Lehrstellen: 150 erobern die Arbeitswelt
Das Berliner Netzwerk Hauptschulen unterstützt Jugendliche auf dem Weg in die Arbeitswelt. Der Erfolg ist jedoch nicht bei allen gleich groß: Trotz der Förderung werden Migranten seltener vermittelt
Es gibt noch Lehrstellen! Für 88 freie Ausbildungsplätze suchen Berliner Handwerksbetriebe weiterhin Interessenten. Das Spektrum reicht von Berufen wie Goldschmied und Fotograf zu Dachdecker, Glaser und Gebäudereiniger. Eine "Trendwende" auf dem Lehrstellenmarkt verkündete gestern auf der Pressekonferenz des Netzwerks Hauptschulen Ulrich Wiegand, Geschäftsführer der Handwerkskammer Berlin: Zunehmend würden Betriebe wieder Ausbildungsplätze anbieten. 10 Prozent der Betriebe, die in diesem Jahr Lehrstellen anbieten, so Wiegand, bildeten zum ersten Mal aus. Dass Stellen frei bleiben, liege oft daran, dass zwischen Sucher und Anbieter nicht passgenau vermittelt wird. Das Berliner Netzwerk Hauptschulen will Abhilfe schaffen. 388 ausgewählte SchülerInnen von 31 Hauptschulen wurden im vergangenen Schuljahr in speziellen Maßnahmen individuell gefördert. Im nächsten Jahr sollen es 800 TeilnehmerInnen an 40 Schulen sein. http://www.hwk-berlin.de/bildung/ausbildung/lehrstellenboerse.html
"Das Netzwerk Hauptschulen ist ein Projekt, um das wir bundesweit beneidet werden", lobt Margit Hauptmann-Koop von der Berlin-Brandenburger Direktion der Bundesagentur für Arbeit. Die enge Zusammenarbeit von Schulen, Betrieben und Berufsberatung sei einmalig, das Projekt als präventives außerdem grundsätzlich "zielführender" als "reparative Maßnahmen". Tatsächlich bestehen die zumeist darin, gestrandete Hauptschüler nach Ende der Schulzeit in sogenannten weiterführenden Qualifizierungsmaßnahmen zu parken. Die wenigen Hauptschulabsolventen, die Lehrstellen auf dem ersten Arbeitsmarkt ergattern, kann man an manchen Schulen schon fast an einer Hand abzählen.
Dagegen kann das Netzwerk tatsächlich mit erfreulicheren Zahlen aufwarten. Das mittlerweile im vierten Jahr existierende Projekt ist eine Kooperation der Berliner Handels- und Handwerkskammern, der Vereinigung der Unternehmensverbände, der Senatsverwaltung für Bildung, der Arbeitsagentur und 50 Berliner Unternehmen. HauptschülerInnen im Abschlussjahr werden im Netzwerk besonders gefördert: Durch intensive Berufsberatung, die zu einer passenden Berufswahl führen soll, durch Training für Einstellungsgespräche oder -tests und durch Mentorengespräche, in denen die Teilnehmer individuell unterstützt und beraten werden. Die teilnehmenden SchülerInnen werden von ihren LehrerInnen vorgeschlagen. Voraussetzung sind weniger gute Noten als persönliche Motivation oder auch regelmäßiger Schulbesuch.
388 SchülerInnen von 31 Hauptschulen haben im vergangenen Schuljahr von den Maßnahmen des Netzwerks profitiert. Immerhin 150 von ihnen konnten zum Schluss tatsächlich Lehrstellen in Betrieben vermittelt werden. Weitere 40 machen Ausbildungen auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Und zusätzlich knapp 90 wurden in andere berufsvorbereitende Maßnahmen vermittelt.
Bei der Präsentation dieser Ergebnisse fand gestern auch Bildungssenator E. Jürgen Zöllner (SPD) lobende Worte: Nur durch berufliche Perspektiven sei Motivation von SchülerInnen möglich. Einen so starken Praxisbezug könnten Schulen allein aber nicht bieten. Er sei deshalb "froh über dieses Netzwerk", so der Bildungssenator.
Doch nicht bei allen TeilnehmerInnen scheint dessen Unterstützung auszureichen. Während sich unter den 388 Netzwerk-SchülerInnen 45 Prozent nichtdeutscher Herkunft befanden, machte diese Gruppe unter den am Ende vermittelten nur noch 30 Prozent aus. Insgesamt stammen knapp 41 Prozent der SchülerInnen an den 55 Berliner Hauptschulen aus Migrantenfamilien. Es seien häufig "familiäre Hintergründe", die den Vermittlungserfolg bei MigrantInnen behinderten, sagt Carmen Parnitzke, die die Koordinierungsstelle des Netzwerks Hauptschulen leitet.
Deutlicher formuliert Bernd Böttig, Direktor der Eberhard-Klein-Hauptschule in Kreuzberg, das Problem. An seiner Schule, die einen nahezu hundertprozentigen Migrantenanteil hat, konnte keiner der 18 Netzwerk-SchülerInnen in eine betriebliche Ausbildung vermittelt werden. Ursache dafür seien, so Böttig, "zum Teil auch die Vorstellungen unserer Schüler": "Drei Jahre Ausbildung, um dann in einer Bäckerei als Verkäuferin zu arbeiten - das wollen viele nicht." Mit verstärkter Ansprache der Eltern, so Carmen Partnitzke, will das Netzwerk das Problem angehen.
Im neuen Programmjahr will das Netzwerk sich ausdehnen: 800 SchülerInnen von 40 Hauptschulen sollen dann in die Maßnahmen aufgenommen werden. Die Arbeitsagentur wird ihre finanzielle Förderung des Projektes deshalb von derzeit 1,4 Millionen Euro auf 2 Millionen Euro erhöhen, kündigte deren Geschäftsführungsmitglied Margit Haupt-Koopmann gestern an. Weitere Ausbildungsbetriebe, die sich an der Arbeit des Netzwerks beteiligen möchten, werden noch gesucht.
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