piwik no script img

Letzte Ampel-Vorhaben im BundestagRot-Grün sucht Last-Minute-Mehrheiten

SPD und Grüne bringen das Kritis-Dachgesetz und NSU-Dokumentationszentrum trotz Ampel-Bruch in den Bundestag ein. Die Union hat ein anderes Projekt.

Angehörige gedenken der Opfer des NSU am 5. Jahrestag 2016 in Berlin Foto: Christian Mang

Berlin taz | Eine Mehrheit haben SPD und Grüne im Bundestag seit dem Bruch der Ampel-Regierung nicht mehr. Nun aber wollen beide Fraktionen in den wenigen verbleibenden Sitzungen des Bundestags vor der Neuwahl neben der Abschaffung des Paragrafen 218, dem Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, noch innenpolitische Vorhaben auf den Weg bringen. Sie wollen das Kritis-Dachgesetz für einen besseren Schutz der kritischen Infrastruktur in Deutschland einbringen genauso wie das Gesetz für eine Stiftung, die das zu schaffende NSU-Dokumentationszentrum betreiben soll. Beide Projekte sollen am Donnerstag in erster Lesung im Parlament diskutiert werden.

SPD-Innenexperte Sebastian Hartmann erklärte das Kritis-Dachgesetz für zwingend nötig. „Deutschland befindet sich seit einiger Zeit in einer dauerhaften Lage der Bedrohung auch durch ausländische Mächte mit Angriffen auf unsere Infrastruktur“, sagte er der taz. „Der von der FDP verschuldete Bruch der Regierung hindert uns nicht, unser Land und seine kritischen Infrastrukturen stärker und resilienter aufzustellen. Wir müssen unsere Daseinsvorsorge und unser tägliches Leben sichern und dazu brauchen wir dieses Gesetz.“

Auch Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic warb darum, dass Union und FDP dem Kritis-Dachgesetz noch in dieser Restlegislatur zustimmen. „Fast täglich gibt es Sabotage-Meldungen. Kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser oder die Strom- und Wasserversorgung sind die Lebensadern unserer Gesellschaft“, so Mihalic zur taz. „Ihr Schutz ist so relevant wie nie zuvor und darf keinen parteipolitischen Spielchen zum Opfer fallen.“

Das Kritis-Dachgesetz hatte die Ampelkoalition bereits in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 versprochen. Damit sollen erstmals Mindestvorgaben für den Schutz der kritischen Infrastruktur in Deutschland festgelegt werden, also für Unternehmen aus den Bereichen Energie, Verkehr oder Gesundheitswesen. Nach längeren Beratungen mit den Ländern und Nachbesserungen hatte das Ampel-Kabinett den Gesetzentwurf schließlich am 6. November verabschiedet – wenige Stunden vor dem Platzen der Koalition. Deutsche Sicherheitsbehörden hatten zuletzt vor vermehrten Sabotageakten hierzulande gewarnt, die vor allem Russland zuzurechnen seien.

NSU-Dokumentationszentrum sei „längst überfällig“

Zugleich werben SPD und Grüne auch um Stimmen der Union und FDP für die Errichtung eines NSU-Dokumentationszentrums. Auch dieser Gesetzentwurf ging erst vor einer Woche durch das Bundes-Rumpfkabinett von SPD und Grünen. Das Zentrum soll in Berlin entstehen und an die Opfer der rechtsextremen Terrorgruppe erinnern.

Mihalic betonte, ein NSU-Dokumentationszentrum sei „mehr als 13 Jahre nach Bekanntwerden der Terrortaten und der schrecklichen Morde längst überfällig“. Die erste Lesung zu dem Gesetz sei „ein erster wichtiger Schritt“. Dabei dürfe es aber nicht bleiben, so Mihalic. „Wir appellieren an FDP und Union, das würdige Gedenken an die Opfer nicht länger zu verschleppen und den Gesetzentwurf gemeinsam mit allen demokratischen Fraktionen noch in dieser Wahlperiode abzuschließen.“

Auch SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese bezeichnet das NSU-Dokumentationszentrum als „wichtigen Beitrag“ zum Gedenken an die Opfer des Rechtsterrors und für die historisch-politische Bildung. „Die Fehler und das Versagen des Staates machen es unbedingt notwendig, das Geschehene zu dokumentieren, sich dauerhaft an die Opfer zu erinnern und ihrer zu gedenken.“ Das Projekt sei ein „breit getragenes Anliegen in unserer Gesellschaft und sollte unbedingt vor der Bundestagswahl beschlossen werden“, betonte Wiese. „Ich kann nur an die Union appellieren, hier keine taktischen Parteispielchen zu spielen und den Weg für dieses wichtige Vorhaben freizumachen.“

Erst am Dienstag hatte jedoch Unions-Fraktionschef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz erneut betont, nur noch „absolut notwendigen“ Gesetzen in der Restlegislatur des Bundestags zuzustimmen – und ansonsten keinen mehr, die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt haben. Unions-Fraktionsvize Andrea Lindholz hatte explizit zum Kritis-Dachgesetz jüngst der taz gesagt, der Schutz kritischer Infrastrukturen sei „ohne Zweifel“ wichtig. Aber wie dieser Schutz verbessert werden könne, „will sehr gut überlegt und diskutiert sein“. Soll heißen: Einen schnellen Beschluss wird es nicht geben.

Die Union will noch IP-Adressenspeicherung durchsetzen

Die Union setzt dafür für Donnerstag wiederum einen Gesetzentwurf für ein Projekt auf die Tagesordnung, für das auch die SPD-Fraktion und Bundesinnenministerin Nancy Faeser eintreten: die Speicherung von IP-Adressen zur Strafverfolgung. Das Vorhaben war in der Ampel aber an der FDP gescheitert. Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Union, hatte erklärt, die IP-Adressspeicherung stehe „ganz oben auf unserer To-do-Liste“. IP-Adressen seien als digitales Beweismittel gerade bei der Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch im Internet „unabdingbar“. Es käme einer Art Vorratsdatenspeicherung gleich.

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese gab sich zurückhaltend. „Ziel der SPD-Bundestagsfraktion ist eine rechtssichere und pragmatische Lösung und kein erneuter unbrauchbarer Regelungsversuch von CDU und CSU, der zum wiederholten Mal in Karlsruhe scheitert“, sagte Wiese der taz. Es brauche einen Gesetzentwurf für die Speicherung von IP-Adressen, der „sowohl berechtigte Sicherheitsinteressen der Ermittlungsbehörden als auch die Grundrechte Einzelner berücksichtigt“. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs gäben hier „klare Leitplanken“ vor.

In der Grünen-Fraktion wird sich dagegen grundsätzlich kritisch zur IP-Adressenspeicherung geäußert. Auf Länderebene zeigte sich die Partei offener: So sprachen sich in Hessen die Grünen für eine Speicherung für wenige Wochen aus. Wenn „rechtsstaatliche Grundsätze“ eingehalten würde, sei eine befristete Speicherung „sinnvoll“, erklärte die Landtagsfraktion.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Die CDU muss sich dich erstmal von dem Verein : " Wirtschaftsrat Deutschland " mit seinen 100 Landesvereinen und 20 Bundesfachgremien Landesweit - ausführlich beraten lassen.



    Wie andere Wirtschaftsverbände ist auch der Wirtschaftsrat der CDU e.V. in der Lobbyiste des deutschen Bundestags und dem Lobbyregister der EU eingetragen.



    Laut Annika Joeres, in einem Artikel für Die Zeit, eines der einflussreichsten Lobbygruppen in Deutschland. Dies liegt unter anderem daran, dass der Verband unter dem Einfluss von Konzernen wie BASF, RWE oder dem Verband der Automobilindustrie steht. Für die CDU ist der Wirtschaftsrat auch von großer Bedeutung, da er der Partei Zugang zu zahlungskräftigen Unterstützern und Spenden bietet.



    Laut Lobbycontrol ein Lobbyverband für Unternehmen wie E.on, Daimler AG oder Deutschr Bank.

    • @Alex_der_Wunderer:

      Ergänzung: Zumal Friedrich Merz bis 2021 Vizepräsident im " Wirtschaftsrat Deutschland der CDU e. V. " war.

  • 》Erst am Dienstag hatte jedoch Unions-Fraktionschef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz erneut betont, nur noch „absolut notwendigen“ Gesetzen in der Restlegislatur des Bundestags zuzustimmen《



    .



    Dazu gehört sicher das von Wissing vorgelegte Gewaltschutzgesetz



    .



    taz.de/Gesetzentwu...isterium/!6050042/



    .



    Merz selbst hat dessen Dringlichkeit auf Instagram eindrücklich dargelegt



    .



    www.instagram.com/...h=cm5venAzdTBqcXp3



    .



    "Jede Stunde werden in Deutschland mehr als 14 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. Alle 48 Stunden tötet ein Mann seine aktuelle oder ehemalige Partnerin" -



    .



    Und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Fußfessel in Spanien funktioniere.



    .



    Die FAZ: 》Wenn der Täter den Sicherheitsabstand nicht einhält, wird die Frau, die ein Empfangsgerät am Handgelenk trägt, mit einem Signalton gewarnt. Gleichzeitig wird die Polizei informiert. [...] „Seitdem die elektronische Fußfessel so in Spanien eingeführt wurde, gab es bei den Frauen, die damit geschützt wurden, keine Tötungen mehr“ 《



    .



    shorturl.at/Gulkk



    .



    "Keine Tötungen mehr ./. "alle 48 Stunden eine Frau..."



    .



    Wenn was ein absolut notwendiges Gesetz ist, dann dieses!

  • Warum jetzt die Reform des §218? Gibt es Probleme? Funktioniert die jetzige Regelung nicht? Ich habe das Gefühl, dass das wieder ein aus den US importierter Konflikt ist.

    • @Bmit:

      Die Hoffnung ist wohl, sich damit von der politischen Konkurrenz so weit abzugrenzen, dass diese für Teile der Wähler gefühlt keine Option mehr darstellt. Die US-Demokraten sind damit auch schon auf die Nase gefallen.

      Für die meisten Frauen, die abtreiben wollen bzw. müssen, dürfte die rechtliche Einordnung der Abtreibung in § 218 das allerkleinstes Problem darstellen.

  • Rot-Grün kann sich ja noch auf die letzten Meter mit der Corona-Politik befassen.

    Die Amis haben das bereits ausführlich hinbekommen, bei uns ist man bemüht den Deckel draufzuhalten. Denn die Wahrheit, geht man davon aus, dass was für die USA gilt auch ähnlich bei uns greift, ist wohl weit unbequemer als vielen lieb ist. Und natürlich steht die Befürchtung im Raum, dass die Falschen profitieren könnten.

  • Der Bau eines NSU-Dokumentationszentrums wird vor allem eins werden: teuer! Gebaut mit Geld, welches wir eigentlich momentan nicht zur Verfügung haben. So wichtig das Anliegen auch ist, bin ich der Meinung, dass es aktuell 1000 Stellen gibt an denen das Geld besser aufgehoben wäre, wir haben geldsorgen an allen Ecken und Enden in diesem Land. Zumal staatliche Bauvorhaben meistens die größten Geldgräber überhaupt sind

  • Warum jetzt, wo man 3 Jahre die Zeit und die Mehrheit dazu hatte?

    • @Hans Dampf:

      Wenn doch nur immer Wahlkampf wäre.



      Auch schön, wie die SPD an einem rein symbolischen NSU-Dokuzentrum werkelt und in Berlin erneute Verstrickungen von Staat und terroristischen Nazis unter Spranger und Giffey komplett ignoriert werden, selbst nachdem auch Polizisten eindeutige Aussagen gemacht haben. "Nie wieder" ist halt auch nur auf Wahlplakaten.

      • @Genosse Luzifer:

        Wahlkampf - auch eine " Hoch-Zeit " für Lobbyisten und deren Lobbyisten-Vereine, und Verbände, um im Intresse von Industrie & Wirtschaft, die richtige Richtung zu bestimmen.



        Nach den " Wahlen " werden dann noch die Richtungsweisenden Korrekturen an den Politikern vorgenommen. Falls nicht von der Wirtschaft & Industrie total blockiert wird.