Leihfahrräder in München: Hauptstadt der stehenden Drahtesel
Ein Unternehmen aus Singapur überschwemmt München mit sehr einfachen Leihrädern – die zumindest bisher kaum jemand zu brauchen scheint.
Piu hat seinen Job erst vor einer Woche angetreten. Sonst hätte er bei der Einführung einiges anders gemacht. Sagt er. Über die vielen Beschwerden wundert er sich nicht. „Man muss bedenken: Wir haben ja überhaupt kein Marketing gemacht. Und August ist auch nicht gerade der beste Monat, da viele Münchnerinnen und Münchner im Urlaub sind.“ Immerhin: Über 20.000 Smartphone-Besitzer hätten sich schon die Ausleih-App heruntergeladen. Wie viele sich angemeldet und 79 Euro Kaution gezahlt haben – das will Piu aber nicht verraten.
Was die Leute besonders stört, ist die schiere Menge der Räder – auf Gehwegen, Grünstreifen, an Kreuzungen, im Englischen Garten. Oft sind es ein, zwei Dutzend Räder, die einem den Weg versperren. Auch Stadtrat Danner hat dafür kein Verständnis. „Im Grundsatz ist das eine feine Sache, wenn das Radl-Teilen um sich greift. Aber nicht so.“
Leihräder aus Fernost sind derzeit durchaus im Trend. Mobike, Gobee.bike, oBike, Ohbike – es ist schwer, den Überblick über die verschieden Anbieter zu behalten, die in den Metropolen auf die Straße drängen. Seit einigen Monaten greifen sie die Platzhirsche an – im Münchner Fall sind das die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) und Call a Bike, ein Angebot der Bahn. Dabei wird meist auf Quantität statt Qualität gesetzt. Die oBikes haben noch nicht einmal eine Gangschaltung. „Die Schaltung ist der wartungsintensivste Bestandteil eines Fahrrads“, heißt es auf der Internetseite des Unternehmens. MVG und Call a Bike bieten mehr Komfort.
Die Skepsis der Münchner jedenfalls ist groß. Auch in London und Zürich stieß das Unternehmen zunächst auf Ablehnung. In Zürich habe sich die Situation beruhigt, sagt Piu. „Es ist ganz normal, dass bestimmte neue Modelle erst mal überraschen.“ Und für München verspricht er: mehr Transparenz, mehr Kommunikation, bessere Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung.
Es gibt aber auch noch einen anderen Verdacht, dem sich Firmen wie oBike ständig ausgesetzt sehen: dass es ihnen gar nicht um Mieteinnahmen, sondern um Kundendaten geht. „Das ist ja mittlerweile bei ganz vielen solcher Start-ups so“, sagt auch Herbert Danner. Piu weist den Vorwurf von sich. „Daten werden von uns nicht weitergegeben“, beteuert er. Die Einnahmen der Firma stammten ausschließlich aus der Fahrradmiete.
Wenn sie denn gemietet werden. Spielt vielleicht auch der Wunsch eine Rolle, Risikokapital anzuziehen? Wer die Kapitalgeber von oBike seien, könne er nicht verraten, sagt Piu. Er spricht nur von einer Gruppe von Investoren, die in das Geschäftsmodell große Hoffnungen setze.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich