Leerstehendes Rathaus in Brandenburg: „In Oderberg gibt es viel Reibung“
Ab Samstag wird das leere Rathaus in Oderberg künstlerisch bespielt. Ein Gespräch über Gentrifizierung auf dem Land und das Interesse des Investors.
taz: Am Samstag gibt es die erste Ratsversammlung auf dem Oderberger Marktplatz. Im ehemaligen Rathaus können Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen vortragen. Wie kamen Sie auf die Idee, ein leerstehendes Rathaus bespielen zu wollen?
Heiko Michels: Ich war letzten Sommer öfter in Oderberg. Da gibt es einen alternativen Biergarten mit veganem Curry, der zu einem Treffpunkt von Alteingesessenen, Neuen und Touristen geworden ist. So einen öffentlichen Ort hatte Oderberg lange nicht mehr, habe ich dann erfahren.
Warum nicht?
Michels: Weil das Rathaus seit 15 Jahren zu und die Kirche wegen giftiger Holzschutzmittel geschlossen ist. Bei einem meiner Besuche habe ich Wolfgang Carbon kennengelernt, der vor zwei Jahren das leerstehende Rathaus gekauft hat. Er sagte dann einfach: Macht doch was.
Oderberg Einst an der Oder gelegen, war Oderberg im Mittelalter eine reiche Handelsstadt. Mit der Trockenlegung des Oderbruchs und der Verkürzung des Oderlaufs durch Friedrich II. wurde sie im 18. Jahrhundert abgehängt. Eine Attraktion der Stadt ist das Binnenschifffahrts-Museum.
Rathaus Das Oderberger Rathaus wurde 1844 anstelle eines Vorgängerbaus errichtet. Teilweise wurde es in den Berg hineingebaut. Die Uhr, die jahrelang nicht mehr lief, hat der neue Eigentümer Wolfgang Carbon wieder instandgesetzt. Besonderheit: Im Keller entspringt ein Brunnen.
Spiele Die Rathausspiele finden vom 10. bis zum 25. Juni an allen drei Wochenenden jeweils Samstag und Sonntag statt. Beteiligt sind uetwa Jim Avignon, Joanna Gemma-Auguri, das Theater Okno oder Die Andere Welt Bühne aus Strausberg. Das Programm findet sich unter https://www.limited-blindness.eu/rathaus-spiele. (wera)
Warum stand das Rathaus so lange leer?
Marc Weiser: 2008 wurde das Amt Oderberg aufgelöst und in das Amt Britz-Chorin eingegliedert, das seitdem Amt Britz-Chorin-Oderberg heißt. Damit brauchte die Stadt mit ihren 2.500 Einwohnern kein Rathaus mehr. Es wurde verkauft. Der neue Besitzer wollte es zu einem Seniorenheim umbauen, das hat sich aber zerschlagen. Er hat es dann vor zwei Jahren weiterverkauft.
Macht doch was, sagt der neue Besitzer. Warum dann ausgerechnet Rathaus-Spiele?
Michels: Ich bin damals tagelang durch Oderberg spaziert und hab überlegt, was wir damit machen können.
Weiser: Ich hab dann gesagt, hej, wir spielen einfach Rathaus so wie Kinder Postamt spielen. Wir gehen da rein und gründen Amtsstuben und überlegen, was passiert. Wir lassen den Performerinnen und Performern eine große Freiheit und darum bauen wir ein großes Spektakel.
Michels: Das sind zwar nur drei Wochen, aber natürlich hoffen wir, dass es dann weitergeht, dass Netzwerke entstehen.
Arbeitet seit den 90ern als Medienkünstler und Komponist in Berlin. Er kuratierte das Musikprogramm des Roten Salons der Volksbühne.
Ist das wirklich eine gute Idee? Immer weniger Menschen vertrauen der Demokratie und ihren Institutionen. Und dann kommen zwei Berliner nach Oderberg und spielen mit ihnen?
Michels: Das Rathaus als Ort steht nicht nur für demokratische Prozesse. Und es ist mehr als ein Ort, an dem man sich seine Stempel geholt hat. Es ist auch der Ort, wo man sich getroffen hat, also ein Ort des sozialen Austauschs. Das ist heute alles ins Digitale abgewandert. Wir wollen mit kulturellen Praktiken den Phantomschmerz sichtbar machen, diese schwindende öffentliche Sphäre neuartig beleben. Dass das Rathaus nicht mehr da ist, kritisieren wir nicht. Das ist eine Entwicklung, die können wir nicht mehr stoppen.
Weiser: Aber natürlich weißt hier jeder, dass auch viel an Infrastruktur drumherum weggebrochen ist, seitdem das Rathaus leer steht. Es haben ja auch Leute im Rathaus gearbeitet, von denen einige kleine Läden gelebt haben.
Was in diesen drei Wochen passieren soll, ist in gewisser Weise ein Versuch der Wiederbelebung in einer Stadt, in der vieles verloren gegangen ist. Wie reagieren denn die Menschen in Oderberg auf Sie? Sie sind ja beide jetzt schon seit einiger Zeit dauerhaft vor Ort.
Michels: Natürlich sind da viele skeptisch. Aber dann gehen wir ins Gespräch, und dann merken sie, dass wir an ihnen und ihren Erfahrungen interessiert sind. Dass sich auch die Pläne für die Amtsstuben und die Ratsversammlungen, die wir abhalten werden, ändern. Wir kommen also nicht mit einem fertigen Plan aus Berlin, sondern das, was in den Amtsstuben verhandelt wird, entsteht vor Ort. All das kommt dann auch auf den öffentlichen Ratsversammlungen um 18 Uhr auf dem Marktplatz zur Sprache.
Gibt es denn auch Menschen vor Ort, die in die Vorbereitung involviert sind?
Der Theaterregisseur inszeniert gerne politisch-performative Arbeiten in Schiffswracks und Stadtbädern oder auch für Bühnen wie das Thalia-Theater.
Michels: Die gibt es. Die Perspektive Oderberg, die Initiative Pro Wald, die sich gegen einen Solarpark wehrt, das deutsch-polnische Theater Okno. Da gab es gute Rückmeldungen.
Weiser: Ich war gerade beim Frühschoppen und sehe das ein bisschen anders. In diesen drei Wochen werden wir nicht mehr schaffen als Kontakte herstellen zu können. Erst im nächsten Jahr könnte es dann dazu kommen, dass die Menschen vor Ort das mit uns zusammen machen. Die vor Ort aktiven Initiativen sind übrigens auch Zugezogene, das sind die, die vor zwanzig Jahren aufs Land gezogen sind. Die wirklich Einheimischen sind größtenteils sehr skeptisch.
Das haben Sie auch beim Frühschoppen mitbekommen?
Weiser: Ja, für die ist das so der nächste Schritt einer Kolonialisierung. Ihre Erfahrung ist, dass die Berliner hierher kommen und alles aufkaufen. Zu Mondpreisen, die sie selbst nicht mehr bezahlen können. Das alles hab ich mir angehört beim Frühschoppen. Ich glaube, nur so geht es, dass man miteinander ins Gespräch kommt.
Michels: Oderberg befindet sich in einem Zustand der Transformation. Das wollen wir auf die Bühne bringen. Auch die Kontroversen, die damit zusammenhängen.
Weiser: Die Mechanismen, die hinter der Gentrifizierung stecken, sind auf dem Land die gleichen wie in Berlin. Nur sind sie nicht immer so sichtbar.
Als Künstler ist man ja – normalerweise – ungern ein Trüffelschwein für einen Projektentwickler. In diesem Fall sind Sie das aber, weil Sie dem Besitzer des Rathauses helfen, seine Immobilie in Wert zu setzen. Haben Sie deswegen mal eine Nacht schlecht geschlafen?
Weiser: Ich komme aus der Besetzerbewegung in der Rigaer Straße in Friedrichshain. Natürlich ist das für mich ein Problem. Jede Zwischennutzung hilft dem Eigentümer. Da kommt man nicht raus. Deswegen habe ich gesagt: Wenn ich da mitmache, will ich das auch kritisieren dürfen. Dann hat sich herausgestellt, dass das ein wirklich guter Typ ist.
Michels: Veränderung passiert sowieso. Vielleicht kommt einer in drei Jahren und sagt: Ich mach da einen Coworking-Space. Es kann aber auch sein, dass wir das beschleunigen. Das thematisieren wir aber offen. Vielleicht sollten wir die Orte besetzen, bevor die Leute mit dem richtigen Geld kommen.
Weiser: Wenn man ganz kurz nur eine Zwischennutzung machen würde und dann wieder weg ist, dann würde ich das negativ sehen. Aber ich bin jetzt auch in einem Alter, wo ich sage, ich habe ein Interesse daran, mit dem Wolfgang…
…dem Eigentümer.
… was weiterzuentwickeln.
Und damit auch für verstärkten Zuzug zu sorgen? Vielleicht kommen wegen der Rathaus-Spiele dann noch mehr Leute in die Stadt, die ja sehr viel Charme hat. Dann waren Sie auch ein Treiber der Transformation, die Sie beobachten.
Michels: Ja, das wird so sein. Das lässt sich nicht auflösen.
Weiser: Wir werden sowieso alle früher oder später aus Berlin verdrängt werden. Nach Brandenburg zu gehen, ist dann wohl die einzige Alternative, die uns bleibt. Wer Geld hat, kann in der Stadt bleiben. Wer keines hat, muss sich draußen eine Alternative aufbauen. Je früher man damit anfängt…
Michels: Desto mehr erweitert man seinen eigenen Dunstkreis.
Weiser: Und jetzt kann man sich das vielleicht noch leisten. Ich veranstalte seit 30 Jahren Konzerte, und ich merke ja auch da, wie wichtig es geworden ist, alternative Kulturstätten im ländlichen Raum zu unterstützen.
Michels: Ich hab in letzter Zeit das Gefühl, dass das, was Berlin in den neunziger Jahren ausgestrahlt hat, ein kulturelles Labor zu sein, jetzt in Brandenburg entsteht. Vielleicht platzen die Paradoxe unserer Zeit hier, in den ländlichen Regionen, gerade eher auf als im Prenzlauer Berg oder Kreuzberg. Als Theatermacher interessieren mich die Momente des Tragischen, die Widersprüche. In Berlin gehen die einen in die Volksbühne, die anderen ins Deutsche Theater. Egal was auf der Bühne passiert – im Publikum gibt es jeweils ein gewisses Einverständnis. Hier gibt es dagegen Reibung, Reibung, Reibung.
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