Leichtes Spiel für Premier Orbán: Ungarns machtlose Opposition

Ungarns Oppositionsbündnis ist nach der Niederlage im April zerfallen. Premier Orbán profiliert sich völkisch rechtsextrem, seine Gegner zerlegen sich.

Ein Mann steht auf von Menschen umringt auf einem Platz wendet sich von einem Rednerpult ab

Erfolgloser Wahlkampf: Ungarns Oppositionskandidat Marki-Zay im März Foto: Martin Fejer/estost.net/imago

WIEN taz | Ungarns Premier Viktor Orbán tritt seit seinem erneuten Wahlsieg im April noch selbstherrlicher auf als zuvor. Von Siebenbürgen bis Dallas provoziert er mit völkischen und rechtsextremen Botschaften. Bei den Republikanern in den USA genießt er Kultstatus.

Und in der EU spielt er genüsslich den bösen Buben. Er hat den korrupten orthodoxen Patriarchen Kyrill, der Putins Krieg verherrlicht, vor Sanktionen bewahrt, legt sich gegen einen Energieboykott gegen Putin quer und verhindert eine Mindestbesteuerung von transnationalen Unternehmen. Zur Kasse gebeten werden dagegen EU-Firmen in Ungarn. Machtlos müssen die Oppositionsparteien zusehen, wie die Gehälter der Regierungsmitglieder um 40 Prozent erhöht werden und die Parteienförderung halbiert wird.

Ungarns Opposition ist knapp fünf Monate nach den Wahlen macht- und planlos. Und sie ist noch unübersichtlicher geworden. Als Péter Márki-Zay, der erfolglose Einheitskandidat des Sechsparteienbündnisses, am Abend des 3. April die Niederlage eingestehen musste, stand er fast allein auf der Tribüne. Das über Monate mühsam geschmiedete Bündnis ist noch am Wahlabend zerfallen.

Budapests Bürgermeister Gergely Karácsony, einer der Architekten der heterogenen Allianz, fragte sich in einem Interview gar, „ob die Wähler wirklich so falsch gelegen haben, diese Opposition diesmal nicht an die Regierung zu bringen?“. Sie hatte weder ein alternatives Regierungsprogramm noch ein überzeugendes Schattenkabinett zustande gebracht, das die korrupte Orbán-Mannschaft in Verlegenheit gebracht hätte. Folge waren 750.000 Stimmen weniger als 2018 und eine kommode Zweidrittelmehrheit für Orbáns Phalanx.

Der Kandidat überzeugte niemanden

Schnell begann die Phase der Schuldzuweisungen. Die rechte Jobbik, die in den letzten zehn Jahren von einer faschistoiden Führerpartei zu einer Mitte-rechts-Kraft mutierte, sah ihren Kandidaten Péter Jakab schon bei den hybrid organisierten Vorwahlen im Nachteil.

Der Abgeordnete Koloman Brenner aus der deutschen Minderheit in Ödenburg: „In den Wahlkreisen auf dem Lande war es wahnsinnig schwierig, unsere Wähler zur Wahl zu bringen, geschweige denn online abzustimmen.“ In vielen Dörfern gebe es kein Internet und für die oft betagte Jobbik-Klientel stelle das Votum im Netz ohnedies ein Hindernis dar. Deswegen sei der sehr kompetente Jakab auch nicht in die engere Auswahl für die Spitzenkandidatur gekommen.

Der parteilose Konservative Péter Márki-Zay, der schließlich als Kompromisskandidat gegen Orbán ins Rennen ging, hätte niemanden überzeugt, meint Brenner: „Márki-Zay, wie soll ich sagen, politisch gesehen war es dann an diesem Wahlabend eindeutig, dass er der falsche Kandidat war.“

Noch im Mai bestätigte die Jobbik ihren Frontmann Péter Jakab. Aber schon einen Monat später schmiss er hin. Kein Wunder, höhnte der regierungsnahe Kommentator Tamás Pilhál in der Zeitung Magyar Nemzet: Die ehemalige „radikale nationale Zentrumspartei“ sei unter Jakabs Führung zu einer „Dienerin der linksliberalen Parteien“ geworden. Außerdem sei Jakab in innerparteiliche Grabenkämpfe verwickelt und stehe unter Korruptionsverdacht.

Zu viele Parteien – und weitere in Gründung

Jakab wollte zunächst als Fraktionschef im Parlament bleiben, doch Mitte August kündigte er die Gründung einer neuen Partei an. Sein Nachfolger Márton Gyöngyösi zögerte nicht, die Schmutzwäsche auszupacken. Jakab verfolge auf Drängen seiner Sekretärin eine primitive linke Agenda.

Viele Jobbik-Wähler, so der Abgeordnete Koloman Brenner, wollten nicht für ein Bündnis mit linken und liberalen Kräften stimmen und wandten sich der rechtsextremen Jobbik-Abspaltung Mi Hazánk Mozgalom (Unsere-Heimat-Bewegung) zu, die mit über fünf Prozent ins Parlament einzog.

Die Oppositionsallianz will aber nicht aufgeben. Kurz nach der Wahl trafen sich die Parteichefs und -chefinnen, um zu bekräftigen, dass diese Zusammenarbeit weitergehen soll. „Es ist auch klar, dass jetzt jede einzelne Partei Zeit braucht, sich selber neu aufzustellen“, sagt Koloman Brenner.

Márky-Zay kündigte die Gründung einer neuen Mitte-rechts-Partei an, mit der er 2024 bei den Europawahlen antreten will. Er will mit der neuen bürgerlichen Kraft die ausgetretene Fidesz in der EPP ersetzen. Doch bisher verweigern ihm die eigenen Leute das Gefolge. Wann es die Partei geben wird, steht in den Sternen.

Der einsame Protest des Ákos Hadházy

Der unabhängige Abgeordnete Ákos Hadházy hält nichts davon, weiter den von Orbán ständig veränderten Spielregeln zu folgen. Er forderte alle oppositionellen Abgeordneten auf, die Konstitution des Parlaments und Vereidigung Anfang Mai zu boykottieren: „Wir spielen bei einer demokratischen Scharade mit.“ Opposition müsse auch auf der Straße stattfinden.

„Wenn die Opposition vor den Wahlen im staatlichen Fernsehen und Rundfunk insgesamt fünf Minuten ihr Programm erläutern kann, können wir nicht über echte Wahlen reden. Das war in Ungarn der Fall“, sagt Hadházy: „Der Ministerpräsident konnte jede Woche eine Stunde lang reden. Das muss man in Westeuropa verstehen.“

Letztlich blieb er allein mit seinem Protest.

Die Strafe folgte auf dem Fuße. Parlamentspräsident László Kövér verweigert ihm bisher einen Alternativtermin für die Vereidigung als Abgeordneter. Hadházy, von Beruf Tierarzt, bezieht daher auch kein Gehalt und muss sogar seinen Stab aus eigener Tasche finanzieren: „Ich musste via Crowdfunding Geld sammeln und kann jetzt bis Ende des Sommers arbeiten.“ Allerdings nicht im Parlamentsgebäude. Da hat er nach wie vor keinen Zutritt.

Ohne Allianzen wird es langfristig nicht gehen

Die nächsten Wahlen in Ungarn sind die für das Europaparlament im Mai 2024. Da für diese das Verhältniswahlrecht gilt und nicht Orbáns minderheitenfeindliches Wahlgesetz, können die Oppositionsparteien getrennt antreten. Aber spätestens bei den Kommunalwahlen im Herbst 2024 gilt es wieder, Allianzen zu schmieden.

Die Psychologin Zsuzsanna Szelényi, eine ehemalige liberale Politikerin, die sich immer noch in der Öffentlichkeit zu Wort meldet, hält das Projekt der Opposition für gescheitert: „Die Einheit hat nicht funktioniert. Die Opposition sitzt in einer strategischen Klemme und muss sich etwas Neues einfallen lassen.“ Sie sieht einen Grund für das Scheitern der Allianz: „Die Parteien stehen in Konkurrenz zueinander. Das Beste wäre, wenn es nicht so viele Oppositionsparteien gäbe.“

Derzeit buhlen zwei sozialdemokratische, zwei liberale, eine grüne, eine alternative, eine bürgerlich rechte und eine rechtsextreme Partei innerhalb und außerhalb des Parlaments um die Anti-Orbán-Stimmen.

Der Unabhängige Ákos Hadházy glaubt an die Gründung einer neuen Partei, die einige von ihnen ersetzen könnte. Er denkt an eine Zentrumspartei mit unverbrauchten Gesichtern. Ein Vorbild sieht er in Slowenien: „Da konnte eine neue Partei mit einem guten Kandidaten ganz schnell erfolgreich werden.“ Und die Themen? „Die Rechtsstaatlichkeit ist sehr wichtig und natürlich auch die soziale Frage.“ Es sieht nicht so aus, als müsste sich Viktor Orbán fürchten.

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