Lesung aus Essay „Verfluchte Neuzeit“: Die Moderne und ihre Gegner
Karl-Heinz Ott liest in Hamburg, Lüneburg und Hannover aus seinem Essay „Verfluchte Neuzeit“. Darin beschäftigt er sich mit reaktionärem Denken.
Vielleicht noch wichtiger: Was soll nach ihr kommen, es kann schließlich nichts neuer sein als neu – oder doch? Dass aber ein Ende nahe sei, ihr eigenes Ende, diagnostiziert der vielfach ausgezeichnete Autor, das sei immer mit im „Bild der Neuzeit“. Die steht für Freiheit, so Ott, und damit in zunehmend mehr Augen für „Bodenlosigkeit“.
Beziehungsweise: „Was die einen als Freiheit rühmen, verdammen die anderen als Sinnlosigkeit.“ Manche dieser anderen krakeelen heute auf höchst politischen „Spaziergängen“ herum und beanspruchen, selbst für eine abstrakte Freiheit zu streiten: von vermeintlich überbordender politischer Korrektheit oder auch schlicht vom Infektionen erschwerenden Mund-Nasen-Schutz. Zunehmend führen sie ihre Attacken aber auch vom Schreibtisch aus, sitzen gar auf Ministerposten.
Ist der Protestantismus Schuld am allgemeinen Verfall; eine Sicht, die Ott bei den Romantikern Novalis und Eichendorff findet, aber auch dem nach Rechts offenen Staatsrechtler Carl Schmitt? Oder ist die radikale protestantische Grüppchenbildung, weiß Gott nicht nur in Nordamerika, vielmehr eine weitere Ausformung des „reaktionären Denkens“?
Karl-Heinz Ott: „Verfluchte Neuzeit. Eine Geschichte des reaktionären Denkens“. Hanser 2022, 432 S., 26 Euro; E-Book 19,99 Euro
Lesungen im Norden:
Mi, 20. 4., 19.30 Uhr, Lüneburg, Heinrich-Heine-Haus
Do, 21. 4., 19 Uhr, Hamburg, Literaturhaus (auch als Stream);
Do, 12. 5., Literaturhaus Hannover
Und welche Rolle kommt denn nun den vielfach französischen Vertreter*innen des Poststrukturalismus zu, aus nicht immer berufenem Mund zuletzt wieder so gerne für allerlei Übel verantwortlich gemacht, vom Verschwörungsglauben bis hin zu emanzipatorisch verbrämter pädosexualisierter Gewalt? Anders als manche*r Kritiker*in hat Ott Foucault wenigstens gelesen (und verstanden wohl auch).
So alt wie die Moderne sei auch ihr Gegenteil, so Ott, und gewinnen könne die Vernunft nur, wenn sie ihre Gegner kenne. Erneut hat er ein enorm belesenes, materialreiches Buch vorgelegt. Dessen Relevanz sich eigentlich auch Menschen erschließen sollte, denen manches von Otts früheren Themen – etwa Musik und Leben Georg-Friedrich Händels oder „Hölderlins Geister“ – allzu speziell erschienen sein mag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus