl der Normalität wiederherzustellen. Dazu gehört manchmal auch ein Haarschnitt für Menschen in Gebieten, in denen Friseurläden geschlossen bleiben.
taz: Sheild war die erste lokale Nichtregierungsorganisation, die Hilfe in den Südlibanon gebracht hat. Warum engagieren Sie nicht mehr lokale Organisationen?
Homsi: Die Durchführung solcher Konvois braucht umfangreiche Ressourcen und besondere Voraussetzungen. Sheild hat diese im Laufe der Zeit aufgebaut, vor allem unsere Logistik- und Sicherheitsabteilung. Es braucht Mut und Engagement, gefährdete Gemeinschaften nicht im Stich zu lassen. Wir haben lokales Personal in den betroffenen Gebieten vor Ort und ein starkes logistisches Netzwerk. Wir arbeiten mit internationalen Partnerorganisationen wie der Welthungerhilfe zusammen und wir koordinieren die Konvois mit mehreren UN-Organisationen wie dem Welternährungsprogramm, dem UNHCR oder Unicef. Und es braucht auch die Bereitschaft, direkt mit der libanesischen Armee und der UNIFIL-Mission zusammenzuarbeiten.
taz: Wie können diese die Konvois sichern?
Homsi: Vollständige Sicherheit können sie nicht garantieren. Sowohl die libanesische Armee als auch die UNIFIL-Mission leisten aber wichtige Unterstützung, indem sie die Routen der Konvois koordinieren und Informationen darüber weitergeben – auch an das israelische Militär, mit dem wir nicht sprechen können. Letztlich bleibt Sicherheit ungewiss, und wir verlassen uns auf eine Kombination aus guter Koordination und Vertrauen.
taz: Bisher sind über 800.000 Menschen Binnenvertriebene. Welche Hilfe benötigen sie?
Homsi: Die Konvois sind nicht genug. Leider konzentrieren sich alle humanitären Organisationen und Helfer in der Regel auf ein bestimmtes Gebiet, wie jetzt auf Saida. In Saida gibt es Tausende Binnenvertriebene aus dem ganzen Süden. Im Norden, in Beirut und auf dem Libanonberg wird nur sehr, sehr wenig getan. Auch dort sind Vertriebene in Gastgemeinschaften untergekommen. Viele können sich die Miete aber nicht mehr leisten. Wir beobachten, dass Binnenvertriebene in sehr riskante Gebiete wie Sur, Marjayoun oder Hasbaya zurückkehren.
taz: Warum kehren die Menschen in ihre Häuser in den bedrohten Gebieten zurück?
Homsi: Der wichtigste Grund ist ihre Würde. Die Menschen wollen in ihren eigenen Häusern leben und, wenn nötig, auch dort sterben. Außerdem zwingen die finanziellen Bedingungen viele zur Rückkehr: Sie können es sich nicht mehr leisten, als Binnengeflüchtete zu leben. Manche Menschen ziehen es vor, unter ihrem eigenen Dach zu leben und sich auf ihre verbliebenen Lebensmittelvorräte zu verlassen.
Ohnehin bietet kein Ort völlige Sicherheit. Das zeigen Angriffe auf Unterkünfte, in denen die Menschen Schutz suchten. Ein Beispiel ist ein Vorfall in Haret Saida, einem Vorort der Stadt Saida im Süden. Dort hat eine Rakete ein Wohnhaus getroffen, in dem eine vertriebene Familie untergekommen war. Neun Menschen wurden getötet.
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