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Legalisierung von AbtreibungenDie vorerst letzte Möglichkeit nutzen

Patricia Hecht
Kommentar von Patricia Hecht

Die Ampel ist gescheitert, damit droht ihrem Projekt „Weg mit dem § 218“ das Aus. SPD- und Grünen-Abgeordnete legen nun einen Gesetzentwurf vor.

Frauenrechtsgruppen protestieren in Berlin für die Abschaffung des §218 Foto: K.M.Krause/imago

D ie Zeichen für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung standen in dieser Legislatur so gut wie lange nicht. Erstens forderten zwei von drei Regierungsparteien die Abschaffung des Paragrafen 218 in ihren Wahlprogrammen. Zweitens halten es mehr als 80 Prozent der Bevölkerung für falsch, dass eine Abtreibung, zu der sich eine Person nach Beratung entscheidet, rechtswidrig ist. So hält es eine repräsentative Umfrage des Familienministeriums fest.

Und drittens prüfte eine eigens von der Bundesregierung eingesetzte Kommission die Möglichkeiten der Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs. Die Empfehlung der Kommission für die Frühphase der Schwangerschaft war eindeutig: Die grundsätzliche Strafbarkeit von Abtreibung ist aus völker-, verfassungs- und europarechtlicher Perspektive „nicht haltbar“. Die Ampel ignorierte das.

Auf den letzten Metern vor den Neuwahlen bringen Abgeordnete von SPD und Grünen nun auf eigene Faust einen Gesetzentwurf zur Legalisierung von Abbrüchen bis zur zwölften Woche ein. Dieser Minimalkonsens schöpft längst nicht aus, was die Kommissionsempfehlungen hergeben. Eine Pflichtberatung etwa bliebe bestehen. Und trotzdem: Dieser Minimalkonsens ist die einzige Möglichkeit, eine Legalisierung derzeit Wirklichkeit werden zu lassen.

In einer nach rechts driftenden Gesellschaft gehören Frauenrechte zu den ersten Errungenschaften, denen Gefahr droht. Kommt in dieser Legislatur kein Recht auf legale Abtreibung in den ersten drei Monaten, kommt es in der nächsten mit noch größerer Sicherheit nicht. Reproduktive Rechte sind derzeit gefährdeter als je in den vergangenen 30 Jahren.

Wenn die Abgeordneten jetzt nicht handeln, rückt das Recht auf legale und sichere Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland auf Jahre in unerreichbare Ferne. Die Empfehlungen der Kommission würden eingemottet, das historische Zeitfenster wäre verpasst. Auf den letzten Metern dieser Legislatur gilt: Nehmt, was ihr kriegen könnt. Besser die kleine Version – als gar keine.

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Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erschien mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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14 Kommentare

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  • Jedes rechtliche Vorhaben muss rechtlich standhalten können: Dass jedes menschliche Leben eine Würde hat laut Art. 1, dass es nicht einmal eine Todesstrafe für irgendein Verbrechen gibt. Ein Gesetzesvorhaben, das an Karlsruhe scheitert, ist für die Katz.

    Das Jetzige mit einerseits verboten, andererseits aber doch nicht hatte ja schon einen Grund, wenn man die Geschichte der Urteile betrachtet. Haltung; Meinung, Umfragen oder Frau-müsste-mal sind da herzlich irrelevant gegenüber einem Gericht, das einfach nur seine Rolle prüfend ernstnehmen wird.

    • @Janix:

      "Das Jetzige mit einerseits verboten, andererseits aber doch nicht hatte ja schon einen Grund, wenn man die Geschichte der Urteile betrachtet."

      Die jetzige absurde Regelung ist das Ergebnis von Absprachen zwischen den Parteien. Vor rund 30 Jahren. Seit dem hat sich die Erde weiter gedreht.

      Das BVG hat schon oft seine Rechtsprechung geändert. Die Richter sitzen nämlich nicht im Jahr 1949 fest. Also kann man eben nicht genau sagen, wie die Richter das heute sehen.

  • "Auf den letzten Metern dieser Legislatur gilt"



    Es gibt keine letzten Meter dieser Legislatur mehr. Mit der Entlassung von Lindner wurde die Regierung handlungsfähig.



    Die Gruppe der Linken will zustimmen. Es braucht dazu aber noch deutlich mehr. Mit der FDP ist nach der schmutzigen öffentlich ausgetragenen Trennung nicht mehr zu rechnen und Merz hat - erwartungsgemäß - empört reagiert. Das da genügend aus Reihen der CDU umfallen... Ich glaub es nicht.



    Über CSU, AfD und Wagenknecht mit ein paar Versprengten brauchen wir nicht reden. Wo sollen also die nötigen Stimmen herkommen?

    • @Farang:

      "Es gibt keine letzten Meter dieser Legislatur mehr."

      Natürlich gibt es die. Die Legislatur endet mit der Auflösung des Bundestages. Völlig unabhängig von der Mehrheit irgendeiner Regierung.

      "Wo sollen also die nötigen Stimmen herkommen?"

      Von Abgeordneten, die in ihren Wahlkreisen Wählerinnen erklären müssen, warum sie ihnen das Recht auf die Bestimmung über den eigenen Körper verwehren.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Ich bin beiIhnen,



        bis darauf, dass es ein Ungeborenes aus der Sicht einiger etwas anderes ist als eine Zyste im Leib der Frau.



        Wir seien das alle mal gewesen.



        Das sollte mensch argumentativ mitnehmen können.

  • Völlig richtig. Auch wenn die Beratungspflicht eigentlich auch weg müsste. Der Entwurf ist auf jeden Fall ein Fortschritt.

    Also sollten die Vorteile des derzeitigen Interregnums unbedingt genutzt werden. Später werden wieder Koalitionsrücksichten im Weg stehen.

  • Warum "vorerst letzte Möglichkeit" den § 218 abzuschaffen? Gibt es die Möglichkeit nach der Wahl nicht mehr? Sowohl vor als auch nach der Wahl ist man doch auf die Union angewiesen.

  • Ich würde mir wünschen, dass die Entwurf durchgeht um dann dem BVerfG vorgelegt zu werden. Dann wird sich ja zeigen, inwieweit die angeblichen verfassungsmäßigen Bedenken durchgehen.

    Angesichts der Tatsache, dass die heutige Regelung auf das BVerfG zurück geht und sich an den entscheidenden Regeln im GG nichts geändert haben, wäre es merkwürdig, wenn das Gesetz dort Bestand hätte.

  • Die wichtigste Frage kommt wieder einmal nicht vor: Wann genau beginnt das menschliche Leben und ab wann ist das Lebensrecht eines Menschen vollumfänglich schützenswert?

    Vielleicht wäre es tatsächlich gut, wenn so ein Gesetz noch vor der Wahl durchginge. Bei der darauf folgenden Klage beim Verfassungsgericht hätte dieses dann die Möglichkeit, noch einmal klarzumachen, dass die Menschenwürde nach Art. 1 GG auch für die Schwächsten der Gesellschaft und schon vor der Geburt gilt. Wie lange vorher, ist halt die Frage...

    • @Winnetaz:

      Es gab auch mal Zeiten, da galt das Leben als absolut schützenswert, wenn es sich noch in der Hose des Mannes befindet. Der Irrtum wurde inzwischen bemerkt 😉

  • . . . und plötzlich kommt das Thema von SPD und Grüne wieder auf die Tagesordnung.

    Ob bald Wahlen sind ???

    • @Der Cleo Patra:

      Wird nur kaum was nützen. Auch in den USA haben die Demokraten die Bedeutung dieses Themas bei der Wahlentscheidung massiv überschätzt und da ist das ganze noch eine Nummer dramatischer.



      Außerhalb der Aktivistinnen-Blase ist es den meisten sog. "kleinen Leuten" darüber hinaus schnurtzpiep egal, ob Abtreibung nun erlaubt oder "verboten aber straffrei" ist, weil es praktisch auf dasselbe hinaus läuft.



      Das einzige was praktisch tatsächlich einen Unterschied gemacht hätte, wäre der Wegfall der Beratungspflicht gewesen, aber die soll ja beleiben.

      • @Juleischka :

        In den USA liegt das Thema jetzt bei den Bundesstaaten. Dazu gab es auch Abstimmungen. Frau Harris hat also auf ein Pferd gesetzt, das sie nur unter unwahrscheinlichen Umständen reiten kann. Mississippi ist das auffälligste Beispiel, dass diese Strategie nicht aufgehen konnte. Dort wurde die Abstimmung über Abtreibung gewonnen und Trump hat trotzdem über 60% geholt. Offensichtlich habe also viele die Möglichkeit genutzt, verschieden abzustimmen.

        In D ist die Situation völlig anders. Hier werden demnächst die Leute gewählt, die über das Thema bestimmen.