piwik no script img

Leipziger BuchmesseDie Metapher ist ein Arschloch

Die Phi­lo­so­ph:in­nen Tim Henning, Nikola Kompa und Christian Nimtz leuchten Abgründe der Alltagskommunikation aus. Ja, Sprache kann ausgrenzen.

Alles ist Kommunikation, du musst es nur bildlich genug sagen Foto: Jan Tepass/imago

Schwarze haben so ein tolles Rhythmusgefühl. Die nächste Flüchtlingswelle droht. They’re eating the dogs. Sprache kann eine Zumutung sein. Oder ein mächtiges Werkzeug. Sie kann aufklären oder verschleiern, ermächtigen oder ausgrenzen, diffamieren, aufhetzen.

Der „Doppelgesichtigkeit“ von Sprache widmen sich die Phi­lo­so­ph:in­nen Tim Henning, Nikola Kompa und Christian Nimtz. Mit dem feinen Besteck der analytischen Philosophie untersuchen sie einzelne sprachliche Phänomene. Mit dem aufklärerischen Ziel, moralisch und politisch wirksame Manipulationen der Alltagskommunikation zu entlarven.

Der Metapher etwa, die es braucht, um Abstraktes oder Unvertrautes greifbar zu machen, unterstellen sie politische Manipulationskraft; sie erzeuge durch Gefühle Komplizenschaft: Eine Infektions- oder Flüchtlingswelle etwa beschwört ein Ausgeliefertsein, das zur affektiven Abwehr einlädt.

Die taz bei der Leipziger Buchmesse

Die taz ist bei der Leipziger Buchmesse vom 27. bis 30. März mit einem eigenen Stand vor Ort in Halle 5, Stand G500. Dort werden auch wieder in zahlreichen Talks taz-Autor:innen lesen und diskutieren. Die taz Talks werden auf dem youtube-Kanal der taz live gestreamt. Zur Buchmesse erscheint am 27. März auch wieder die literataz, eine taz mit 12 Extraseiten. Die vergangenen Ausgaben können Sie hier downloaden.

Unser Programm

🐾 Donnerstag 27.03.25

11:00 Uhr: „Post-“ – Nachruf auf eine Vorsilbe – Dieter Thomä

11:45 Uhr: Lauf, Mama, Lauf! – Mareike Barmeyer

12:30 Uhr: Als wäre es vorbei – Katja Petrowskaja

13:15 Uhr: Macht im Umbruch – Herfried Münkler

14:00 Uhr: Zuhause ist das Wetter unzuverlässig – Carolin Würfel

14:45 Uhr: Das Deutsche Demokratische Reich – Volker Weiß

15:30 Uhr: Ginsterburg – Arno Frank

16:15 Uhr: Klapper – Kurt Prödel

19:00 Uhr @Galerie KUB: Was wäre, wenn wir mutig sind – Luisa Neubauer

🐾 Freitag 28.03.25

11:00 Uhr: Trotteln – Robert Seethaler, Rattelschneck

11:45 Uhr: Fischtage – Charlotte Brandi

12:30 Uhr: Russische Spezialitäten – Dmitrij Kapitelman

13:15 Uhr: Schwebende Lasten – Annett Gröschner

14:00 Uhr: Oh! Dalmatien – Doris Akrap

14:45 Uhr: Reise in die Mediengesellschaft USA – Julia Belzig

15:30 Uhr: Meine Sonnenallee – Jan Feddersen

16:15 Uhr: Digitale Diagnosen – Laura Wiesböck

17:00 Uhr: Traumaland – Asal Dardan

🐾 Samstag, 29.03.2025

10:15 Uhr: Edition Le Monde diplomatique: Indien – Modi und die Farbe der Macht – Sven Hansen, Jakob Farah

11:00 Uhr: Pazifismus, ein Irrweg? – Pascal Beucker

11:45 Uhr: Kipppunkte – Georg Diez

12:30 Uhr: Zuhören – Bernhard Pörksen

13:15 Uhr: Die dunkle Seite der Sprache – Tim Henning, Nikola Kompa, Christian Nimtz

14:00 Uhr: Norwegen, wir kommen auf Umwegen! – Wahrheitsklub mit Harriet Wolff, Andreas Rüttenauer, Rattelschneck aka Marcus Weimer, LAMINATOR

14:45 Uhr: Die Spree – Uwe Rada

15:30 Uhr: Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza – Muriel Asseburg

16:15 Uhr: Autoritäre Rebellion – Andreas Speit

17:00 Uhr: Frau Zilius legt ihr erstes Ei an einem Donnerstag –Friederike Gräff

🐾 Sonntag, 30.03.2025

10:00 – 13:00 Uhr: Hilfe in Sachen ePaper und Abo – taz Seitenwende

14:00 Uhr: Wruuum! Crash! Boom! – Comicworkshop mit Michel Esselbrügge

Es geht aber auch weniger offensichtlich: Bezeichnet jemand seine Nachbarin als „Kröte in Stöckelschuhen“, so kann der Sprecher die Absicht der Beleidigung leicht bestreiten („Nur ein Scherz“) – wohingegen an der Nachbarin das ungewollte Bild haften bleibt.

Das Buch

Tim Henning, Nikola Kompa, Christian Nimtz: „Die dunkle Seite der Sprache. Wie Worte ausgrenzen und manipulieren“. C. H. Beck, München 2025, 224 Seiten, 28 Euro

Manipulative Kommunikationsstrategien

Henning, Kompa und Nimtz bleiben nicht bei der Beschreibung manipulativer Kommunikationsstrategien stehen. Sie schlagen auch Lösungen vor: alternative Metaphern suchen (Familien statt Volkskörper) oder bestehende positiv umdeuten (von einer Welle kann man sich auch emporheben lassen).

Analog behandeln die Au­to­r:in­nen auch weitere Sprachphänomene. Generische Aussagen wie das eingangs erwähnte „tolle Rhythmusgefühl von Schwarzen“ zerlegen sie linguistisch, um moralische Untiefen offenzulegen.

Etwa, dass dramatische Aussagen über bestimmte Gruppen („Tiger greifen Menschen an“) ein veritabler „Freifahrtschein“ sind, da bereits die Formulierung die Bereitschaft von Menschen erhöht, den zugrunde liegenden Unterstellungen („Tiger sind gefährlich für Menschen“) zu glauben und zur Essenzialisierung einlädt. Also zur Annahme, dass Tiger gefährlich sind, eben weil sie Tiger sind.

Henning, Kompa und Nimtz sensibilisieren für Begriffe, die wahre Essenzialisierungsschleudern sind, wie Blondine oder Karottenesser, und plädieren dafür, Nominalisierungen zu vermeiden.

„Tintenpisser“ und „Drecksbulle“

Mitunter kommt ihre Sprachanalyse etwas spröde daher. Gut verständlich ist das Kapitel über Herabsetzungsausdrücke, in denen aus Beleidigungen wie „Tintenpisser“, „Drecksbulle“ oder „Polacke“ die beleidigenden Zusatzkomponenten herausgeschält und unausgesprochen mitschwingende Zusatzbedeutungen kenntlich gemacht werden.

Dafür, warum das Englische eine größere Varianz genuiner Herabsetzungsworte bietet als das Deutsche, liefern sie eine erfrischend einfache Erklärung: „Immerhin kann man im Deutschen bei Bedarf stets ein ‚Scheiß‘-Kompositum verwenden.“

Anhand der seit den 1960ern populären Sprechakttheorie illustrieren die Au­to­r:in­nen schließlich, warum Sprechen Handeln ist und inwiefern „soziokulturelle Drehbücher“ Menschen davon abhalten, im Diskurs mitzuspielen. „Wer sprachlich marginalisiert wird, ist auch sozial marginalisiert“, stellen die Au­to­r:in­nen fest.

„Hermeneutische Hilflosigkeit“

Dieser „hermeneutischen Hilflosigkeit“ lässt sich freilich begegnen, ebenfalls durch Sprache, die uns hilft, die Welt zu sortieren; etwa wenn eine von Traurigkeit geplagte junge Mutter für sich die Diagnose „Kindbettdepression“ entdeckt; gleichzeitig kann ihr die Diagnose sprachlich durch das Etikett „Sie ist schlecht drauf“ aberkannt werden.

„Die dunkle Seite der Sprache“ lädt so nicht nur zur Tiefenanalyse des uns umgebenden sprachlichen Irrsinns ein, sondern liefert auch Strategien zu dessen Bewältigung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!