Leverkusens Meistertrainer Xabi Alonso: Angriff im Zentrum
Bayer-Coach Xabi Alonso hat fast alles richtig gemacht und wird von fast allen gemocht. Wie ist ihm das gelungen?
E s gibt vielleicht drei Männer über vierzig, die weiße Sneakers tragen dürfen, ohne zum allgemeinen Gespött zu werden; und einer davon ist Xabi Alonso. Überhaupt scheint Xabi Alonso so eine Art Disney-Prinzessin zu sein, der die Sympathien aller Menschen und der meisten Tiere zuzufliegen scheinen.
Es ist nicht nur der Erfolg, der ihn liebenswert macht – um ehrlich zu sein, sind Erfolge mit Bayer Leverkusen für die meisten Fußballfans eher Grundlage für tiefe Abneigung –, sondern auch die Art, wie er Erfolg und Sneakers trägt: mit einer selbstverständlichen, gleichermaßen coolen wie auch uneitlen Attitüde eines Menschen, dem das eigene Menschsein geheuer ist. In dem Punkt ist er Kate Middleton nicht unähnlich.
Xabi Alonso hat als Spieler eine Weltkarriere hinter sich und als Trainer eine Weltkarriere vor sich; darüber sind sich alle einig. Er kam nach Leverkusen, da stand der Verein auf einem grässlichen 17. Rang und hatte die Saison standesgemäß damit begonnen, in der ersten DFB-Pokalrunde gegen Elversberg rauszufliegen.
Vier Tore hat der Drittligist einem Team eingeschenkt, von dessen Abwehrreihe inklusive Torhüter vier Fünftel in der jetzigen Meistersaison immer noch zum Stamm zählten. Aber es hat eben einen Xabi Alonso gebraucht, um das gesamte Team derart auszubalancieren, dass es zu dieser symphonischen Harmonie finden konnte.
Möchte man unbedingt in fußballerischen Revolutionen denken, dann könnte man Xabi Alonso eine Wiederentdeckung des 10ers andichten, um seine Art des Fußballs auf den Sockel zu heben. Denn obwohl zu den spektakulärsten Spielern dieser Saison die beiden wahnwitzigen Außenverteidiger Jeremie Frimpong und mehr noch Alejandro Grimaldo gehören, zeichnet sich Alonsos Stil durch eine gewisse Mittigkeit aus.
In den von ihm präferierten Systemen, das flachere 4-4-3 und das etwas aufgefächertere 4-2-3-1, läuft der Ball möglichst lang in der Zentrale entlang, und je nach Spielsituation übernehmen es entweder Granit Xhaka oder Florian Wirtz, den entscheidenden Impuls zu setzen. Lustig, dass Leverkusen ausgerechnet gegen Bremen die Meisterschaft eintütete, denn von der Spielanlage her atmet dieses Team durchaus etwas Johan-Micoud-haftes.
Hänsel und Gretel
In der Weitwinkelperspektive ist es weniger verwunderlich, dass Xabi Alonso verkündet hat, keinen der ihm angebotenen vakanten Posten beim FC Bayern oder bei Liverpool anzunehmen. Bei Bayern nicht, weil da jetzt offenbar Hänsel und Gretel in der Chefetage sitzen und bei jeder Gelegenheit einen Trainer in den Ofen stoßen. Und bei Liverpool nicht, weil der Ansatz Jürgen Klopps, Gegenpressing sei der beste Spielmacher, eines der Gegenstücke zu Xabi Alonsos Idee einer Spielanlage ist.
Xabi Alonso hat ja außerdem Zeit, und er hat auch noch ein bisschen etwas vor. Der Titelgewinn mit Bayer ist sicherlich historisch, aber eben mehr in dem Sinn, wie es die Havarie der „Costa Concordia“ in der Liste der Geschichte der Schiffsunglücke ist. In zwanzig Jahren wird man sagen: Ach, da war ja was, stimmt, stimmt – und wissend nicken.
Außer natürlich, Xabi Alonso setzt seine Mission fort: In der Euroleague hat die Mannschaft gute Chancen aufs Halbfinale, nachdem im Hinspiel West Ham in den allerletzten Minuten niedergerungen wurde. Das ist ja auch überhaupt eine Eigenschaft dieses Teams: Last-Minute-Siege.
Das ist vielleicht das zauberhafteste an ihm: dass es im Jahr des großen Bahnstreiks wirkte, als kriegte es jeden Anschlusszug.
Und dann wäre da noch das Pokalfinale gegen den 1. FC Kaiserslautern, der kurz vor dem Abstieg in die dritte Liga steht. Leverkusen hat dieses Jahr noch kein Pflichtspiel verloren, und wie schön wäre es, das bliebe bis zum Endspiel in Berlin so, um sich dann gegen den 1. FCK eine derbe Niederlage einzufangen – das jedenfalls wäre sicher einen eigenen Eintrag in die Fußballgeschichtsbücher wert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid